# taz.de -- Kunst am Bundesbau: Der Herr der Werke
       
       > Er verwaltet alle Werke, die in den Parlamentsgebäuden hängen, blinken
       > und schaukeln: Andreas Kaernbach ist Kunstkurator des Deutschen
       > Bundestags.
       
 (IMG) Bild: Im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestages ist die horizontale Skulptur „Steht und fällt“ von Antony Gormley zu sehen.
       
       BERLIN taz | Andreas Kaernbach hat einen Job, den es in diesem Land nur
       einmal gibt. Und er hat, das darf man nach der Begegnung mit ihm sagen,
       eine aufrichtige, wenn auch zurückhaltende Freude an ihm.
       
       Wenn Kaernbach seine Visitenkarte überreicht, prangt oben links der
       Bundesadler, darunter stehen sein Name und die Funktion: „Dr. Andreas
       Kaernbach. Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages“. Ist er
       also so etwas wie der Parlamentsverwalter für Staatskunst?
       
       Kaernbach selbst weist diesen Vergleich höflich lächelnd zurück. Er ist ja
       auch unpassend und inkorrekt. Kaernbach ist viel mehr als ein
       Kunsthausmeister. Der 54-Jährige betreut nicht nur die etwa 4.000 Arbeiten
       umfassende Kunstsammlung des Bundestages. Er ist auch Sekretär des
       Kunstbeirates, also jenes neunköpfigen Gremiums, das darüber entscheidet,
       ob und welche Arbeiten der Bundestag ankauft. Als Sekretär schlägt er dem
       Beirat, in dem alle fünf Fraktionen vertreten sind, vor, was als nächstes
       angekauft werden könnte.
       
       Zu Kaernbachs Stellenbeschreibung gehört zudem die Organisation der
       Kunst-am-Bau-Projekte. Gerade wird am Spreeufer ein Erweiterungsbau des
       Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses in den Grund gerammt, hunderte neue
       Abgeordnetenbüros entstehen dort. Im Bau, am Bau – überall werden dort nach
       der Fertigstellung die Abgeordneten, ihre Mitarbeiter und Besucher auf
       Kunst treffen. Sie hängt in Parlamentsbauten in den Gängen und steht in den
       Nischen. Sie wartet stumm vor den Fenstern in den zahlreich Innenhöfen oder
       schwingt in luftiger Höhe als Installation in einem der Lichtschächte.
       
       ## Krummsäbel und Marx-Plakate
       
       Wenn der oder die Abgeordnete es wünscht, kommt Herr Kaernbach auch vorbei
       und präsentiert für die Bürowände eine passende Auswahl – inklusive
       Probehängung. Sehr kommod haben es die Parlamentarier also in dieser
       Hinsicht. Gleichwohl nehmen nicht alle seinen Artothek-Service in Anspruch.
       Es gibt Büros, da hängt das Weichzeichnerfoto der Abgeordnetenenkel über
       dem Sofa, in anderen zieren Krummsäbel oder Automodelle den Schreibtisch,
       in wieder anderen hängen Urkunden oder Marx-Plakate an den Wänden.
       
       Doch in manchen hängen so viele exquisite Druckgrafiken und Gemälde aus
       Kaernbachs Kunstdepot, dass man sich schon fragt, ob da jemand sein Büro
       mit einer In-Galerie verwechselt.
       
       Andreas Kaernbach sieht sowohl die Krummsäbelliebhaber als auch die
       Kunstkennervertreter gelassen: „Kunstverehrer und -verächter sind doch
       überall gleichmäßig verteilt“, sagt er, warum nicht auch im Parlament?
       
       Kaernbach arbeitet seit bald 23 Jahren in der Bundestagsverwaltung. Er
       hatte am 9. November 1989 in Bonn seinen ersten Arbeitstag. Kurz nach
       Feierabend fiel in Berlin die Mauer. Und wenig später wurde klar, dass
       dieses Land bald 16 Millionen Bürger mehr haben und der Bundestag mitsamt
       seinem Referat Zeitgeschichte nach Berlin umziehen würde. Die
       Zeitgeschichte kam also umstandslos auf Herrn Kaernbach zu und schleppte
       ihn mit in die neue gesamtdeutsche Hauptstadt. Dort wiederum sorgt
       Kaernbach seither dafür, dass die Kunst zu den Parlamentariern kommt.
       
       ## Knappe Entscheidungen
       
       Als dann Christo 1995 den Reichstag verhüllte, sah Andreas Kaernbach die
       Millionen Besucher einen ganzen Sommer lang zur Kunst pilgern. Er begriff:
       „Zu diesem Land haben Künstler etwas zu sagen.“ – Und die Politik, möchte
       man ergänzen, hatte auch was zu den Künstlern zu sagen.
       
       Spätestens seit 1994 die Abgeordneten in Bonn knapp für Christos
       Verpackungscoup abgestimmt haben, ist bekannt, wie sehr Kunst sie aufregen
       kann. 292 zu 223 Stimmen für einen metallic leuchtenden Berliner Sommer –
       das war knapp.
       
       Aber es ging noch knapper. Als im Jahr 2000 der Kunstbeirat über den Ankauf
       von Hans Haackes Erde-und-Unkraut-Installation „Der Bevölkerung“ stritt,
       wurde schließlich das Parlament gefragt. Haacke hatte in jener Zeit, da die
       Unionsparteien besonders heftig gegen Flüchtlinge und Asylbewerber
       polemisierten, offenbar ein innenpolitisches Tabu gebrochen. Er
       interpretierte die alte Giebelinschrift des Reichstagsgebäudes „Dem
       deutschen Volke“ neu. Sein Kunstwerk zeigt die Inschrift „Der Bevölkerung“.
       
       Haackes Begründung damals war, dass fast zehn Prozent der Bewohner der
       Bundesrepublik nicht deutsche Staatsbürger seien – ihnen gegenüber seien
       die Abgeordneten des Bundestages „moralisch verantwortlich“. Mit 260 zu 258
       Stimmen, also nur zwei Stimmen Mehrheit, ging die Sache für Haacke aus.
       „Kunst“, sagt Kaernbach, darauf angesprochen, „ist am besten, wenn sie
       Kontroversen erzeugt.“ Und mal ehrlich, „Hans Haacke im Museum – das regt
       niemanden auf“. Im Parlament offenbar sehr wohl.
       
       Einer der Gegner der Haacke-Installation war übrigens Norbert Lammert. Der
       jetzige Bundestagspräsident war seinerzeit kulturpolitischer Sprecher der
       Union und bezeichnete das Kunstwerk als „skurrile Bundesgartenschau“. Heute
       ist Lammert der Vorsitzende des Kunstausschusses und hat nach Auskunft
       seines Sekretärs viel Freude an Debatten zur Kunst. Kaernbach, unser Mann
       der Kunst, findet, dass Lammert den Ausschuss ausgezeichnet leitet. So wie
       schon dessen Vorgänger. „Süßmuth, Thierse Lammert – ich wünsche mir, es
       möge auf diesem Niveau weitergehen“, fasst Kaernbach zusammen.
       
       ## Drei Prozent für Kunst am Bau
       
       Zwei Prozent der Bausumme von Parlamentsgebäuden werden seit Jahrzehnten in
       Kunstankäufe gesteckt; beim Reichstagsumbau durch Norman Foster waren es
       sogar drei Prozent. Und das sieht man. Wo immer der Blick hinschweift – was
       Abgeordnete und Besucher hier zu sehen bekommen, darf getrost Großkunst
       genannt werden.
       
       Der Kunstbeirat, der über die Ankäufe diskutiert und abstimmt, hat die
       Schwergewichte unter den deutschen Künstlern und aus den einstigen vier
       Alliiertenländern angekauft. Gerhard Richter und Sigmar Polke grüßen
       großformatig, Jenny Holzers LED-Leuchtband blinkt und Joseph Beuys’ „Tisch
       mit Aggregat, 1958/85“ steht vor dem Plenarsaal.
       
       Bernhard Heisigs Gemälde „Zeit und Leben“ hängt mittlerweile in der
       Präsenzbibliothek – der Vertreter der Leipziger Schule hatte noch vor
       seinem Tod im Jahr 2011 darum gebeten, sein Bild aus der nach Bouletten
       müffelnden Cafeteria zu entfernen. Kaernbach sorgte dafür, dass Heisigs
       Wunsch erfüllt wurde. Nun hängt es in der stillen Bibliothek. Tolles Licht,
       riesiger Raum – aber wer sieht den Heisig denn hier überhaupt noch? Ist es
       nicht schade, wenn all die Arbeiten nicht angeschaut werden? In den
       Bundestag kommt schließlich nur, wer einen Hausausweis hat.
       
       ## Mehr Besucher als in Museen
       
       Andreas Kaernbach widerspricht der These von der weggesperrten Kunst. „Den
       Gerhard Richter sehen hier so viele Menschen wie in keinem Museum“,
       erwidert er. Und tatsächlich, anderthalb Millionen Menschen besichtigen
       Jahr für Jahr den Bundestag. Ganze Schulklassen stehen dann im Westeingang
       unter Gerhard Richters riesigem „Schwarz Rot Gold“, lassen von
       Sicherheitsleuten ihre Rucksäcke durchleuchten. Doch dabei schauen sie wohl
       eher nicht nach oben, wo Richter auf zwanzig mal drei Metern die
       Staatsflagge interpretiert hat.
       
       Dessen, sagt Kaernbach, sei man sich bewusst. Und deshalb gebe es mehrere
       Ansätze, die teure Kunst dem teuren Bürger nahezubringen. Da ist zum einen
       der Kunst-Raum, eine Ausstellung, die offen für jedermann direkt am
       Spreeufer liegt. Des Weiteren das Mauermahnmal, ebenfalls an der
       Flaniermeile gelegen. Und es gibt die Kunst- und Architekturführungen durch
       die Gebäude. Alles ist für den Bürger kostenlos – jedenfalls wenn man den
       Umstand vernachlässigt, dass eben dieser Bürger das komplette Angebot
       steuerlich finanziert hat.
       
       Gerade wird im Kunst-Raum gezeigt, wofür die Volksvertreter dieses Geld
       ausgegeben haben. „Neue Linien – Neuerwerbungen grafischer Kunst für die
       Kunstsammlung des Deutschen Bundestages“ heißt die laufende Ausstellung.
       Kuratiert wurde sie von Andreas Kaernbach, dem Mann, der im Parlament die
       Kunst verwaltet.
       
       31 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Maier
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Reichstag
       
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