# taz.de -- Wohnen in Bremen: Der Wandel eines Ghettos
       
       > Osterholz-Tenever genießt bis heute keinen guten Ruf. Dabei hat sich das
       > Quartier durch Sanierung und Abriss zu einem (fast) normalen Wohngebiet
       > gemausert.
       
 (IMG) Bild: Die Beton-Balustraden mussten weichen: Seit der Sanierung 2003 gibt es in Tenever mehr Licht und Grün.
       
       BREMEN taz | Die Mieten steigen, günstige Wohnungen werden knapp. Das
       Viertel kämpft gegen die Stadtaufwertung, Tenever dafür. Wohnungsbündnisse
       werden geschmiedet, zugleich Luxuswohnungen gebaut. Wie leben die Menschen
       in armen und reichen Vierteln? Die taz.bremen beleuchtet in loser Folge,
       wie BremerInnen wohnen und sich der urbane Raum verändert. 
       
       Wer mit Joachim Barloschky einen Spaziergang durch die Hochhaussiedlung von
       Tenever unternehmen will, sollte Zeit mitbringen. Er spricht jeden an,
       fragt, wie’s geht, ob die Wohnung in Ordnung ist, was der Job oder die
       Schule macht, ob’s was Neues gibt im Quartier. Barlo, so nennen ihn alle,
       hat zehn Jahre lang hier gewohnt und weitere zwanzig Jahre als
       Quartiersmanager für Tenever gearbeitet. Und er hat nicht nur die größte
       Veränderung des Viertels erlebt, sondern sie aktiv mitgestaltet.
       
       Aber von vorn. Falsche Planung und fehlende Infrastruktur machten die in
       den frühen 70er-Jahren gebauten Hochhäuser schon nach kurzer Zeit zum
       Problemviertel, Immobilienspekulanten ließen Häuser verkommen, die Bauweise
       tat ihr Übriges: Durch doppelte Eingangsbereiche, einmal ebenerdig und
       einmal im Hochparterre, abgehend von Beton-Balustraden, die alle Häuser
       umspannten, entstanden sogenannte „Angsträume“ mit dunklen Ecken und
       unübersichtlichen Zuwegen. Freiflächen bestanden aus Parkplätzen, Zufahrten
       und der Tiefgarage. Im Inneren waren die Hochhäuser immer dunkel, denn sie
       standen sich in geschlossenen Blöcken gegenüber. Vandalismus, sagt Barlo,
       sei damals an der Tagesordnung gewesen.
       
       ## Sanierung und Abriss
       
       Dabei sind lange nicht so viele Wohnungen gebaut worden wie geplant,
       ursprünglich sollten es nämlich knapp 4.500 werden. Aber selbst die
       umgesetzten 2.650 „Wohneinheiten“ hatten mit Leerstand und Wegzug zu
       kämpfen. Keiner wollte dorthin, die BewohnerInnen wurden als „asozial“
       stigmatisiert.
       
       In den 80er-Jahren erkannte man die Probleme der „Großwohnsiedlungen“, und
       Tenever wurde in ein Programm zur Nachbesserung selbiger aufgenommen. Das
       war genau in der Zeit, als Barlo dorthin zog. Er setzte sich als
       „Bewohner-Aktivist“ ein, bevor er sein Engagement zum Beruf machte und
       Quartiersmanager wurde. Er hat erlebt, wie die städtische
       Wohnungsbaugesellschaft Gewoba die Häuser nach und nach aufkaufte, um sie
       im Rahmen des bundesweiten Modellprojekts „Stadtumbau West“ 2003 vom Ghetto
       in ein lebenswertes Viertel zu verwandeln.
       
       Dafür wurde Tenever nicht nur saniert, sondern zum Teil abgerissen: „Die
       meisten Häuser waren so marode, dass eine Sanierung teurer geworden wäre
       als ihr Abriss“, sagt Barlo. Trotzdem: „Wir haben immer ein Auge darauf
       gehabt.“ Die Gewoba habe zum Beispiel ein Haus abreißen wollen, das in
       Ordnung gewesen sei, im Gegenzug aber eines sanieren, bei dem sich der
       Aufwand nicht mehr gelohnt hätte, und das eine oder andere Haus hätten die
       Stadtteil-AktivistInnen auch gern behalten, „aber man muss insgesamt schon
       sagen, dass die Zusammenarbeit mit der Gewoba sehr gut war“.
       
       Knapp 950 Wohnungen hat Tenever durch die Sanierung eingebüßt, ungefähr so
       viele standen auch leer. Seither gibt es Licht und Grün: Die 10.000
       BewohnerInnen schauen nicht mehr auf Fassaden, sondern auf Freiflächen. Die
       wurden begrünt und mit Spiel- und Bolzplätzen und Sitzgelegenheiten
       versehen. Die Beton-Balustraden wichen großen Eingangsbereichen. Da hinein
       haben die Sanierungs-Architekten Glasboxen gebaut, in denen Concierges
       sitzen.
       
       „Die haben auch Briefmarken da und nehmen Post oder Pakete an“, sagt Peter
       Hallamoder, der in dem mit 21 Stockwerken höchsten Haus Tenevers wohnt.
       „Gerade für ältere Leute ist der Concierge toll, denn er nimmt ihnen nicht
       nur einiges ab, sondern er redet auch mit ihnen.“ Die Concierges sind
       Angestellte eines Beschäftigungsträgers, der sich um Langzeitarbeitslose
       kümmert und dürfen nicht in Konkurrenz zum sogenannten „ersten
       Arbeitsmarkt“ treten. Wo es Hausmeister und Sicherheitsdienste gibt, darf
       der Concierge nicht einspringen.
       
       Dass Sicherheitsleute ihre Runden drehen, wäre ohnehin seltener nötig, sagt
       Barlo: „Die Kriminalität ist hier maximal durchschnittlich hoch.“ Seit der
       Sanierung sei sie stark zurückgegangen, selbst nach Graffiti müsse man hier
       suchen: „Die Menschen respektieren und mögen das neue Tenever.“ Das mache
       sich auch in der Bewohnerstrukur bemerkbar: Während die meisten, die schon
       lange in Tenever leben, arbeitslos seien oder aufstockend Hartz IV bekämen,
       würden rund 70 Prozent der Menschen, die nach der Sanierung hergezogen
       seien, ihre Wohnungen ohne Hilfe vom Jobcenter oder Wohngeldamt bezahlen.
       
       Das liegt aber nicht nur an den optischen Veränderungen: Barlo hat mit den
       AnwohnerInnen mehrere hundert Projekte gestartet und dafür gesorgt, dass es
       einen Kinderbauernhof, Skater-Anlagen und eine „Halle für Bewegung“ gibt,
       dass die Schwimmhalle nicht abgerissen wurde, Mütter und Arbeitslose
       Anlaufstellen haben, dass die Bewohner, von denen rund 75 Prozent einen
       Migrationshintergrund haben, Sprach- und Alphabetisierungskurse machen
       können. Die Mieten, die nach der Sanierung auf 4,50 Euro pro Quadratmeter
       gestiegen sind, hält er für moderat.
       
       Zwei große Probleme hat Tenever allerdings noch immer, und die heißen:
       Neuwieder Straße 1 und 3. Diese Häuser gehören nicht der Gewoba, sondern
       „Heuschreckeninvestoren“, wie die Leute sie nennen: Als reine
       Spekulationsobjekte wechseln sie immer wieder die Besitzer. Um die Häuser
       kümmert sich niemand, die Keller sind aufgebrochen und voller Unrat, die
       Wohnungen verschimmelt, die Fahrstühle kaputt. „Hier herrscht“, sagt Barlo,
       „ein Leerstand von 20 Prozent.“ Ein Anwohner erzählt, dass dort viele
       Menschen ohne Mietvertrag hausen würden, „auch im Keller“. Die Gewoba würde
       diese Häuser gerne kaufen, kommt aber nur schwer an die Eigentümer heran.
       
       ## Not in ganz Bremen
       
       Abgesehen von diesen beiden Häusern ist Tenever voll, die Gewoba hat
       Wartelisten von Miet-Interessenten. Ist vielleicht doch zu viel abgerissen
       worden? „Nein“, sagt Barlo. „Es fehlt vor allem an sehr großen und sehr
       kleinen Wohnungen, und die gab es vorher auch nicht.“
       
       Das Grundproblem sei die Wohnungsnot in ganz Bremen: „Meiner Meinung nach
       sollten alle Bauherren dazu verpflichtet werden, 25 Prozent ihrer Wohnungen
       als sozialen Wohnbau auszuweisen.“ Dann entstünden nicht solche
       Neubaugebiete wie in der Überseestadt, „wo sich nur die Reichen eine
       Wohnung leisten können“. Auch ärmeren Menschen müsse im gesamten
       Stadtgebiet Wohnraum zur Verfügung stehen: „Ein neues Tenever kann ja wohl
       nicht das Ziel sein!“
       
       29 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schnase
 (DIR) Simone Schnase
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Immobilien Bremen
       
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