# taz.de -- Türkische Südküste: Gedämpfte touristische Ruhestörung
       
       > In den 80er Jahren wurde für die vom Aussterben bedrohte Schildkröte und
       > gegen touristische Großprojekte in Dalyan an der türkischen Südküste
       > erfolgreich gekämpft.
       
 (IMG) Bild: Noch vergnügt im Wasser.
       
       Chinese tonight?" Der Mann, der chinesisches Essen für heute vorschlägt,
       macht eine einladende Handbewegung zu den Tischen im Freien hinter sich.
       Auf der Hausfassade steht fett "Chinatown". Ein paar Meter weiter gibt es
       Steak. Auch Frühstück mit "Heinz Beans" bekommt man hier: Viele der
       Touristen, die auf der Straße schlendern, sind Briten um die 50.
       
       "Hello! Come have a drink! Deutsch?", ruft ein Kellner vor einem
       Restaurant.Das kleine Dalyan an der türkischen Südküste ist ein beliebter
       Ferienort geworden. Die Zeiten, in denen die Bewohner versuchten, von
       Baumwolle und Granatäpfel zu leben, sind vorbei.
       
       Im Fluss Dalyan gegenüber von Chinatown schaukeln Boote, dahinter ragen die
       Felswände mit den 2.500 Jahre alten lykischen Gräbern in die Höhe. "Turtle
       Tour?", fragt ein Bootsmann. Draußen im Meer schwimmt die Caretta caretta,
       die vom Aussterben bedrohte unechte Karettschildkröte. "Die Caretta caretta
       kann auch gefüttert werden!", ruft der Bootsmann. In einem seiner
       Tourprospekte steht, dass umweltfreundliche, solarbetriebene Boote zur
       Caretta caretta fahren. Zehn Kilometer sind es von Dalyan zum Meer, 35
       Minuten tuckert man den Fluss zwischen Schilfinseln entlang.
       
       Die Britin June Haimoff verhinderte in den 1980er Jahren, dass türkische
       und deutsche Investoren eine Hotelanlage am Strand bauen: Sie hatte
       Unterschriften gesammelt und mit der türkischen Regierung gesprochen. Die
       Pläne wurden verworfen, nun ist der Strand ab acht Uhr abends zwölf Stunden
       lang für Touristen gesperrt: Die Caretta caretta darf beim Laichen oder
       Schlüpfen nicht gestört werden.
       
       ## Von den Turtle-Touren hält er nicht viel
       
       Am Strand tänzeln Krabben. Die Küste ist flach, man kann meterweit ins Meer
       hineingehen. Im Sand liegen einige Urlauber und sonnen sich. Hinter ihnen
       markiert ein Seil auf dem Boden den Beginn des Abschnitts für Caretta
       caretta. Auf einer Breite von etwa drei Metern sollte niemand liegen und
       schon gar keine Sonnenschirme in den Boden stemmen: Die Schildkröten haben
       hier in die Tiefe ihre Eier abgelegt. Die kleinen Tiere in den Schalen
       brauchen die Sonne, um heranzuwachsen. Immer wieder sieht man kleine
       quadratische Metallgestelle, die auf Englisch und Türkisch über das Nest
       darunter informieren. Auch vor Füchsen sollen sie schützen. Hinter dem
       Schildkrötenabschnitt stehen Sonnenschirme und Liegen aus Holz für die
       Strandbesucher bereit.
       
       Zehn Minuten vom Strand entfernt schwimmt Baris in einem kleinen Becken.
       Ein Jahr lang bleibt die zwanzigjährige Caretta caretta in dem Becken - dem
       Schildkrötenkrankenhaus - und bekommt Antibiotikum und Kalzium. Baris -
       Friede - hat nur noch drei Flossen. Die Schiffsschraube eines Bootes hat
       ihr eine Flosse abgetrennt.
       
       "Die Boote bräuchten einen Schraubenschutz. Aber das ist leider keine
       Vorschrift", sagt Mücahit und deutet auf ein Modell. Der junge Mann
       studiert Biologie an der Universität in Pamukkale. Im Sommer und Frühherbst
       hilft er im Iztuzu Sea Turtles Research Rescue Rehabilitation and
       Information Centre. Mücahit führt Touristen von Becken zu Becken im
       Forschungs-, Rettungs-, Pflege- und Informationszentrum. Von den
       "Turtle-Touren" hält er nicht viel, auch deshalb, weil sich die Wildtiere
       an die Fütterungen gewöhnen.
       
       ## Der Klimawandel ist besonders schlimm
       
       Bedroht aber werde die Caretta caretta nicht nur durch den Verlust an
       Lebensraum durch den Tourismus. "Der Klimawandel ist besonders schlimm für
       die Tiere", sagt Mücahit. Denn ob aus den Schildkröteneiern weibliche oder
       männliche Tier entstehen, sei abhängig von der Sonnenwärme. In den
       vergangenen Jahren habe man feststellen können, dass mehr Weibchen
       geschlüpft seien als Männchen. Dies sei ein Hinweis auf zunehmende
       Erwärmung. So werde es für die Schildkrötenweibchen schwierig, Partner zu
       finden.
       
       Weitere Probleme entstehen für die Schildkröten, wenn sie in den
       Süßwasserfluss schwimmen und dort Hühnerfleisch fressen: Damit ködern
       Mitarbeiter der Restaurants die im Dalyan lebenden Süßwasserschildkröten
       für die Touristen. Das schadet nicht nur diesen Pflanzenfressern, sondern
       auch den Meerwasserschildkröte, die so ebenfalls angelockt werden. Und
       immer wieder verwechselt die Caretta caretta die Tüten mit ihrem
       eigentlichen Futter: Quallen.
       
       "Plastiktüten-Irrsinn" nennt Astrid die Angewohnheit ihrer Nachbarn, keine
       Einkaufstasche zu verwenden. Gemeinsam mit Kamil aus Istanbul betreibt die
       Französin seit drei Jahren das Hotel Sandybrown am Rand von Dalyan. Das
       kleine Hotel mit seinen zwölf Zimmern ist das einzige im Ort, das als
       "ecofriendly" ausgezeichnet ist und auf Nachhaltigkeit Wert legt. Wäsche
       und Geschirr werden mit "arabischer Seife" sauber gemacht, einem
       traditionellen, natürlichen Waschmittel. Der Müll wird getrennt, und
       gekocht wird mit Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten und der Region. Der
       Pool ist solarbeheizt und mit besonderen Filtern ausgestattet. "Wir stehen
       im Ort ziemlich allein da beim Thema Umweltschutz", sagt Astrid. Und das,
       obwohl die Umgebung rund um Dalyan ein Naturschutzgebiet ist.
       
       In der Patisserie am Hauptplatz sitzt ein älterer Polizist in der Sonne und
       trinkt türkischen Tee. Der Mann hebt den Arm und deutet über den Platz.
       Dalyan sei doch herrlich, sagt er. So viel Sonne! Arbeit habe er hier auch
       nicht so viel wie in Istanbul. "Noch einen Çay?", fragt er, während vom
       "Chinatown" ein Kellner ruft: "Come tonight! Whats wrong with us?"
       
       28 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christine Zeiner
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Reiseland Türkei
 (DIR) Rote Liste
       
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