# taz.de -- Manipulierte Organspendeliste: Zum Kotzen, zum Heulen
       
       > Ein Göttinger Arzt hat Krankenakten gefälscht – und so die Warteliste für
       > Spenderorgane manipuliert. Eine Erregung über perfide Machenschaften
       > karrieregeiler Ärzte.
       
 (IMG) Bild: Auf dem Papier wurden Patienten kränker gemacht, um schneller eine Leber zu bekommen.
       
       Ich könnte heulen, ich könnte kotzen. Ein karrieregeiler Arzt in Göttingen
       ruiniert den Ruf der deutschen Transplantationsmedizin, indem er
       Krankenakten fälscht und Patienten, die dafür eventuell sogar bezahlen,
       schneller zu einer neuen Leber verhilft. Und seiner Klinik zu einer
       beeindruckenden Steigerung der Transplantationsrate.
       
       Wie das funktionierte? Auf dem Papier wurden Patienten kränker gemacht, als
       sie eigentlich waren, rückten so auf der Warteliste nach oben und bekommen
       von der internationalen Vermittlungsstelle Eurotransplant bevorzugt
       Spenderorgane zugeteilt. Patienten, die in den Niederlanden, in Österreich
       oder anderen deutschen Transplantationszentren auf ein Organ warteten,
       mussten deshalb länger warten.
       
       Nicht wenige dieser Patienten dürften während ihrer durch diese
       Manipulationen verlängerten Wartezeit verstorben sein, denn die Zuteilung
       von Spenderlebern erfolgt nach Dringlichkeit, die der sogenannte MELD-Score
       ausdrückt. Ein hoher Score bedeutet, daß der Patient ohne ein neues Organ
       bald sterben wird.
       
       Das hätte auch mir passieren können. Ich stand auch einmal auf dieser
       Warteliste, über zwei Jahre. Über zwei Jahre wartete ich auf den Tag, an
       dem das Telefon schließlich klingelte. Und es hieß: Es gibt eine
       Spenderleber für Sie. Ich lebe bloß, weil mir vor fast fünf Jahren eine
       gespendete Leber transplantiert wurde. Ohne diese Operation (die in im
       Virchow-Klinikum Berlin, einem der größten deutschen
       Lebertransplantationszentren erfolgte) wäre ich heute tot.
       
       Und könnte diese Sätze nicht schreiben und mich nun nicht über diese
       Göttinger Verbrecher aufregen (ganz allein wird der Arzt nicht gearbeitet
       haben), deren perfide Machenschaften der in Deutschland leider sowieso
       nicht besonders hohen Bereitschaft zur Organspende nicht gerade förderlich
       sein dürften. Ich möchte heulen, kotzen und wieder heulen. Man mag mir das
       bitte nachsehen, ich bin bei diesem Thema so befangen, wie jemand nur
       befangen sein kann.
       
       ## Zu viele Transplantationszentren
       
       Ein grundsätzliches deutsches Problem zeigt dieser Skandal: Es gibt im
       föderalen Deutschland zu viele Transplantationszentren. Viel zu viele
       Feld-Wald- und Wiesen-Universitäten und zu viele Provinzstädtchen
       (Regensburg, Würzburg, Ulm und andere) leisten sich solche,
       Transplantationen sind lukrativ, die Krankenkassen rechnen großzügig ab.
       
       Man kann sicher sein, daß der kaufmännische Direktor der Göttinger Klinik
       sich sehr darüber gefreut hat, daß in seinem Krankenhaus plötzlich so viele
       Transplantationen durchgeführt wurden, sein Klinikum hat gut daran
       verdient.
       
       Es gibt noch einen Skandal hinter dem Skandal: Der 45-jährige Göttinger
       Arzt war schon einmal aufgefallen, zuvor in Regensburg beschäftigt, hatte
       er von dort im Jahr 2005 eine Eurotransplant-Spenderleber nach Jordanien
       entführt, um sie dort zu transplantieren. Die bayerische Ärztekammer sah
       von einem Entzug der Approbation ab, die bayerischen Ministerien, so die
       Süddeutsche Zeitung, „verließen sich auf ein Versprechen des Klinikums, so
       etwas werde nicht wieder vorkommen“. Nun ja. Dem Arzt gelang der
       Karrieresprung nach Göttingen.
       
       Meine geheime alttestamentarische Bestrafungsphantasie: diesen Arzt zur
       einer Leber-Lebendspende zu verurteilen. Leber-Lebendspende ist möglich, es
       läßt sich auch mit nur einem Leberlappen fröhlich im Gefängnis sitzen.
       Anderer Vorschlag: Göttingen und andere kleine, schlecht überwachte
       Transplantationszentren sofort schließen um solche Skandale in Zukunft zu
       vermeiden.
       
       23 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) David Wagner
       
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