# taz.de -- Grüne Basis redet mit: Mit Claudia Roth im Goldfischglas
       
       > Die Grünen betonen die direkte Kommunikation mit Bürgern und Parteibasis.
       > Doch wenn es ernst wird, gibt sich das Spitzenpersonal eher gequält.
       
 (IMG) Bild: Nicht das grüne Goldfischglas – aber schön wär's doch, oder?
       
       BERLIN taz | Beim Mitmachen macht den Grünen keiner was vor. Workshop,
       Weltcafé, Open Space oder Fishbowl – moderne Diskussionsformate mit
       lustigen Namen gehören zum Standardprogramm grüner Parteitage.
       
       Selbst eine schlichte Fraktionsklausur ist nicht mehr denkbar, ohne dass
       Bundestagsabgeordnete in Kleingruppenarbeit erstellte Schlagwörter mit
       Filzstiften auf Folien kritzeln, die dann nach Regeln vorgelesen werden,
       die irgendein Diskussionsguru in den 1990er Jahren ersonnen hat.
       
       Die Piraten mögen mit ihrer Liquid Democracy protzen, die Grünen
       beherrschen sämtliche Formate der politisch korrekten Gesprächskultur. Und
       sie nutzen sie. Gnadenlos. Immer wieder. Leider.
       
       Im Juni lud die Grüne Linke zum Kongress in Berlin, einer der avisierten
       Höhepunkte war ein „Fishbowl“ mit Claudia Roth und Jürgen Trittin. Bei
       einem Fishbowl, dies für alle Nichtpädagogen, sitzen wenige DiskutantInnen
       in einem Rund von ZuhörerInnen – also quasi im Goldfischglas. Jeder Zuhörer
       kann einen Diskutanten abklopfen, um selbst mitzureden. So kann jeder
       mitmachen, gleichzeitig bleibt die Diskussionsrunde überschaubar. So lautet
       jedenfalls die Theorie.
       
       ## Kein Wert an sich
       
       Die schmutzige Wahrheit zeigt sich leider oft erst in der Praxis. Ein
       Grüner, der regelmäßig in der Mitmachhölle schmort, fasste sie nach dem
       Fishbowl so zusammen: „Das war vor allem eine praktische Demonstration,
       dass partizipative Diskussionsformen kein Wert an sich sind.“ Das ist ein
       ebenso schöner wie diplomatischer Satz. Oft ließe sich über den Ertrag der
       rhetorischen Plauschrunden Böseres behaupten. So wertvoll diese Formate
       psychologisch sein mögen, immer wieder produzieren sie Momente seltener
       Komik.
       
       Gesprächspartner, die sich spontan einschalten können, verfriemeln sich im
       Detail, argumentieren nebulös oder komplett am Vorredner vorbei. Jürgen
       Trittin zieht dann spöttisch die Mundwinkel hoch, Renate Künast schiebt das
       Kinn noch ein bisschen energischer vor als sonst.
       
       Nur eine bewegt sich wie ein Fisch im Fishbowl. Parteitag in Kiel, November
       2011 – Mitmachen ist dieses Mal in einem Workshop zur Euro-Krise erwünscht.
       Parteichefin Claudia Roth, gelernte Dramaturgin, sitzt zwischen drei
       Dutzend Delegierten, die ihre Stühle total workshoppig in einem engen
       Halbrund aufgestellt haben. Roth herzt kurz vorher noch alte
       Anti-Akw-KämpferInnen, redet Kreisverbandschefinnen mit Vornamen an, meldet
       sich ab und zu.
       
       Das mit den Stromrechnungen in Griechenland, sagt Roth, das sei doch
       verrückt. Dass Menschen, die ihre Steuern nicht zahlen könnten, jetzt die
       Energie abgestellt wird. Die Runde nickt. Roth ist die unangefochtene
       Herrscherin des Open Space – sie gibt noch dem größten Wirrkopf das Gefühl,
       jetzt echt etwas Wertvolles beigetragen zu haben.
       
       Was die Grünen mit all den selbst gemalten Folien, den Plakaten, den
       Protokollen und den Schaubildern machen, die sie gemeinsam erarbeiten, ist
       ein großes Geheimnis. Sie in „den Programmprozess einspeisen“ ist die gerne
       verbreitete PR-Lüge nach solchen Ereignissen.
       
       Doch wahrscheinlicher ist, dass es tief unter der Berliner Parteizentrale
       ein dunkles Gewölbe gibt. In dieses werden die ChefstrategInnen dem Flügel-
       und Quotenproporz gehorchend abwechselnd eingeschlossen – damit sie sich
       wenigstens ab und zu mit Themen beschäftigen. Ab und zu dringt dann ein
       irres Kichern nach oben.
       
       23 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Chemikalien in Konsumgütern: Nerven per Richtlinie
       
       Ausgerechnet EU-Bürokraten machen mit der Chemikalienrichtlinie REACH aus
       allen potenzielle Umweltaktivisten: Sie gibt uns das Recht zur Information.
       
 (DIR) Grüne Spitzenkandidaten für 2013: Trittin tritt an
       
       Fraktionschef Jürgen Trittin will grüner Spitzenkandidat im
       Bundestagswahlkampf sein. Hoffnungen der Realos auf ein Trio mit Katrin
       Göring-Eckardt erteilt er eine Absage.
       
 (DIR) Forschung zu Bürgerprotesten: Die Entdeckung des Wutbürgers
       
       Spätestens seit dem Streit um Stuttgart 21 wird viel über
       Bürgerbeteiligung, Demonstrationen und Proteste geredet. Und was macht die
       Wissenschaft?
       
 (DIR) Wenige Frauen in der Lokalpolitik: Die CDU-Chefin von Gaggenau
       
       Es gibt fast nur männliche Bürgermeister und auch drei Viertel der
       Lokalpolitiker sind Männer. Dorothea Maisch, CDU-Fraktionschefin in
       Gaggenau, ist da eine Ausnahme.
       
 (DIR) Akin, der Steuerberater: Radfahrer mit einer Mission
       
       Seit sieben Jahren strampelt sich ein Berliner Türke dafür ab, dass alle
       Ausländer in Deutschland ein kommunales Wahlrecht erhalten. Auf seinem
       Fahrrad, fast jeden Tag.
       
 (DIR) Die CDU will Bürgerbeteiligung in Stuttgart: Verdrehte Welt im Südwesten
       
       Die Grünen haben in Stuttgart die Mehrheit und wollen die Bürger bei der
       Ausrichtung der Stadtwerke nicht so gern mitreden lassen. Neuerdings möchte
       das die CDU.
       
 (DIR) Rentner protestiert gegen schnelle Autos: Einer gegen das ganze Dorf
       
       Die schnellen Lkw stören in Kapern alle, doch nur einer unternimmt etwas:
       Jeden Tag stellt Hugo Hager seinen Transporter auf die Straße. Manche
       nennen ihn Querulant.