# taz.de -- Buch „Nullzeit“ von Juli Zeh: Psychothriller ohne Psyche
       
       > Statt im politischen Engagement versucht sich die Schriftstellerin Juli
       > Zeh mal im Gefühlstheater. Leider geht ihr neuer Roman „Nullzeit“ dabei
       > komplett baden.
       
 (IMG) Bild: Juli Zeh engagiert sich besser politisch statt Psychthriller zu schreiben.
       
       Die Kanarischen Inseln sind auch in der Zeit der Eurokrise ein
       verlässliches Urlaubsparadies. „Ich interessiere mich nicht für Politik“,
       sagt Tauchlehrer Sven, der zusammen mit seiner Freundin Antje hierher
       ausgewandert ist, um eine Tauchschule zu betreiben. Und tatsächlich war’s
       das dann auch mit Politik für den Rest des Buches. Juli Zeh, die doch zu
       den politisch engagierten Autorinnen ihrer Generation gehört, scheint in
       „Nullzeit“ die Haltung ihres Helden zu teilen – „Um den ganzen Tag
       Nachrichten im Internet zu lesen, hätte ich nicht auswandern müssen“ – und
       sich eine Auszeit in sommerlicher Kulisse zu gönnen.
       
       Sie wandert gewissermaßen literarisch aus in die politikferne
       Urlaubsregion, um sich in der Vulkanlandschaft Lanzarotes und bei
       Tauchgängen auf den Meeresgrund stattdessen mit Intrigen, Abhängigkeiten,
       Sex und Mordversuchen zu befassen.
       
       Das Personal, das sie dazu bereitstellt, ist jedoch so beschaffen, dass es
       schwerfällt, Anteil an diesem Treiben zu nehmen. Neben Sven und Antje, die
       eher eine Randfigur bleibt, sind das die Vorabendseriendarstellerin Jola
       und ihr Lebensgefährte Theo, ein Schriftsteller, dem so recht nichts
       gelingen will und den Jola, weil er schon 42 ist, vorzugsweise „alter Mann“
       nennt. Jola will tauchen lernen, um sich damit auf eine begehrte, endlich
       einmal seriöse Rolle vorzubereiten, die sie dann am Ende doch nicht
       bekommt.
       
       ## Sadomasochistische Spielchen
       
       Wichtiger sind jedoch die sadomasochistischen Spielchen, in die die beiden
       verstrickt sind, stets damit befasst, sich tiefenwirksam zu demütigen (sie
       ihn), oder gewalttätig zu bearbeiten (er sie), um so das sexuelle Begehren
       immer wieder neu zu entfachen. Sven wird bei diesem Gefühlstheater vom
       erstaunten Beobachter zum Mitspieler, denn wie es in so einem Roman wohl
       nicht anders sein kann, verliebt er sich in die mit einem perfekten Körper
       ausgestattete Schauspielerin.
       
       Wenn die drei nicht so unendlich öde wären in ihrem Denken und Handeln,
       dann könnte sich aus dieser Konstellation vielleicht tatsächlich so etwas
       wie Spannung entwickeln. Doch in einer Psyche, in der es kaum einen
       interessanten Winkel gibt und keinen Widerhall, weil alles so blank poliert
       und zurechtgemacht ist, kann kein Psychothriller entstehen.
       
       Interessanter ist ein anderes Motiv. Während zunächst der eher biedere
       Tauchlehrer als ein Erzähler fungiert, der ganz und gar in der
       beschaulichen, eng begrenzten Inselwelt aufgeht, gibt es zwischendurch
       immer wieder Auszüge aus Jolas Tagebuch. Ihre Berichte weichen von Svens
       Darstellungen zunächst nur leicht ab, entwickeln sich dann aber mehr und
       mehr zu einer damit völlig unvereinbaren Parallelwirklichkeit. Während Sven
       darlegt, wie er die erotischen Versuchungen immer wieder tapfer
       niederringt, ist er für Jola der gierige Sexsüchtige, der ihr hartnäckig
       nachstellt, obwohl sie ihn immer wieder zurückweist. Und Theo, der „alte
       Mann“, leidet theatralisch an ihrer Seite.
       
       ## Keinerlei Glaubwürdigkeit
       
       Dadurch entsteht eine reizvolle Irritation. Klare Wirklichkeiten überlagern
       sich zu einem verwischten, unscharfen Bild. Klar ist da nur noch, dass es
       sich um hochgradig inszenierte Wirklichkeiten handelt. Der Plot aber, in
       dem Juli Zeh diese Spiel aus Lug und Trug einbettet, indem sie ein groß
       angelegtes Mordszenario entwirft, ist derart hanebüchen, dass dem Buch vom
       Ende her jegliche Glaubwürdigkeit entzogen wird und es in sich
       zusammensackt wie eine Luftmatratze, aus der man den Stöpsel zieht.
       
       Die titelgebende „Nullzeit“, so lernt man von der in die Geheimnisse der
       Tauchkunst offenbar eingeweihten Autorin, ist übrigens „die Zeitspanne, die
       ein Mensch in einer bestimmten Tiefe tauchen kann, ohne sich bei sofortiger
       Rückkehr an die Oberfläche einem Gesundheitsrisiko auszusetzen“.
       
       Da ist der Raum für mögliche Attentate also klar definiert. Nullzeit ist
       darüber hinaus auch eine brauchbare Metapher für verschwendete Lebenszeit.
       Insofern ist es der denkbar beste Titel für diesen Roman, der genau das
       bietet, was er verspricht: Nullzeit. Und die ist, wie jede Null, innen
       hohl.
       
       Juli Zeh: „Nullzeit“. Schöffling & Co, frankfurt am Main 2012, 256 Seiten,
       19,95 Euro.
       
       12 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörg Magenau
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Juli Zeh
       
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