# taz.de -- Schlagloch Sommermärchen: Vergesst die Bankenkrise
       
       > „Yes, we can“. Irgendwo zwischen Saarbrücken und Lyon diskutieren zwei
       > bekannte Herren und ein Weltökonom die Lage der Welt.
       
       In Deutschland hätte man sie erkannt. Deshalb betraten die zwei Herren am
       letzten Dienstagnachmittag irgendwo zwischen Saarbrücken und Lyon das
       Fernfahrerlokal mit dem schönen Namen Les quatres fesses. „Vier
       Arschbacken“, sagte der Beleibte, „wer hat sich denn das ausgedacht?“, und
       nahm vorsichtig auf dem Resopalstuhl Platz. „Hollande“, gab der Weißhaarige
       zurück, „er meint, in ganz Frankreich kriegst du kein besseres Kalbshirn.
       Meinst du, unser Weltökonom kommt noch?“ Er kam.
       
       Forsch, kurzhaarig, bestellte er ein Bier und sagte: „Ich habe noch mal
       nachgehakt. Die CDU geht fest davon aus, dass wir nichts als die große
       Koalition wollen. Sie rechnen also nicht damit.“ Er blickte auf seine Uhr.
       „Was die Ausgangslage angeht, sind wir uns ja einig. Mittelfristig kommt
       Europa nicht wieder auf den Wachstumspfad, mit Austerität schon gar nicht.
       Also Arbeitslosigkeit, Elendslöhne, soziale Proteste auf Dauer, und anders
       als in den USA: zu viele Alte. Und dann die explodierenden Energiekosten.
       Gegen all das ist diese Bankenkrise nur ein Klacks.“
       
       Der Weißhaarige ergänzte: „Vom Parlament erwartet bald niemand mehr was
       andres als ’marktkonforme Demokratie‘. Und von uns bleibt mittelfristig
       nichts übrig, wenn wir das mitmachen.“ Sie bestellten ihr Essen. Zweimal
       Kalbshirn, einmal Entrecôte, die Wirtin zog unmerklich die Augenbrauen
       hoch.
       
       Am Nebentisch nahm eine lärmende Großfamilie Platz. Der Weißhaarige
       lauschte hinüber. „Letten“, sagte er, „wir können reden.“ Er holte tief
       Luft: „Aus alldem folgt zunächst Stufe eins: eine Konferenz europäischer
       Sozialdemokraten mit ein paar illustren Sympathisanten: ’Unsre Zukunft
       heißt Europa‘ oder so ähnlich, gleich im Oktober.“ Er wandte sich an den
       zuletzt Gekommenen: „Da werden wir knallhart diese Analyse vortragen, eine
       Schuldenstreichung und eine Vermögensabgabe zur Rekapitalisierung wichtiger
       Banken und Versicherungen, europaweit. Ich bin sicher, Hollande geht mit,
       die Südstaaten sowieso.“
       
       ## Da müssen die in Straßburg ran
       
       „Ich soll also den Paulus machen“, sagte der Angesprochene, gewollt kokett.
       „Na gut. Stufe zwei, zeitnah: ein einheitliches europäisches Steuersystem
       im Rahmen einer neue EU-Verfassung. Da müssen unsere Leute in Straßburg
       ran, da ist jetzt der europäische Ballhausschwur fällig, die Krise hilft,
       Karlsruhe hoffentlich auch, aber das geht nicht ohne starke öffentliche
       Meinung.“
       
       Der Beleibte legte die Gabel nieder: „Bis Ende November müssen wir da was
       hinkriegen, irgend so eine Mischung aus Ulrich Wickert, Grönemeyer und ein
       paar visionären Unternehmern. Und Franzosen. Die sind rhetorisch besser.
       Ich kümmer mich drum.“ Er wandte sich wieder dem Kalbshirn zu, wobei er ein
       paar Takte „Internationale“ summte.
       
       Der Weißhaarige unterbrach das Gebrumm: „Dir ist klar, dass jeder
       semantische Ausrutscher tödlich sein kann?“ Der Dicke brauste auf: „Wenn
       wir in die Vollen gehen wollen, können wir nicht kleckern. Willst du hinter
       Geißler zurückfallen?“ Der Dritte winkte ab: „Rhetorik kommt später. Also,
       was ist mit Stufe drei, womit treten wir an zur Wahl?“
       
       ## Klingt besser als „Agenda 2030“
       
       Der Weißhaarige zog ein Blatt Papier aus der Gesäßtasche. „Vier Punkte,
       aber Bedingung ist, dass die Grundbotschaft wirklich stark ankommt, und die
       heißt: Wachstum, Vollbeschäftigung und Konsumsteigerung, das war gestern.
       Daraus folgt: Wenn die Gründungskosten der neuen Ordnung nicht nach unten
       umverteilt werden sollen – wie bisher – , brauchen wir starke
       Grundsicherungen. Die Parole müsste heißen: ’Sicherheit für ein
       Jahrhundert‘.“ Der Beleibte grinste: „Klingt besser als ’Agenda 2030‘, an
       der Gerhard bastelt. Meint ihr, der will noch mal?“
       
       „Zur Sache, Erzengel“, knurrte der Hanseat, „also, was ist unser
       Lieferversprechen?“ Der Weißhaarige blickte auf seinen Zettel: „Erstens:
       eine einheitliche Bürgerversicherung, die Krankheit, Lebensrisiken und
       Grundrente abdeckt, mit progressiven Beiträgen auf alle Einkommen. Modelle
       gibt es genug, auch durchgerechnete. Zweitens: Wohnen, Heizen, Strom. Wir
       stellen uns an die Spitze der vielen Bewegungen ’Energie in Bürgerhand‘.
       
       Die Gemeinden erhalten damit Geld in die Hand, und Siemens – ich habe
       letzte Woche mit denen gesprochen – wartet nur darauf, in Deutschland eine
       dezentrale Netzarchitektur für den Weltmarkt zu demonstrieren. Drittens:
       Arbeit und Bildung. Wenn das Wachstum ausbleibt, müssen wir kontinuierlich
       die Regelarbeitszeit verkürzen, das geht nicht ohne eine
       Bildungsrevolution, und das heißt: Abschaffung des Bildungsföderalismus.“
       
       ## Sicherheit für ein Jahrhundert
       
       „Alles richtig“, rief der Beleibte so laut, dass die Letten
       zusammenzuckten, „und die Zeit ist reif. Aber die Gegner werden uns den
       Kollektivismus reinreiben. Und das können wir nur unterlaufen, wenn wir
       offensiv sagen, dass der Aufbruch unvermeidlich ist. Aber es muss eben auch
       gut daherkommen: Renaissance der Gemeingüter, Elektroautos, fantastische
       Schulen, solvente Gemeinden, Zeitwohlstand …“
       
       Er redete sich in Fahrt, aber der Weißhaarige fiel ihm ins Wort: „Alles
       richtig, aber die Botschaft geht nicht nur an unsere Leute. ’Sicherheit für
       ein Jahrhundert‘ – mir gefällt das immer besser, vor allem, wenn wir
       deutlich machen, dass Sicherheit die Bedingung für individuelle Freiheit
       ist. Dass wir die Bürgerlichen sind.“
       
       „Okay, okay“, kam es von dem nüchternen Norddeutschen, „Wahlreden später.
       Ich fasse zusammen: Wir gehen aufs Ganze. Und wenn wir 2013 scheitern, weil
       es mit den Grünen nicht reicht?“ Eine kurze Weile schwiegen sie, dann
       sagten sie fast gleichzeitig wie Tick, Trick und Track: „Dann machen wir
       genau auf dieser Linie weiter. Die Zeit spielt für uns.“
       
       In diesem Augenblick – so jedenfalls behauptete es die Wirtin der „Vier
       Arschbacken“ spät am Abend – sei von der Terrasse eine Frau in den besten
       Jahren ins Lokal gekommen, mit hochgesteckten Haaren, und trotz der
       sommerlichen Hitze war sie tadellos gekleidet. „Bonjour“, riefen da die
       drei, „aber mit Ihnen können wir frühestens in vier Jahren arbeiten.“
       
       25 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mathias Greffrath
       
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