# taz.de -- DIE WAHRHEIT: Gangster aus dem Wald
       
       > Animalische Verbrechen endlich aufgeklärt.
       
 (IMG) Bild: Hinterlistig, wie er nun mal ist, versucht sich der Übeltäter zu verstecken, kann aber aufgespürt werden.
       
       Stockdorf bei München, kurz vor Sonnenaufgang. Maik Seuler liegt auf der
       Lauer. „Entweder fangen wir ihn jetzt oder nie“, wispert der Stadtförster
       und streicht über den Lauf seines Spezialkarabiners. Hinter dem
       Kiefernwäldchen im Osten glüht rot die Sonne auf, als sich ein schlanker
       Schatten auf der Wiese zeigt. „Na also“, zischt Seuler.
       
       Seit Wochen jagt er einem Fuchs hinterher, der den gesamten Bezirk in
       Aufruhr versetzt hat. Denn der Rotrock klaut Schuhe – dutzendweise. Die
       Anwohner sind besorgt, manche verängstigt. Längst wird überregional vom
       „Schuh-Fuchs“ aus Stockdorf berichtet. Die Behörden sehen sich gezwungen zu
       handeln: Im Bürgerbüro stapeln sich mehr als 50 angebissene Beuteschuhe.
       Die Dunkelziffer, meint Seuler, liege viel höher.
       
       Kurios? Doch kein Einzelfall. Füchsischer Schuhdiebstahl wird gleichfalls
       aus Föhren in Rheinland-Pfalz und Mössingen in Baden-Württemberg berichtet.
       Steckt dahinter ein System, ein Plan womöglich? „Werden wir bald wissen“,
       sagt Förster Seuler und knirscht mit den Zähnen. Dann drückt er ab. Und der
       Narkosepfeil trifft.
       
       Zwei Stunden später in der Försterei. Neben Seuler stehen ein Experte des
       BKA und ein Zoologe von der Uni München um den Käfig, in dem „Reinecke
       Schuh“ langsam wieder zu sich kommt. Während alle gespannt warten,
       berichtet der Kriminalist von weiteren beunruhigenden Diebstahlserien, bei
       denen Wildtiere die Täter sind. So häufen sich in Hamburg Meldungen über
       Solargartenlichter, die von Eichhörnchen verschleppt wurden, und über
       Sockendiebstähle durch Hausmäuse. In Bremen verschwinden reihenweise
       Partyzelte in Maulwurfshöhlen. Kleingartenbesitzer aus Hannover klagen über
       Wühlmäuse, die sich auf den Klau von Kupferkabeln spezialisiert haben. Und
       auf Norderney untergraben Wattwürmer die Fundamente von Strandhäusern.
       
       Auch der Zoologe hat eine Fallsammlung angelegt. In Berlin entführen
       Wildschweinrotten kostbare Grillsäulen und vergraben sie im Unterholz. Aus
       Brandenburg wird von Mardern berichtet, die Motorblöcke in Einzelteile
       zerlegen und unauffindbar verstecken. Überhaupt scheint im Osten der
       Republik die kriminelle Energie der Wild- und Waldtiere besonders groß zu
       sein. In der Sächsischen Schweiz etwa sind Rehe unterwegs, die von
       Campingplätzen Rasenmäher und andere Gartengeräte, sogar Fahrräder und
       gelegentlich Motocross-Maschinen abtransportieren.
       
       Aus Greiz in Ostthüringen stammt einer der bizarrsten Berichte: Zahnärztin
       Ina R. betrat ihre Praxis und fand dort nichts als ein paar
       Schwanzmeisenfedern vor. Offenbar hatten die winzigen Schwarmvögel über
       Nacht das Inventar auseinandergeschraubt und in den nahen Schlosspark
       verfrachtet. Die Dentistin: „Als ich ein paar Wochen später am Weiher im
       Park spazieren ging, fand ich im Schilf das Gebissnegativ eines meiner
       Patienten wieder. Sie ahnen nicht, wie peinlich das für mich war! Und es
       ist auch nicht die reine Freude, der Gesundheitsbehörde zu erklären, warum
       ich in meiner Praxis neuerdings drei Katzen halte. Ach ja, einen Turmfalken
       auch.“
       
       Endlich ist der Fuchs in der Försterei aus seiner Betäubung erwacht. Sofort
       beginnt Seuler mit dem Verhör. Zunächst schweigt der Übeltäter hartnäckig,
       doch als Seuler damit droht, ihn auf eine Zwangsdiät mit Tofuwürsten zu
       setzen, wird das Tier schnell weich. Mit wachsender Fassungslosigkeit
       lauschen wir seinem Geständnis.
       
       „Das war im letzten Winter. Ein paar Männer mit grauen Anzügen und großen
       Aktentaschen kamen in den Wald und riefen, sie hätten ein Angebot zu
       machen, das wir nicht ablehnen könnten. Das machte mich neugierig. Sie
       seien vom Bundeswirtschaftsministerium, sagten sie, und bräuchten meine
       Hilfe. Im Gegenzug würden sie dafür sorgen, dass die Jagd auf Füchse
       gesetzlich verboten wird. Das war extrem verlockend. Ich sollte dafür auch
       nicht viel tun, nur hin und wieder etwas mitgehen lassen. Schuhe zum
       Beispiel.“
       
       Aber was, will Seuler wissen, sollte das denn bringen? Der Fuchs zuckt mit
       der Rute: „So recht verstanden habe ich das auch nicht. Irgendwas mit
       ’Binnenkonsum‘ und ’Ankurbelung durch Ersatzkäufe‘. Wissen Sie, was
       ’antizyklisch‘ bedeutet?“ Während Seuler sich an einer Erklärung versucht,
       verkündet der BKA-Mann: „Herrschaften, das muss natürlich unter uns
       bleiben! Wenn das rauskommt, haben wir eine Staatskrise, die sich gewaschen
       hat.“ – „Na“, sagt der Wissenschaftler, „das gilt ja wohl auch für den
       Pressefuzzi hier, oder?“
       
       Doch der ist bereits auf seinem treuen Freund, dem Pegasus, auf und davon.
       
       20 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kay Sokolowsky
       
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