# taz.de -- Film „We need to talk about Kevin“: Die Farbe der Schuld
       
       > Horrorfilm? Familiendrama? Am besten ist Lynne Ramsays Film „We need to
       > talk about Kevin“, solange er unentschieden bleibt und es um den
       > Mutter-Sohn-Konflikt geht.
       
 (IMG) Bild: Eine gestörte Mutter-Sohn-Beziehung: Tilda Swinton, Jasper Newell in „We need to talk about Kevin“.
       
       „Ich lande geradewegs in der Hölle“, entgegnete Tilda Swinton einmal auf
       die Frage eines Mormonen, wo sie nach ihrem Tod enden werde. In Lynne
       Ramsays Film „We need to talk about Kevin“ bekommt sie als Eva
       Khatchadourian hiervon bereits einen kleinen Vorgeschmack.
       
       Sie hat ein Teufelskind zur Welt gebracht, einen Damien mit bösem Blick,
       der sich für die Lieblosigkeit seiner Mutter auf grausame Weise
       revanchiert. Zur Strafe beschmieren die Nachbarn ihr kleines Häuschen mit
       roter Farbe. Das Rot bezeichnet eine Schuld. Doch alle Versuche Evas, diese
       Schuld zu sühnen, sind zum Scheitern verurteilt. Das Gewissen lässt sich
       ebenso wenig reinwaschen wie die Veranda ihres Hauses; schon die
       Reinigungsmaßnahmen erinnern an ein blutiges Massaker.
       
       Ähnliche Assoziationen stellen sich in den Rückblenden vom spanischen
       La-Tomatina-Festival ein, die aus einer lange zurückliegenden Zeit zu
       stammen scheinen. Rot setzt Ramsay in „We need to talk about Kevin“ sehr
       plakativ als Signalfarbe ein. Als sich Eva im Supermarkt vor einer
       Nachbarin versteckt, zeigt die Kamera sie vor einer Regalwand aus
       Tomatenkonserven.
       
       So sind die Bilder von Beginn an konnotiert. Das Rot zieht eine
       signifikante Spur durch Ramsays Film: Schmierereien, Tomaten,
       Krankenwagenlichter. Die fluiden Schnitte, in denen verschiedene Zeit- und
       Klangebenen ineinanderfließen, suggerieren dabei die subjektive Wahrnehmung
       Evas. Die Vorgeschichte, die in den Zeitsprüngen langsam Konturen annimmt,
       ist so schmerzhaft, dass sie erst in fragmentierten Bildern erträglich
       wird. Eva verschanzt sich hinter diesen kleinsten Sinneinheiten ihrer
       Erinnerung.
       
       Wie Ramsay diese Bruchstücke aufliest und zu einer Tragödie zusammenfügt,
       zeugt von großer erzählerischer Umsicht. Ständig wird Eva von der
       Vergangenheit eingeholt. Einmal verpasst ihr eine Passantin eine schallende
       Ohrfeige, ein anderes Mal stoppt sie ein Junge im Rollstuhl auf der Straße.
       Es sind vereinzelte Vorkommnisse, doch sie stehen in einem unmittelbaren
       Zusammenhang mit den Bildern von Evas Familie, ihrem Mann Francis (John C.
       Reilly), ihrer kleinen Tochter Celia und natürlich Kevin. Ramsay lässt
       keinen Zweifel: Hier ist der Ursprung des Ereignisses zu finden, das der
       Film so sorgsam in seiner dissoziativen Montage versiegelt.
       
       ## Zuflucht im Schutz des Presslufthammers
       
       Swinton ist die perfekte Besetzung für Eva, eine hochneurotische Autorin
       von Reisereportagen, die ihr Arbeitszimmer mit Landkarten von
       Sehnsuchtsorten tapeziert, während sie in einem „Palast“ in der Suburbia
       festsitzt. Was genau Eva sich von ihrem Leben erhofft hat, wird nicht ganz
       ersichtlich – sicher jedoch keine vollen Windeln und permanentes Geschrei:
       Erleichterung verschafft sie sich, indem sie mit dem brüllenden Jungen
       neben einer Baustelle Halt macht. Im Schutz des Presslufthammers entspannen
       sich ihre Gesichtszüge für einen Augenblick.
       
       Als Teenager entwickelt sich Kevin zu einem gefühllosen Manipulator, der
       die bemühten Liebesbeweise seiner Mutter mit Verachtung straft. So könnte
       man „We need to talk about Kevin“ für die Geschichte einer gestörten
       Mutter-Sohn-Beziehung halten, würden die Indizien nicht früh auf eine viel
       größere Katastrophe hindeuten.
       
       Hier liegt auch die Schwachstelle von Ramsays ansonsten beispiellos
       konsequentem Film, der Evas von Schuldgefühlen kompromittierte Perspektive
       lange durchhält und so heimlich Francis’ Zweifel an seiner Frau schürt.
       Ramsay gibt diese Ambivalenz leichtfertig für eine gesellschaftliche
       Problematik auf, womit die viel interessantere Dynamik des
       Mutter-Sohn-Konflikts in sich zusammenfällt. Am Ende scheint die Metaphysik
       des Horrorfilms doch über den Biologismus des Familiendramas zu
       triumphieren. Lasst alle Hoffnung fahren. „The point is“, erklärt Kevin
       seiner Mutter, „there is no point.“
       
       ## „We need to talk about Kevin“. Regie: Lynne Ramsay. Mit Tilda Swinton,
       John C. Reilly, 110 Min. USA/Großbritannien 2012
       
       15 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Busche
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Joaquin Phoenix
       
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