# taz.de -- Werbung in Russland: Die Sache mit dem Suff
       
       > Das russische Parlament schränkt die Werbung für Wodka, Wein und Bier
       > ein. Bei den Wählern kommt das nicht gut an – bei Wladimir Putin daher
       > auch nicht.
       
 (IMG) Bild: Ob das durchgehen würde in Russland?
       
       Russlands heimtückischster Feind steht längst und tief im eigenen Land. An
       500.000 Todesfällen im Jahr soll er beteiligt sein, der Alkohol, der in
       Russland jährlich eine ganze Armee dahinrafft. Seit Jahrhunderten ringt
       Moskau mit dem Zersetzer. In nüchternen Wachphasen gehen die politisch
       Verantwortlichen gegen den Volksfeind vor, ohne ihn jedoch nachhaltig zu
       besiegen.
       
       Gerade ist wieder so eine Phase angebrochen: Anfang der Woche trat ein
       Gesetz in Kraft, das die Werbung für alkoholische Getränke mit mehr als 5
       Prozent drastisch einschränkt. Im Fernsehen und im Radio darf auch für Bier
       nicht mehr geworben werden. Ab 2013 gilt das Verbot auch für
       Druck-Erzeugnisse und das Internet. Selbst Kneipiers müssen für werbefreie
       Räumlichkeiten sorgen. Wer dagegen verstößt, dem drohen Strafen bis zu
       100.000 Rubel, 2.500 Euro.
       
       Mit dem Gesetz meint die Duma es diesmal wirklich ernst. Die Schärfe des
       Textes scheint jedoch selbst der Sportskanone Wladimir Putin und Premier
       Dimitri Medwedjew zu weit zu gehen. Über die Initiative verloren sie in der
       Öffentlichkeit kaum ein Wort, wohl ahnend, dass sie sich bei ihren Wählern
       mit der drakonischen Verfügung keine Freunde machen.
       
       Putin steht vor einem Dilemma. Sein idealtypischer Wähler ist der
       „Muschik“, der Mann vom Lande, den man sich nur schwer ohne Flasche
       vorstellen kann. Damit hat Putin das gleiche Problem wie der russische
       Staat seit einigen Jahrhunderten. Die Sache mit dem Alkohol ist ambivalent.
       Auch wenn der Staat die Bauern zum Saufen zwang und mit Gewalt in die
       Kneipen trieb, damit sie die Staatskasse füllten und die Eroberung des
       Imperiums ermöglichten, war der angeheiterte Muschik kein wirklich treuer
       Untergebener, und auch der alkoholisierte Prolet entsprach nicht dem
       Entwurf des heroischen Werktätigen. Schließlich war er der Grund für die
       massenhafte Ausschussproduktion.
       
       ## Wodka gehört zum Heldenkult dazu
       
       Die Ambivalenz ist gleichzeitig aber auch Garantie dafür, dass das neue
       Gesetz nicht ganz so hart angewendet wird. Denn schließlich ist Wodka mehr
       als ein Getränk: das Elixier eines lebendigen Männer- und Heldenkults und
       die flüssige Form der nationalen Identität.
       
       Experten zweifeln ohnehin daran, dass Gesetze und Kampagnen etwas gegen die
       Volkskrankheit ausrichten können. Staatliche Eingriffe bewirken meist nur,
       dass der Absatz legaler Destillen sinkt und die Bürger sich der
       steuerfreien Bückware oder Ersatzprodukten wie Äthylalkohol oder
       Frostschutzmitteln zuwenden. Der Russe trinkt im Schnitt 15 Liter reinen
       Alkohol im Jahr, Wissenschaftler setzen den Verbrauch noch höher an, da der
       „Selbstgebrannte“ in die offizielle Statistik nicht mit einfließt.
       
       Weltweit sind es unterdessen 6,2 Liter. Bei dem Verzehr von 8 Litern, warnt
       die Weltgesundheitsorganisation WHO, würden bereits die Erbanlagen einer
       Population angegriffen. Trotz verschiedener Aufklärungskampagnen stieg der
       Konsum im ersten Halbjahr 2012 erneut um 2,5 Prozent. Davon entfällt ein
       Drittel auf das immer beliebter werdende Bier, das dem Wodka Konkurrenz
       macht.
       
       Die maßlose Trinkkultur ist auch ein Grund für den rasanten
       Bevölkerungsrückgang. Hält die Tendenz an, dürfte die Population von 142
       Millionen bis 2050 im schlimmsten Fall auf 83, im günstigsten auf 115
       Millionen schrumpfen, schätzen Demografen. In der Gruppe der 15- bis
       54-Jährigen stirbt jeder Zweite am Suff. Weltweit sind es nur 4 Prozent
       Schnapsleichen.
       
       25 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Tschechien verbietet Schnapsverkauf: Ein Land sitzt auf dem Trockenen
       
       Die Maßnahme ist unpopulär, aber notwendig. Nach 20 Todesfällen durch
       Methanolvergiftung verbietet Prag Ausschank und Verkauf harten Alkohols.
       
 (DIR) Fassbrause von Krombacher: Alkoholfreies Getränk ohne Alkohol
       
       Dass Erfrischungsgetränke wie Fassbrause keinen Alkohol enthalten ist
       bekannt. Eine große deutsche Brauerei stellt jetzt klar: Alkoholfreies Bier
       ist auch nicht drin.
       
 (DIR) Repression in Russland: Bürger, seid nicht spontan!
       
       Die Mächtigen Russlands reagieren gereizt auf Proteste. Regierungstreue
       Parlamentarier wollen ein Gesetz durchdrücken, das selbst organisierte
       Aktionen erschwert.
       
 (DIR) Umstrittenes Gesetz tritt in Kraft: Russlands neue „Auslandsagenten“
       
       Der russische Präsident Putin hat das heftig kritisierte Gesetz in Kraft
       gesetzt, das Organisationen mit ausländischer Unterstützung als „Agenten“
       einstuft. Die müssen sich nun speziell registrieren.
       
 (DIR) Pussy Riot-Punkerinnen vor Gericht: Gefährlicher als Terroristen
       
       Der Prozess gegen die Punkerinnen von Pussy Riot beginnt unter höchsten
       Sicherheitsvorkehrungen. Sie hatten in einer Kirche gegen Putin getanzt und
       Kreml und Klerus empört.
       
 (DIR) Demo gegen Homophobie in Russland: „Uns macht ihr nicht mundtot“
       
       Am Donnerstag wurde vor der russischen Botschaft demonstriert: gegen das in
       Russland beschlossene Gesetz zur sogenannten „Schwulen-Propaganda“.