# taz.de -- Nach Brandanschlägen auf Vereinsheim: Idyll hinterm Sicherheitszaun
       
       > Für eine Feuerversicherung müssen die Neuköllner Falken ihr Gelände
       > einzäunen. Das ist teuer.
       
 (IMG) Bild: Das Vereinsheim der Sozialistischen Jugend Deutschlands ist zur Zielscheibe von Brandanschlägen geworden. Das Bild wurde Ende Juni 2011 aufgenommen.
       
       Einhunderttausend Euro. Mirjam Blumenthal muss nicht lange überlegen, was
       sich mit so viel Geld anfangen ließe. „Mehr Gedenkstättenfahrten und
       internationale Jugendbegegnungen“, zählt sie auf. „Wir könnten Kinder zu
       unseren Zeltlagern mitnehmen, deren Familien sich das nicht leisten
       können.“ Auch die Seilbahn, die die Kinder sich schon lange wünschen,
       könnte endlich gebaut werden.
       
       Blumenthal lässt ihren Blick über das Gelände schweifen, das der
       sozialistischen Kinder- und Jugendorganisation „Die Falken“ im Neuköllner
       Ortsteil Britz zur Verfügung steht. Hier fehlt fast nichts zur perfekten
       Bullerbü-Idylle: ein alter Zirkuswagen, eine versteckte Hütte, auf einem
       Hügel eine von den Kindern selbst gebaute kleine Bühne, ein
       Riesentrampolin, auf dem vier kleine Mädchen heute fast den ganzen
       Nachmittag verbringen. Schwedisch-rot steht in der Mitte das
       Anton-Schmaus-Haus für die Gruppentreffen, rundherum wuchert verwildertes
       Grün. Auch der hohe Holzzaun um das Grundstück, mit selbst gezimmerten
       Ausgucken wie Baumhäusern versehen, passt in das Kinderparadies.
       
       Lange wird es den allerdings nicht mehr geben: „Ein Metallzaun, mindestens
       2,60 Meter hoch, mit Überkletterschutz, also oben umgebogen, und mit einem
       durchgezogenen Draht versehen, der bei bestimmter Gewichtsbelastung Alarm
       in der Wachschutzzentrale und hier auf dem Gelände Flutlicht auslöst.“
       Emotionslos rattert Falken-Gruppenleiterin Blumenthal herunter, was in
       Gesprächen mit der Polizei als notwendig zur Sicherung der Anlage befunden
       wurde. Nur ihre streng gerunzelten Brauen lassen vermuten, dass das Bild,
       das sie mit dieser Beschreibung zeichnet, auch für sie ein ziemlich
       unerfreuliches ist: Bullerbü hinterm Sicherheitszaun.
       
       Zweimal wurde das Haus der Neuköllner Falken im vergangenen Jahr durch
       Brandanschläge schwer beschädigt. Dass die Anschläge von Rechten begangen
       wurden, steht für die linke Jugendorganisation fest: Beim ersten Brand im
       Juni 2011 wurden zeitgleich Anschläge auf andere linke Einrichtungen in
       Berlin verübt – das Neonazi-Netzwerk „Nationaler Widerstand Berlin“ hatte
       im Internet dazu aufgerufen. Der zweite Anschlag auf das Anton-Schmaus-Haus
       fand dann am 9. November statt: am Jahrestag der Pogromnacht von 1938.
       Wieder gab es parallel dazu weitere Anschläge.
       
       Erst kürzlich konnten die Falken ihr Britzer Domizil wieder beziehen.
       Während der Instandsetzung hatten sie ein Ausweichquartier in einem
       Jugendzentrum in Rudow. Jetzt riecht es frisch renoviert im
       Anton-Schmaus-Haus – und trotzdem noch ein bisschen nach Rauch. Ein
       Sachschaden von 200.000 Euro war zu reparieren. Dass nun auch noch der
       teure Zaun nötig wird, hat einen ganz konkreten Grund: Ihre bisherige
       Brandschutzversicherung hat den Falken zum Jahresende gekündigt. Ein
       Mehrfach-Opfer versichert man nicht – jedenfalls nicht ohne entsprechenden
       Sicherheitsschutz.
       
       Der junge Sozialist Anton Schmaus hat dem Neuköllner Falken-Domizil seinen
       Namen gegeben. „Ich habe die Rechtlosigkeit satt, ich will mich nicht
       ständig verstecken“, zitiert den 1910 Geborenen ein Plakat, das im Haus
       hängt: Es war seine Begründung, sich 1933 der Polizei zu stellen, als die
       SA-Schlägertrupps der Nazis ihn suchten. Sein Mut und sein Glaube an das
       Recht waren sein Tod: 1934 starb Schmaus im Polizeigewahrsam an den Folgen
       von Misshandlungen.
       
       Die Falken sammeln jetzt Spenden für einen neuen Zaun: 40.000 Euro haben
       sie schon. Nein, verstecken wollten sie sich auch nicht, sagt Blumenthal.
       Aber man könne die Kinder und Jugendlichen, die ab und zu auf dem Gelände
       übernachten, nicht der Gefahr weiterer Anschläge aussetzen. Manche kommen
       schon jetzt nicht mehr, andere werden jetzt von den Eltern gebracht, um den
       kurzen Waldweg nicht alleine laufen zu müssen, der die Straße mit dem
       Falken-Gelände verbindet.
       
       Verstecken wollen und werden sie sich auch nicht. Für die jugendlichen
       Falken, die auf den Rückenlehnen der Holzbänke vor dem Anton-Schmaus-Haus
       sitzen, ist das klar. Aber es sei schon ein „ungutes Gefühl“, Ziel
       rechtsradikaler Anschläge zu sein, sagt Isabel. Die Adresse der Neuköllner
       Falken stand auch auf der Zielliste der Terrorgruppe
       „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU).
       
       ## Keine Hasskappen
       
       „Geburtsfalkin“ nennt Mirjam Blumenthal die blonde 16-Jährige, deren Vater
       schon als Jugendlicher bei den Falken aktiv war. Solche Familientraditionen
       gibt es hier viel: Es sind auch Blumenthals Töchter, die auf dem Trampolin
       spielen. Die 40-Jährige selbst ist seit 32 Jahren dabei – eine
       „Bartfalkin“. „Demokratieerziehung in einem geschützten Umfeld“, das sei
       Ziel und Aufgabe der Falken, sagt sie. Zeltlager, Treffen mit Jugendlichen
       aus anderen Ländern, aber auch Schulungen von SchülervertreterInnen gehören
       dazu. So engagiert und kommunikativ wirken auch die vier Jungfalken vor dem
       Schmaus-Haus: sportlich, frisch, geradezu wohlerzogen. Hasskappen und
       schwere Stiefel sieht man nicht. Die Jugendlichen gehören eher zur Shorts-
       und Badelatschen-Fraktion.
       
       Dass sie nach den Brandanschlägen in der Öffentlichkeit von manchen als
       linksextrem eingestuft wurden, ärgert die Falken. „Dass Rechtsextreme etwas
       gegen uns haben und wir gegen sie, ist klar. Aber das macht uns nicht zu
       Linksextremen. Wir machen hier ehrenamtliche Arbeit mit Kindern. Wir planen
       keine Anschläge“, sagt Fabienne (17).
       
       Die Gefahr, die von Rechtsextremen ausgehe, werde in Politik und
       Gesellschaft nicht ausreichend ernst genommen, da sind die jugendlichen
       Falken sich einig. „Es gibt wenig Einsehen darüber, wie gut organisiert und
       präsent die Rechten sind“, sagt der 16-jährige Marcel: „Als könnte man die
       Gefahr wegignorieren. Und dann tut man regelmäßig völlig überrascht, wenn
       etwas passiert.“
       
       Der Zaun sei deshalb für den Schutz der Kinder und Jugendlichen leider
       wichtig, sagt Isabel: „Aber genauso dringend brauchen wir Leute, die sich
       mit uns dafür einsetzen, Rechtsextremismus zu bekämpfen.“
       
       31 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alke Wierth
       
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