# taz.de -- Debatte Europäische Gemeinschaft: Mehr Englisch, bitte!
       
       > Mit Händen und Füßen lässt sich nur Bier bestellen: Die Europäer müssen
       > lernen, in einer gemeinsamen Sprache zu lachen und einander besser zu
       > verstehen.
       
 (IMG) Bild: Der Traum von Multikulti – Europa könnte ein Vorbild sein.
       
       Die Brüllerei fehlt. Die Aufregung. Der Witz und Humor. Der Streit darum,
       wie Europa aus der Krise kommt. Sicher, Angela Merkel, François Hollande,
       Mario Monti arbeiten an ihren Antikrisenplänen. Die Philosphen Jürgen
       Habermas, Julian Nida-Rümelin und der Ökonom Peter Bofinger fordern ein
       „politisch geeintes Kerneuropa“. Und Sigmar Gabriel plädiert dafür, die
       Schulden der Euro-Länder zu vergemeinschaften.
       
       Aber: Europa hat dafür keine Sprache, vor allem keine gemeinsame. So
       wichtig und akut die wirtschaftlichen Fragen sind, darüber müssen wir auch
       reden. Sonst kriegt Europa das nicht hin. Wer denkt schon europäisch, wenn
       es dafür keine gemeinsame Erzählung gibt.
       
       Drei Annahmen. Nummer 1: Eine europäische Innenpolitik zu denken, ist
       richtig, da die Europäer in wenigen Jahrzehnten allenfalls noch knappe fünf
       Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, sich die Machtverteilung weltweit
       verschiebt. Es wäre absurd zu glauben, dass die einzelnen Staaten für sich
       alleine weiterkommen.
       
       Annahme 2: Europa wird aber keine Gemeinschaft, wenn es keine Politiker
       gibt, die Bürger mitreißen, um Argumente werben; wenn es kein Parlament
       gibt, das auch eine Bühne, ein Theater ist, also die Macht des Wortes nicht
       gewaltig sein kann.
       
       Letzte Annahme: Auch ein Arbeitsessen der Regierungschefs verträgt die 23
       Amtssprachen kaum. Da helfen auch die Dolmetscher nicht, für die Brüssel
       insgesamt jedes Jahr gut eine Milliarde Euro, also knapp ein Prozent des
       Gesamthaushaltes, ausgibt.
       
       ## Understatement verstehen
       
       Eine Garantie für ein gegenseitiges Verständnis gibt es nicht, schon gar
       nicht für eine europaweite politische Union. Die Griechen verstehen
       vielleicht, was ihnen ihre eigenen Politiker zumuten. Aber was Franzosen
       oder Polen dazu sagen? Es ist paradox. Noch nie waren transnationale Fragen
       so wichtig wie in diesen Monaten. Doch du meine Güte, Europapolitik? Wie
       fremd und ermüdend.
       
       Im EU-Parlament streiten verschiedene Parteien aus 27 Ländern, zürnt Nord
       gegen Süd, konservativ gegen links, Empfänger gegen Geber – wer weiß das
       schon. Zumal: Regt sich im Parlament etwa einer von der polnischen
       Bauernpartei auf, wird dies zunächst ins Englische übersetzt und dann erst
       in die spanische oder italienische Version. Mit ruhiger Stimme. Das Wort
       muss verlieren.
       
       Das absichtliche Poltern, das Understatement, die Grenzüberschreitung
       funktionieren nicht; das gehört aber alles zum demokratischen Ringen um die
       beste Idee dazu. So kommt zu Hause von Europa bisher vor allem eines an: Da
       kämpfen Institutionen gegeneinander, der Rat gegen die Kommission, die
       Kommission gegen das Parlament. Da setzen sich statt präziser Argumente
       allenfalls Schlagwörter aus der Sprache der Bürokratie durch,
       „sustainability“ zum Beispiel. Und ab und zu ärgern sich alle über ein
       Glühbirnenverbot – und die da in Brüssel.
       
       Viel zu lange haben selbst Pro-Europäer gedacht, sie müssten die Vielfalt
       fördern, um das Zusammenwachsen Europas verkaufen zu können. Ein Wir-Gefühl
       will sich aber nicht einstellen. Mit Händen und Füßen lässt sich in den
       Ferien ein Bier bestellen, aber keine europaweite Politik machen.
       
       ## Arte reicht nicht
       
       Europa fehlt die große, kritische Öffentlichkeit. Die europäischen Bürger,
       die fragen, nachhaken und sich einmischen, sind selten. Der
       deutsch-französische Kulturkanal Arte mag schön sein, reicht aber nicht.
       Ein Europa-Talk zur besten Sendezeit, die Übertragung einer
       Parlamentsdebatte in Brüssel – davon sind wir weit entfernt. Die europäisch
       angelegte Wochenzeitung „The European“ floppte Ende der 90er. Wer nun sagt,
       da ist eben wirklich nichts, nada, niente – liegt allerdings falsch.
       
       Zum Beispiel planen drei Männer, alle um die dreißig Jahre alt, derzeit
       „The European Daily“, eine Zeitung, die zunächst online, später auch
       gedruckt erscheinen soll. 15 Leute gehören zum Team. Ob sie Erfolg haben,
       wie viele Menschen ihre neue Zeitung lesen werden, ist natürlich offen.
       
       Wirklich ernst zu nehmen ist aber ein anderes Projekt der letzten Monate:
       die Gegenbewegung zum Urheberrechtsabkommen Acta. Plötzlich interessierten
       sich Tausende Netzaktivisten für EU-Politik, schrieben Protest-Mails,
       gingen auf die Straße. Und die EU-Politiker kamen unter Druck, mussten
       reagieren. Ihre Sprache: zuallererst Englisch.
       
       ## Wir müssen indischer werden
       
       Das ist längst auch die Sprache der weltweit reisenden und arbeitenden
       Wirtschafts- und Finanzleute. Sie verhandeln ihre Interessen damit
       erfolgreich. Es ist gut, wenn dieser globalisierten Elite etwas
       entgegengesetzt wird. Selbstverständlich ist die Dominanz des Englischen
       mit dem britischen Kolonialismus und dem Einfluss der USA verknüpft. Der
       Traum von einer künstlichen Universalsprache wie Esperanto ist jedoch
       passé. Mit dem Netz, das weniger auf Nationales getrimmt ist, ist Englisch
       zu einer demokratischen Sprache geworden.
       
       Darum spricht sie noch nicht jeder und will auch nicht jeder auf seine
       eigene Sprache verzichten. Muss er auch nicht. Europa muss aber im besten
       Sinne – sagen wir – indischer werden: Englisch wird Amtssprache für alle.
       Wenn man sie nicht sprechen kann, muss man sie zumindest verstehen können.
       
       Machbar ist das. Schließlich ist in Dänemark, den Niederlanden, den
       kleineren EU-Länder die Zweisprachigkeit schon gang und gäbe. Es sind die
       großen Staaten wie Frankreich oder Deutschland, die blockieren. Von
       Migranten verlangen sie zwar selbstverständlich, eine zweite Sprache zu
       lernen. Filme aus Hollywood werden im Fernsehen aber noch nicht einmal im
       Original gezeigt.
       
       Schnell wird es mit der gemeinsamen Verständigung nicht gehen. Die
       Billionentransfers, die Euro-Rettung, die vielen Krisengipfel – sie werden
       in den nächsten Monaten von wenigen entschieden. Wer verhindern will, dass
       Europa ein Projekt der Eliten bleibt, muss dafür sorgen, dass künftig jeder
       Europäer zwei Sprachen lernt: Englisch und die eigene Muttersprache.
       Italienisch oder Polnisch, Spanisch oder Deutsch. Denn in München und
       Chemnitz soll jeder sein Bier noch auf Deutsch bestellen und dann
       hoffentlich streiten können – über Europa.
       
       17 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanna Gersmann
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Debatte EU-Kritik: Unsere eigenartigen Europa-Kritiker
       
       Bislang ereiferte sich niemand über Europa. Die EU gehörte den
       Technokraten. Jetzt beginnt im egozentrischen Deutschland eine irrationale
       Debatte.
       
 (DIR) Europa und die Demokratie: „Eine Frage der Glaubwürdigkeit“
       
       Der Fall Rumänien zeigt, dass Europa neue Regeln braucht, sagt EU-Expertin
       Corina Stratulat. Alle EU-Mitglieder sollten kontinuierlich überprüft
       werden – nicht nur die Beitrittskandidaten.
       
 (DIR) Europäische Union: Weil Europa großartig ist
       
       Die Staatengemeinschaft ist weder Wolkenkuckucksheim noch notwendiges Übel.
       Sie bietet die Chance für ein solidarisches Leben der Nationen – man muss
       nur anfangen.