# taz.de -- DIE WAHRHEIT: Urlaub beim blanken Hans
       
       > „Hm“, machte Raimund, während er durch das Panoramafenster des
       > Frühstücksraums schaute, „das ist wohl das berüchtigte Schietwetter.“
       
       „Hm“, machte Raimund, während er durch das Panoramafenster des
       Frühstücksraums schaute, „das ist wohl das berüchtigte Schietwetter.“ Ich
       nickte. Das Meer schwappte kalt und grau gegen den Deich, und der böige
       Wind trieb Regenbreitseiten gegen die Scheibe. Auch Theo kam jetzt die
       Treppe herunter. „Moin“, sagte er: „Wie ist die Urlaubslaune?“ – „Geht so“,
       brummte Raimund und nickte mit dem Kopf in Richtung Fenster. „Ach“, meinte
       Theo, „das Wetter kann sich hier in Minuten ändern. Lasst uns erst mal
       frühstücken – ihr werdet sehen, heute Mittag braten wir am Strand in der
       Sonne und hüpfen in die See!“ – „Außer, sie ist bis dahin zugefroren“,
       murmelte ich.
       
       Seit Jahren hatten wir davon gesprochen, mal wieder zusammen ans Meer zu
       fahren. Jetzt war es so weit, und bis vor kurzem glaubte ich noch, dass wir
       vom Mittelmeer sprachen. Dann aber führten notorische Geldknappheit und
       Theos genialischer Einfallsreichtum zu einer unheiligen Idee: „Meer ist
       gleich Meer“, sagte er: „Lasst uns an die Nordsee fahren! Es ist dort viel
       billiger als in Italien, und der Sommer ist fantastisch: Wir werden
       herrliche Tage am Strand verbringen und an den lauen Abenden am Hafen
       sitzen und Riesenberge Nordseekrabben vertilgen. Das wird super!“
       
       Ich wusste es besser. Ich war an der Nordseeküste aufgewachsen und nicht
       umsonst vor dreißig Jahren von dort geflohen. Schon als Kind hatte ich es
       gehasst, dass man in der „Tagesschau“ von einem Jahrhundertsommer sprach
       und Bilder von überfüllten Freibädern zeigte, während wir Küstenknirpse es
       nicht wagen konnten, das Haus ohne Schal und Ölzeug zu verlassen.
       Bedauerlicherweise jedoch neigt Raimund manchmal dazu, eher Theo zu glauben
       als mir – und damit war ich überstimmt.
       
       Nach dem Frühstück gingen wir hinaus. Der Regen hatte tatsächlich
       aufgehört, doch der Wind trieb weiterhin dicke graue Wolkenteppiche über
       den Himmel. Trotzdem war der Strand voller älterer Menschen, die
       blaugefroren in den Wellen planschten und sicherlich der Auffassung waren,
       dass nur ein Weichei bei diesen Temperaturen einen Wollpulli brauche.
       
       Nachdem wir ein paar Schritte den Deich hinuntergeschlendert waren, setzte
       der Regen wieder ein, und weil Raimund immer lauter darüber klagte,
       Pudelmütze und Gummistiefel zu Hause gelassen zu haben, ging bald auch
       Theos gute Laune flöten, so dass wir kehrtmachten und uns in der Pension in
       unseren Zimmern verkrochen.
       
       Der Tag zog sich hin. Ich starrte hinaus in das trostlose Grau und
       langweilte mich krumm. Als es Abend wurde, trafen wir uns unten an der
       Rezeption, liehen uns Regenschirme und stapften missmutig in den Ort.
       Plötzlich blieb Raimund stehen. „Da! Da!“, rief er mit bebender Stimme, und
       schlagartig waren auch Theo und ich elektrisiert: Denn vor uns lag die
       „Pizzeria Palermo – da Ugo“, und so rannten wir los, bestellten viel mehr,
       als wir essen konnten, und saßen mit Ugo persönlich bis tief in die Nacht
       beisammen, tranken Grappa und fabulierten ausgelassen über das herrliche
       Klima und die Schönheit von bella Sicilia.
       
       14 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joachim Schulz
       
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