# taz.de -- Adriaküste: Trip to Montenegro
       
       > Wer mit dem Motorrad vom kroatischen Porec ins montenegrinische Podgorica
       > fährt, durchquert einen Mix europäischer Geschichte.
       
 (IMG) Bild: Marina in Kroatien.
       
       Wenn Sie wie ich aus Zagreb stammen und nicht mehr in der vollen
       Jugendblüte stehen (geboren 1950), dann ist eine Fahrt entlang der Adria
       eine Mischung aus Bildern der Kindheit (erste Ferien mit den Eltern),
       danach der Jugendzeit, wenn Dalmatien per Anhalter entdeckt wird und man
       unter Pinien übernachtet, gesetzeswidrig, und späterer, "reiferer"
       Erlebnisse von Theater- und Konzertaufführungen unter dem freien Himmel
       Dubrovniks und im Diokletianspalast in Split.
       
       Mit der Zeit kommen dann historische Lektüren und das Wissen über die Orte
       dazu. Über das byzantinische Dalmatien, über Napoleon als Modernisierer (er
       ließ in Zadar die erste Zeitung auf Kroatisch drucken und die erste ernst
       zu nehmende Straße durch den Stein schlagen).
       
       Und dann beginnt man zu begreifen, dass es über Jahrhunderte hinweg eine
       Republik Dubrovnik gegeben hat und dass auch die Frage nach der Identität
       Istriens keine einfache ist: slawisch, venezianisch oder italienisch?
       
       Schließlich kamen die historischen Erfahrungen in real time: Der Angriff
       auf Dubrovnik, Zadar jahrelang umzingelt (es gab kaum Strom und Wasser),
       die Flüchtlinge in den Hotels von Rijeka und Opatija, eine Küste ohne
       Touristen, von einer surrealen Leere. Dann, nach dem Jahr 2000, die
       wiederhergestellte Normalität, die Versöhnung mit Montenegro, die Rückkehr
       der serbischen Urlauber.
       
       ## Touristische Schmuckausgaben
       
       Hinter Dubrovnik - nur ein kurzer Blick oben von der Straße auf die Stadt -
       fährt man noch 25 Minuten durch eine idyllische Landschaft voller
       Zypressen: Konavle. Dann, auf einem kleinen Pass, das Ende von Kroatien.
       Seinerzeit habe ich die Grenze noch als eine angespannte, schwierige
       Kriegsgrenze erlebt. Heute ist der Übergang ein normaler, mit entspannten
       Grenzern auf beiden Seiten. In Minutenabständen kommen Ausflugsbusse aus
       Dubrovnik an, in Richtung Boka Kotorska und der alten Hauptstadt
       Montenegros, Cetinje. Auch in der Gegenrichtung eine Kolonne.
       
       Ich fahre in Herzeg-Novi ein, die erste Stadt nach der Grenze. Man
       verschönert sie langsam, entbalkanisiert sie. Bis vor Kurzen war sie ein
       urbanes Monstrum, Paradebeispiel jugoslawischer Verwahrlosung: instant
       slum. Nun aber machen die Einwohner nach und nach ihre Gärten schön und
       stellen Blumen vor ihre Fenster. Warum gerade jetzt, nach dem Sieg der
       Demokratie in Montenegro?
       
       Die Wechselbeziehung zwischen Geranien und Demokratie ist mysteriös. Der
       Sozialismus hat das Pflanzen von Oleander und Rosenbeeten nicht verboten.
       Merkwürdig, aber das Gleiche konnte man auch in Kroatien nach den ersten
       freien Wahlen beobachten. Die Regionen Zagorje und Moslavina begannen wie
       touristische Schmuckausgaben von Österreich auszusehen.
       
       Etwas später, im großartigen Amphitheater Budva, zwischen hohen, steinigen
       Bergwänden und dem kilometerweiten Oval des "brasilianischen" Sandstrands,
       werden auf den letzten noch verbliebenen Quadratzentimetern zusätzliche
       Hotels und Gebäude mit Luxuswohnungen hochgezogen. Auf ebenso
       überdimensionierten Billboards von Immobilienagenturen werden sie zum
       Verkauf angeboten, in russischer Sprache.
       
       Unmittelbar im Stadtzentrum beginnt der steile Aufstieg nach Cetinje und
       Podgorica. Er ist schwindelerregend, aber die Straße ist gut gebaut, die
       Suzuki nimmt die Steigung mit Leichtigkeit.
       
       ## Touristischer Boom
       
       Wie aus dem Flugzeug blickt man von hier auf Budva, Abbild eines
       unglaublichen Booms. In der Bucht kreuzen langsam Dutzende Motoryachten und
       Segelboote, aus der Stadt ragen hohe Baukräne auf. Fortschritt auf
       Amerikanisch.
       
       Nach anderthalb Tagen mache ich erleichtert den Motor aus. Vor dem großen
       Hotel Crna Gora, einem modernistischen Bau aus den Fünfzigerjahren, erbaut
       zum Ruhme einer neuen Zeit. Im Zimmer schwere rote Samtvorhänge, die ein
       angenehmes Halbdunkel erzeugen
       
       Um halb elf am nächsten Tag warten vor dem Hotel zwei Busse und fahren
       geladene Gäste in Richtung der Vorstädte, des Flughafens und des riesigen
       Areals der ehemaligen jugoslawischen Armee. Wir fahren in diese verbotene,
       gefährliche Zone, die ich mit einer Spur von Angst aus dem Jahr 1999 gut
       erinnere: ein graues Meer aus Panzern und Lastwagen, Feldzelten,
       Stacheldraht. Nach fünfzehn Minuten biegen die Busse von der Hauptstraße
       ab, ein schmaler Weg führt durch ein leeres, ödes Feld. Eine Rampe, ein
       Wachmann. Und dann das Spektakel. Gepflegte Blumenbeete, kunstvoll
       angelegte Palmen und Pinien. Vom Parkplatz wandern wir einem kleinen Hügel
       entgegen, am Fuß des Hügels steht ein großes, aus Stein gehauenes Bogentor,
       das den Weg zum Hangar für Kriegsflugzeuge weist.
       
       ## Angekommen in der Postmoderne
       
       Aber auch dieser schauderhafte Rachen wurde domestiziert. An den Felsen
       fließt ein kleiner Bach herunter. Wasser strömt und plätschert herab durch
       Blumen und Pflanzen. Hat man den riesigen Rachen der Bunkeranlage
       durchschritten, erlebt man einen thermischen Schock: Draußen sind es über
       30 Grad, drinnen in der Höhle eisige 12 Grad.
       
       Es ist sofort spürbar und allgegenwärtig: Hier wohnte das Biest. Der roh
       herausgeschlagene Tunnel ist an die 12 Meter hoch und hat gut 25 Meter
       Breite. Das graue Gewölbe ist vorn grell beleuchtet, nach ungefähr hundert
       Metern verliert es sich im Halbdunkel. Der Tunnel macht dort eine große
       Kurve. In diesem unterirdischen Verlies wurden zwanzig bis dreißig MiGs
       geparkt. Jahrein, jahraus warteten sie darauf, ihre Düsenmotoren
       anzulassen, ans Tageslicht zu fahren und sich dann in den Himmel über
       Jugoslawien zu erheben - um den Feind zu verjagen. Einen Feind, der
       allerdings nie erschienen ist, sodass die infernalische Maschinerie
       verrückt wurde und sich auf das eigene Land stürzte. Der Tunnel atmet noch
       die Leere eines Landes, das es nicht mehr gibt.
       
       Im Tunnel wird das grobe Gewölbe indirekt von Halogenlicht bester Qualität
       angestrahlt. Rechts ist eine lange Balustrade aus irgendeinem
       Hightech-Metall. An einer balkonartigen Verbreiterung spielt eine Jazzband.
       Unten reihen sich große, dunkle Weinfässer aneinander. Davor ein Dutzend
       hoher Tische mit Spitzenweinen in Karaffen. Elegante junge Kellnerinnen und
       Kellner bieten uns den montenegrinischen Prosciutto und den Käse des Landes
       an. Sie kommen aus seitlichen Sälen, einer für jedes Flugzeug, das dort
       geparkt wurde. Ich kann es nicht glauben. Es ist tatsächlich das erste Mal,
       dass ich erblicke, was Postmoderne wirklich ist - und das gleich in der
       bestmöglichen Version.
       
       4 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nenad Popovic
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Reiseland Kroatien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA