# taz.de -- Die Wahrheit: Junger Mann zum Mitreisen gesucht
       
       > Es war einer dieser heißen, öden Sommersonntage im Café Gum. Der
       > Nachmittag zog sich wie Kleister, und Raimund und ich saßen an der Theke
       > und schwiegen...
       
       Es war einer dieser heißen, öden Sommersonntage im Café Gum. Der Nachmittag
       zog sich wie Kleister, und Raimund und ich saßen an der Theke und
       schwiegen, weil wir schon seit Stunden nicht mehr wussten, was reden. Wäre
       jetzt ein lächelnder Kettenkarussellbesitzer hereingekommen und hätte einen
       nicht mehr ganz jungen Mann zum Mitreisen gesucht – ich wäre aufgestanden
       und mitgefahren.
       
       Stattdessen stand plötzlich Theo in einer der Türen, die hinaus auf die
       Terrasse am Flussufer führen. Er rief: „Drei zu eins auf Arne! Beeilt euch,
       noch zwei Minuten bis zum Start! Drei zu eins – jede Wette wird
       angenommen!“
       
       Raimund und ich schauten uns verständnislos an und drängten mit den anderen
       Gästen hinaus. Arne stand an der Wasserkante. Er hatte sich bis auf eine
       mit unfassbar albernen Garfieldmotiven bedruckte Unterhose entkleidet und
       machte Dehnübungen – genauso wie Jens, der neben ihm stand und zwar nur
       sein Hemd ausgezogen und die Hose hochgekrempelt hatte, wegen seiner
       käseweißen, vollkommen haarlosen Unterschenkel und seiner grüngelb
       karierten Socken aber ebenso bescheuert aussah wie Arne.
       
       Theo erzählte uns, dass die beiden sich aus Langeweile mit Prahlereien über
       die sportlichen Erfolge ihrer Jugend die Zeit vertrieben hatten. Beide
       behaupteten kategorisch, noch immer zu beispiellosen Höchstleistungen
       imstande zu sein, und daher dauerte es nicht lange, bis sie sich
       entschlossen, jetzt und sofort zu ermitteln, wer fortan den Titel „Großer
       Gumtitan“ führen dürfe. „Sie machen ein Wettrennen“, sagte Theo: „Ziel ist
       das Kassenhäuschen des Bootsverleihs drüben am anderen Ufer: Arne schwimmt
       hinüber, Jens wird laufen: Die Straße hinunter, über die Wilhelmsbrücke,
       dann den Damm zurück zum Bootsverleih. Wer zuerst anschlägt, ist Gumtitan.
       Also, wie wär’s? Die Quote steht bei drei zu eins!“
       
       Die Leute fuchtelten mit Geldscheinen herum und riefen den Namen ihres
       Favoriten. Dann knallte ein Sektkorken – das vereinbarte Startsignal: Jens
       rannte los, und Arne ruderte mit weit ausholenden Kraulbewegungen durch die
       braune Brühe. Er hatte die Mitte des Flusses schon hinter sich gelassen,
       als Jens auf der Brücke auftauchte. „Arne gewinnt“, flüsterte Raimund. Doch
       Jens holte auf, spurtete den Damm hinunter – und schlug an! Er riss die
       Arme hoch, das Publikum krakeelte – bis es bemerkte, dass Arne verschwunden
       war.
       
       „Das gibt’s doch nicht!“, flüsterte Theo. Wir warteten, dass er aus dem
       Wasser stieg – doch er war weg. Jemand rief die Feuerwehr, obwohl er nicht
       ertrunken sein konnte, da das Wasser an dieser Stelle kaum einen Meter tief
       ist, und dann kam auch die Polizei, um den Fluss abzusuchen. Arne blieb
       verschwunden.
       
       Erst Wochen später hörten wir davon, dass ein Schwimmer in einer mit
       albernen Garfieldmotiven bedruckten Unterhose in Rotterdam aus dem Rhein
       gestiegen sei, bei zwei Hafenarbeitern eine Kippe geschnorrt habe und
       anschließend, nachdem er sich grob den Kurs nach New York habe weisen
       lassen, wieder im Wasser verschwunden war. Und wenn er nicht gestorben ist,
       schwimmt er wohl noch heute …
       
       24 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joachim Schulz
       
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