# taz.de -- Inklusion von Gehörlosen: Wenn Amt und Eltern streiten
       
       > Ein gehörloses Mädchen geht auf eine Regelschule, braucht dafür eine
       > Gebärdendolmetscherin. Die will die Sozialbehörde nicht bezahlen. Die
       > Eltern zogen vor Gericht.
       
 (IMG) Bild: Nur 20 Prozent der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf besuchen in Deutschland eine Regelschule.
       
       BERLIN taz | Muss die öffentliche Hand einem gehörlosen Mädchen eine
       Gebärdendolmetscherin bezahlen, damit es auf die Regelschule gehen kann?
       Darüber streiten sich eine Familie mit dem Bezirk Schwaben vor Gericht. Am
       Mittwoch nun entschied das Sozialgericht Augsburg erst einmal auf einen
       Vergleich – um den Fall später erneut aufzurollen.
       
       Konkret geht es um die siebenjährige Melissa. Sie besucht die Grundschule
       Offenhausen in Neu-Ulm. Obwohl sie gehörlos ist, ist sie Klassenbeste. Eine
       Gebärdendolmetscherin hilft ihr im Unterricht. Doch seit Monaten weigert
       sich die Sozialverwaltung des Bezirks Schwaben, die Kosten für die
       Schulbegleiterin zu bezahlen. Deswegen zogen die Eltern von Melissa vor
       Gericht.
       
       Vergangenes Jahr verabschiedete die bayerische Landesregierung das
       Inklusionsgesetz. Jedes Kind mit Behinderung hat danach das Recht, eine
       wohnortnahe Regelschule zu besuchen. Melissas Eltern, die beide auch
       gehörlos sind, schickten ihre Tochter deswegen auf die Offenhausener
       Grundschule. Doch was sich in der Theorie gut anhört, stößt in der Praxis
       an Grenzen. Inklusion wird zur Finanzierungsfrage.
       
       Denn die Gebärdendolmetscherin für Melissa kostet 55 Euro in der Stunde,
       rund 4.500 Euro im Monat. Die will der Bezirk Schwaben nicht bezahlen. Das
       Gehalt der Gebärdendolmetscherin streckt deswegen vorerst der Freistaat
       Bayern vor.
       
       ## Melissa soll im Förderzentrum lernen
       
       Der Bezirk argumentierte, Melissa sei viel besser in einem Augsburger
       Förderzentrum, also einer Sonderschule, mit dem Schwerpunkt Hören
       aufgehoben. Auch das Sozialgericht in Augsburg und das Landessozialgericht
       in München hatten in einem Eilverfahren die Kostenübernahme durch den
       Bezirk erst einmal abgelehnt.
       
       Sie stützten sich auf ein Gutachten, das die Gebärdendolmetscherin Karin
       Kestner, die die Familie unterstützt, kritisiert: „Die Tests waren nicht
       für hörgeschädigte Kinder zugelassen und durften eigentlich nicht verwendet
       werden.“ Mittlerweile gibt es ein zweites Gutachten, das Kestner recht
       gibt: Melissa sei an der Förderschule unterfordert.
       
       Bei einem weiteren gehörlosen Mädchen an einer bayerischen Regelschule, im
       Landkreis Aichach-Friedberg, streiten sich derzeit die Eltern ebenfalls mit
       der Verwaltung darüber, wer die Kosten für ihren Gebärdendolmetscher
       übernimmt.
       
       Die Fälle der zwei Mädchen hätten eine Diskussion in Gang gebracht, sagt
       die Bezirkssprecherin von Schwaben, Birgit Böllinger. Es brauche bei der
       Inklusion endlich eine sinnvolle finanzielle und strukturelle Lösung. In
       Bayern tragen, wie in anderen Ländern, die Landesbezirke die Kosten für die
       Eingliederungshilfe behinderter Menschen. Und die Kosten stiegen an, so
       Böllinger. Sie erwartet, dass das Land aktiv wird. „Wir versuchen, eine
       Lösung zu finden“, sagt dazu Kathrin Gallitz vom bayerischen
       Kultusministerium.
       
       ## Bayern will zusätzliche Lehrer bereitstellen
       
       Nur 20 Prozent von bundesweit 485.000 Schülern mit sonderpädagogischem
       Förderbedarf lernen an einer Regelschule, wie eine Studie der Bertelsmann
       Stiftung vom September 2011 zeigt. In Bayern sind es 23 Prozent oder 7.300
       Schüler. „In diesem und im kommenden Schuljahr stellt das Ministerium
       jeweils Lehrerstunden im Umfang von 100 Lehrerstellen zur Verfügung, um die
       Inklusion voranzutreiben“, sagt Gallitz.
       
       Melissa muss vorerst auf ein eindeutiges Urteil warten. Der Bezirk und die
       Familie haben sich am Mittwoch aber darauf geeinigt, dass die Siebenjährige
       bis Januar 2013 erst einmal auf der Grundschule bleiben darf. Dann soll ein
       neues Gutachten Klarheit bringen. Bis dahin streckt Bayern weiterhin das
       Geld für die Gebärdendolmetscherin vor.
       
       26 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elisabeth Gamperl
       
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