# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Fataler Reichtum
       
       > Während der deutsche Handelsüberschuss alle anderen noch ärmer macht, hat
       > sich in Griechenland die Selbstmordrate inzwischen verdreifacht.
       
 (IMG) Bild: An der Dürre verdienen nur die Spekulanten
       
       Von den Empörten in Spanien bis zur weltweiten Occupy-Wall-Street-Bewegung
       gehen allerorten Menschen auf die Straße, um sich gegen die Zumutungen des
       Finanzkapitalismus zu wehren: Zum einen gegen die Arbeits- und
       Perspektivlosigkeit der vielen, zum anderen gegen den Reichtum und die
       Macht der wenigen.
       
       Vor allem ein Thema treibt die Menschen um - und das ist nicht die
       Staatsverschuldung, die so viele Politiker als Wurzel allen Übels
       darstellen, sondern etwas viel Fundamentaleres: die Verteilungsfrage.1
       
       Diese Frage ist nicht nur in moralischer, sondern auch in
       wirtschaftspolitischer Hinsicht aktueller denn je. Beginnen wir bei der
       Eurokrise, um zu begründen, warum das so ist. Anders als uns die Politiker
       - vor allem in Deutschland - glauben machen wollen, sind die hohen Schulden
       ja nicht auf eine typisch südeuropäische Faulheit und Verschwendungssucht
       zurückzuführen. Die ebenso hoch verschuldeten Länder USA, Irland oder Japan
       widerlegen diese Behauptung.
       
       Die Überschuldung ist in fast allen Krisenländern eine Folge der 2007
       ausgebrochenen Finanzkrise. Diese begann bekanntlich als Immobilienkrise in
       den USA, aber auch in Irland und Spanien,(2) und mutierte schnell zur
       Bankenkrise. Um die einzudämmen, sprangen die Staaten mit gigantischen
       Rettungsaktionen ein, ergänzt durch Konjunkturprogramme wie etwa die
       Abwrackprämie. Und all das finanzierten sie, wie auch sonst, auf Pump.
       
       ## 
       
       Die eigentliche Frage ist daher die nach den Ursachen der Finanzkrise.
       Natürlich gibt hier nicht die eine, allumfassende Erklärung. Zu den
       Faktoren, die zum Entstehen der Krise beitrugen, gehören beispielsweise die
       Deregulierung der Finanzmärkte und die dadurch ermöglichten hochriskanten
       "Finanzinnovationen"; die globalen und innereuropäischen Handels- und
       Wettbewerbsungleichgewichte, die etwa der griechischen Wirtschaft das
       Rückgrat brachen; und auch die künstlich niedrigen Zinsen - in den USA zur
       Bekämpfung der Rezession nach dem Crash der New Economy und in Südeuropa
       als Folge der Euro-Einführung -, die in zahlreichen Ländern zu einer
       Immobilienblase führten.
       
       Diese verknappte Darstellung vermag jedoch nicht zu erklären, wo die
       gewaltige Macht der Finanzmärkte herrührt. Konkret: warum zum Beispiel auf
       die kostspieligen Bankenrettungen unmittelbar nach Ausbruch der Finanzkrise
       in der sich anschließenden Eurokrise gleich wieder ein Bankenrettungsschirm
       aufgespannt werden musste - natürlich auf Kosten der Steuerzahler.
       
       Auch dafür gibt es mehrere Gründe. Da ist zum einen die erpresserische
       Macht der riesigen Bankkonzerne, die zu groß geworden sind, als dass man
       sie im Krisenfall sich selbst überlassen könnte ("too big to fail"). Da
       sind zum andern der Konkurrenzdruck der Globalisierung und das damit
       einhergehende Fallen der Profitraten. Dies führte dazu, dass die Renditen
       der Realwirtschaft als nicht mehr ausreichend erschienen und der globale
       Kapitalismus ein neues, profitträchtiges Anlagefeld entwickeln musste: eben
       die Finanzmärkte.
       
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       Die Krise hat also sehr vielfältige Ursachen, und es wäre eine unzulässige
       Vereinfachung, sie allein auf die Verteilungsfrage zurückzuführen. Dennoch
       gilt: Die Finanzmärkte hätten längst nicht die Macht, die sie haben, wenn
       sie nicht so viel Geld bewegen könnten - mehr als 200 Billionen US-Dollar,
       das Dreifache des Weltsozialprodukts.3 Und für diese globale Geldschwemme
       gibt es einen klar zu identifizierenden Grund: die zunehmende Konzentration
       von Einkommen und Reichtum in den Händen weniger.
       
       Wenn das Volkseinkommen breit gestreut wird, das heißt als Lohn oder
       staatliche Transferleistung bei der gesamten Bevölkerung ankommt, dann wird
       ein großer Teil davon für den täglichen Bedarf gleich wieder ausgegeben.
       Das erhöht die Nachfrage und kurbelt die Realwirtschaft an. Wenn aber ein
       immer größerer Teil auf die Konten derjenigen fließt, die ohnehin mehr
       haben, als sie jemals ausgeben können, dann wird dieses Geld auf den
       Finanzmärkten angelegt.
       
       Und zwar mit dem einzigen Ziel, sich scheinbar aus sich selbst heraus zu
       vermehren. Parallel dazu wachsen - ebenfalls scheinbar aus sich selbst
       heraus - die Finanzmärkte mit dem Effekt, dass die Realwirtschaft, sprich
       die Produktion von Gütern und allen möglichen nichtfinanziellen
       Dienstleistungen, zum bloßen Anhängsel verkümmert. Jedenfalls aus Sicht der
       Investoren.
       
       ## 
       
       Diese Entwicklung ist seit längerer Zeit im Gange. Seit den 1980er Jahren,
       seit Beginn des neoliberalen Aufbruchs der Regierungen von Thatcher und
       Reagan, hat die Politik dafür gesorgt, dass sich Arbeit und Einkommen
       zunehmend entkoppeln. Voraussetzung dafür war, die Macht der Gewerkschaften
       auf breiter Front zu brechen (nach dem Vorbild Margaret Thatchers) und ganz
       bewusst einen Niedriglohnsektor zu schaffen, und zwar mittels Deregulierung
       der Arbeitsmärkte und dem Rückbau des Sozialstaats (die Methode Gerhard
       Schröder). Die Folge war, dass die Reallöhne stagnierten oder sogar sanken
       und der Anteil der Löhne am gesamten Volkseinkommen schrumpfte. Im
       Vergleich dazu sind die Managerbezüge und die Gewinne im Finanzsektor
       regelrecht explodiert. Eben diese Gewinne lassen die Vermögen der ohnehin
       schon Vermögenden weiter anwachsen und stocken damit die Geldmenge auf, die
       auf den globalen Finanzmärkten angelegt werden.
       
       Dabei versteht sich fast von selbst, dass dieser wachsende Reichtum sich
       nicht in den Steuereinnahmen des Staates widerspiegelt, so dass dieser viel
       zu wenig zu einer Rückverteilung an die Bedürftigeren beitragen kann. Im
       Gegenteil: In Deutschland und den meisten anderen entwickelten Ländern
       haben die Steuerreformen der vergangenen Jahre, sprich die Senkung der
       Steuern auf Spitzeneinkommen, Kapitalerträge und Konzerngewinne, die
       Umverteilung von unten nach oben noch verstärkt.
       
       "Es geht nicht um Verteilungsgerechtigkeit, es geht um
       Chancengerechtigkeit", lautete das Argument, mit dem Bundeskanzler Gerhard
       Schröder diese Weichenstellung verkauft hat. "Eine Gesellschaft lebt
       dynamischer, wenn es Ungleichheiten gibt", verkündete sein
       Wirtschaftsminister Werner Müller. Und der damalige SPD-Fraktionschef Peter
       Struck befand, die traditionelle SPD-Politik nach dem Motto: "von den
       Reichen nehmen, um den Armen zu geben", könne nicht länger "die Politik
       unserer modernen Gesellschaft sein".(4)
       
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       Das war nicht nur leeres Gerede. Die Einkommen der Gut- und der
       Geringverdiener haben sich seit dem Antritt der rot-grünen Regierung
       tatsächlich dramatisch auseinanderentwickelt. Bei den Managerbezügen ließen
       sich exponentielle Steigerungen durchsetzen, während am anderen Ende des
       Spektrums ein prekärer Niedriglohnsektor geschaffen wurde. Von 1999 bis
       2009 schrumpfte das Einkommen des Bevölkerungszehntels mit dem geringsten
       Einkommen um 9,6 Prozent, im gleichen Zeitraum wuchs es beim obersten
       Zehntel um 16,6 Prozent.(5)
       
       Dazu passt eine Meldung der Hans-Böckler-Stiftung, wonach allein in den
       Krisenjahren zwischen 2008 und 2010 die durchschnittliche Vergütung von
       Unternehmensvorständen um 21 Prozent zulegte (zusätzliche Leistungen zur
       Altersvorsorge noch nicht eingerechnet).(6) In den letzten zehn Jahren sind
       die Vorstandsbezüge real (das heißt inflationsbereinigt) sogar um 94
       Prozent gestiegen, haben sich also fast verdoppelt. Die Reallöhne der
       Arbeitnehmer sanken derweil um 3 Prozent. 2010 lag für 11,5 Millionen
       Menschen, das sind 14 Prozent der deutschen Bevölkerung, das verfügbare
       Einkommen unter der von der EU definierten Armutsrisikoschwelle.
       
       Im internationalen Vergleich nimmt die Einkommensungleichheit in
       Deutschland überdurchschnittlich stark zu. Nach einer OECD-Studie ist
       zwischen 1980 und 2010 die Ungleichheit bei den Einkommen hierzulande mehr
       als doppelt so stark angewachsen wie im OECD-Durchschnitt. Mit dieser
       "Dynamik der Ungleichheit" liegt Deutschland unter den entwickelten Ländern
       an sechster Stelle. Nur in Ländern wie den USA und Portugal ist die Kluft
       zwischen den Gut- und den Geringverdiener noch tiefer geworden.(7)
       
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       Gerade in den USA als dem Land mit dem größten Finanzmarkt überhaupt
       entwickeln sich die Einkommen in alarmierendem Tempo auseinander. Wie
       Untersuchungen der Ökonomen Emmanuel Saez und Thomas Piketty zeigen,(8)
       stiegen im Zeitraum von 2000 bis 2007 für 90 Prozent der Bevölkerung die
       Einkommen nach Abzug der Inflation nur um insgesamt 4 Prozent. Dagegen
       durften sich die 0,1 Prozent Topverdiener über ein Plus von mehr als 90
       Prozent freuen.
       
       Als dann nach dem Schock, den die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers
       2008 ausgelöst hatte, die Einkommen langsam wieder zu wachsen begannen,
       landete dieser Zuwachs komplett bei dem einen Prozent der absoluten
       Spitzenverdiener. Die Mitglieder dieses exklusiven Clubs - viele von ihnen
       im Finanzsektor tätig - beziehen 20 Prozent des gesamten von US-Bürgern
       erarbeiteten Einkommens.
       
       Solche Entwicklungen schlagen sich natürlich in den Statistiken über die
       Konzentration des Reichtums nieder. Der Grund ist einfach: Spitzenverdiener
       geben nicht ihre gesamten Einkünfte aus. Mit dem Geld werden vielmehr die
       zum Teil ohnehin schon beträchtlichen, oft durch Erbschaften oder auch
       Unternehmensgründungen erlangten Vermögen weiter vergrößert.
       
       ## 
       
       Einen ersten Eindruck geben hier die Schätzungen der Allianz. Die
       Versicherung interessiert sich für solche Daten, da sie mit ihrer Tochter
       Allianz Global Investors auch eine Vermögensverwaltung betreibt. Das reine
       Geldvermögen der Deutschen belief sich demnach Ende 2010 auf 4,88 Billionen
       Euro. Im Durchschnitt besaß jeder Bundesbürger damit 59 900 Euro, fast 3
       000 Euro mehr als ein Jahr zuvor. Aber das sind Durchschnittswerte,
       natürlich haben die meisten von uns nicht annähernd 60 000 Euro auf dem
       Konto.
       
       Aufschlussreicher ist deshalb der sogenannte D.A.CH-Vermögensreport einer
       anderen Investmentgesellschaft, der Liechtensteiner Valluga. Demnach gab es
       2010 in Deutschland 829 900 Vermögensmillionäre; das waren trotz Krise 6,5
       Prozent mehr als im Vorjahr. Diese Millionäre machen gut 1 Prozent der
       Bevölkerung aus. Sie besitzen dem Report zufolge fast ein Drittel des
       gesamten privaten Finanzvermögens (wobei der Wert selbst genutzter
       Immobilie nicht eingerechnet ist). Den Prognosen nach wird diese
       Vermögenssumme bis 2014 auf 2,9 Billionen Euro anwachsen. Das entspräche,
       und hier wird es spannend, einem Zuwachs von 7,3 Prozent pro Jahr. Aber
       selbst unter den Superreichen wächst die Ungleichheit: Die Milliardäre
       unter ihnen bringen es auf Wachstumsraten zwischen 8 und 10 Prozent.
       
       Ähnliches weiß das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zu
       berichten. In ihrem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), das auf regelmäßigen
       Befragungen basiert, kamen die Forscher für das Jahr 2008 auf ein Vermögen
       (diesmal inklusive Immobilien) von 88 034 Euro pro Erwachsenem. Das ist ein
       Plus von 10 Prozent innerhalb von fünf Jahren.(9)
       
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       Auch hier verschleiern allerdings die Durchschnittswerte den tatsächlichen
       Zustand im Land. Der vom DIW ermittelte Vermögenszuwachs kam nämlich fast
       ausschließlich den Millionären zugute. Schon in der Mitte der
       Reichtumspyramide reichte es nur noch für einen durchschnittlichen Zuwachs
       von 1,9 Prozent in fünf Jahren. Die reichsten 10 Prozent verfügten demnach
       2008 über 61,1 Prozent des Gesamtvermögens - 2002 waren es noch 57,9
       Prozent gewesen. Dagegen haben 27 Prozent der Bevölkerung gar kein oder
       negatives Vermögen, sprich: Schulden.
       
       DIW-Forscher Stefan Bach präsentiert noch eindrucksvollere Zahlen.(10) Er
       ergänzt die SOEP-Daten durch Angaben des Manager Magazins, das regelmäßig
       eine Liste der Superreichen veröffentlicht, also der Aldi-Albrechts, der
       Versandhaus-Ottos und der BMW-Quandts. Diese wenigen extrem Reichen sind so
       verschwiegen, dass sie im Rahmen normaler Befragungen meist gar nicht
       erfasst werden können, wodurch sich das Bild natürlich verzerrt. Wenn man
       diese Riesenvermögen mit einrechnet, ergibt sich folgende Verteilung: 0,1
       Prozent der bundesdeutschen Haushalte besitzen 22,5 Prozent des gesamten
       Vermögens im Land. Das reichste eine Prozent kommt auf 35,8 Prozent, also
       mehr als ein Drittel. Die Top 10 Prozent besitzen schon zwei Drittel,
       während für die gesamte untere Hälfte gerade mal 1,4 Prozent bleiben.
       
       Beim Blick über den Atlantik entdeckt man noch extremere Verhältnisse. 43
       Prozent des gesamten Nettovermögens von US-amerikanischen Privathaushalten
       konzentrieren sich beim reichsten Prozent der Bevölkerung und 83 Prozent
       bei den reichsten 10 Prozent.(11) Weltweit zählen übrigens knapp 11
       Millionen Menschen, also 0,16 Prozent der Weltbevölkerung, zu den
       Dollarmillionären (selbst genutzte Immobilien nicht gerechnet). Die meisten
       von ihnen leben nach wie vor in den USA, gefolgt von Japan und Deutschland;
       aber Hongkong, Indien, Vietnam oder Indonesien holen in dieser Hinsicht
       sehr schnell auf.
       
       ## 
       
       Diese globale Klasse der Reichen, die von den internationalen
       Vermögensverwaltungsgesellschaften als High Net Worth Individuals (HNWIs)
       umworben werden, hält mehr als ein Drittel des weltweiten
       Geldvermögens.(12) Die NGO Tax Justice Network geht in einer neuen Studie
       davon aus, dass diese Zahlen noch weit untertrieben sind, weil die
       gigantischen in Steueroasen versteckten Vermögen - die Schätzungen reichen
       bis zu 32 Billionen US-Dollar - meist gar nicht erfasst sind.(13) Werden
       sie eingerechnet, könnte sich ein Drittel des tatsächlichen globalen
       Geldvermögens in den Händen von nicht einmal 100 000 Menschen befinden. Das
       wären 0,001 Prozent der Weltbevölkerung.
       
       Was hat dieser sagenhafte Reichtum in den Händen sehr weniger Individuen
       nun mit der aktuellen Krise zu tun? Wie oben gezeigt, vagabundieren die
       überschüssigen, weil nicht mehr konsumierten Geldmengen auf der Suche nach
       möglichst profitablen und damit riskanten Anlagemöglichkeiten um die Welt.
       Doch die enge Korrelation zwischen Ungleichheit und Krisenanfälligkeit hat
       noch eine weitere Ursache: die relative Verarmung der unteren
       Einkommensschichten, die die unvermeidliche Kehrseite der geschilderten
       Einkommens- und Vermögenskonzentration ist. Um ihren Lebensstandard zu
       halten, haben vor allem in den USA viele ihr eigenes Häuschen verpfändet.
       Und auch in den südeuropäischen Ländern (vorweg Spanien) stieg die private
       Verschuldung. Zugleich stagnierte wegen der äußerst bescheidenen
       Lohnentwicklung die Nachfrage, was die Realwirtschaft geschwächt und zu
       mehr riskanten Investitionen auf den Finanzmärkten geführt hat.
       
       Während Normalsparer ihr Geld zu 39 Prozent ganz klassisch als Sparguthaben
       und zu 28 Prozent in relativ konservativen Kapitalmarktprodukten anlegen
       (vor allem in Investmentfonds), drehen die HNWIs (oder Millionäre) ein
       deutlich größeres Rad.(14) Ein knappes Drittel ihres Vermögens investieren
       sie in Staats- und Unternehmensanleihen, ein Drittel in Aktien (die
       US-Millionäre kauften sogar für 42 Prozent ihre Geldes Aktien). Außerdem
       schätzen sie aus Angst vor Inflation insbesondere Immobilien und zunehmend
       auch Rohstoffe und Derivate, die riskantesten der spekulativen
       Finanzpapiere. Es sind also eindeutig die Vermögen der Superreichen und
       nicht die bescheidenen Ersparnisse der Normalbevölkerung, die für die
       Potenzierung der Risiken in den Finanzmärkten verantwortlich sind.
       
       Um den Zusammenhang von Reichtum und Krise zu erläutern, lohnt sich auch
       ein Ausflug in die Geschichte. So warnte der US-Ökonom und Nobelpreisträger
       Paul Krugman im New York Times Magazine vor Zuständen wie in den 1920er
       Jahren, die in den USA als "Gilded Age" bezeichnet wurden.(15) Er erzählte
       von den gigantischen Villen aus jener Ära, die er als Teenager auf Long
       Island bestaunte, wobei er sich den Reichtum vorzustellen versuchte, der
       allein für die Entlohnung der Heerscharen von Dienstboten nötig war.
       
       ## Der trügerische Glanz an der Oberfläche
       
       Das vergoldete Zeitalter - es heißt so, weil der Glanz nur an der
       Oberfläche war - endete bekanntlich mit dem Crash von 1929 und der
       Weltwirtschaftskrise. Mit dem New-Economy-Boom der 1990er Jahre und dem
       sich anschließenden Immobilienboom der 2000er Jahre erreichte die
       Einkommens- und Vermögensverteilung in den USA erneut so extreme Werte wie
       in den 1920er Jahren. Krugmans Aufsatz erschien vor zehn Jahren. Mit seiner
       Mahnung hat er leider recht behalten. Auch diesmal endete die Chose in
       einer Finanzmarktkrise, die sich längst zur globalen Wirtschaftskrise
       ausgeweitet hat.
       
       Aus der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre wurden damals in den USA
       zumindest einige wichtige Lehren gezogen: Zum einen setzte man eine strenge
       Regulierung der Banken und Finanzmärkte durch, die bis in die 1990er Jahre
       für relative Stabilität sorgte. Zum anderen wurden unter Präsident
       Roosevelt - wie aus dem keynesianischen Lehrbuch -
       Arbeitsbeschaffungsprogramme und Infrastrukturinvestitionen durchgeführt,
       von denen die USA heute noch zehren. Damals begann zugleich eine Epoche
       vergleichsweise geringer Ungleichheit, die mit hoher finanzpolitischer
       Stabilität einherging und bis weit in die Nachkriegszeit hinein andauerte.
       
       ## 
       
       Das interessanteste Element der damaligen Krisenbekämpfung ist ihre
       Finanzierung: Sie erfolgte hauptsächlich durch Steuern. Diese verschaffen
       dem Staat nicht nur finanzielle Spielräume, ohne dass er dafür Schulden
       aufnehmen muss, sie entfalten darüber hinaus auch eine segensreiche
       Umverteilungswirkung. Denn mit den Steuern, die der Staat überproportional
       von den Reichen nimmt, kann er zum Beispiel Bildungs- und Sozialausgaben
       bezahlen, von denen alle etwas haben. Der Spitzensatz der Einkommensteuer
       in den USA, der bis zum Crash 1929 bei nur 25 Prozent gelegen hatte, wurde
       in den 1930er Jahren stufenweise auf 79 Prozent angehoben, um dann nach dem
       Zweiten Weltkrieg auf 91 Prozent zu steigen.(16) Die von konservativer und
       liberaler Seite mantrahaft wiederholte Behauptung, hohe
       Einkommensteuersätze seien leistungsfeindlich und stünden somit der
       wirtschaftlichen Entwicklung im Wege, kann seither als widerlegt gelten.
       Trotzdem liegt der Spitzensteuersatz in den USA heute bei gerade einmal 35
       Prozent.
       
       In der aktuellen Krise werden die Erinnerungen an frühere Zeiten wieder
       sehr lebendig. Die schon erwähnten US-Ökonomen Emmanuel Saez und Thomas
       Piketty, denen die ungleiche Einkommensverteilung Sorgen macht, können sich
       durchaus eine Rückkehr zu Spitzensteuersätzen von 50 oder sogar 90 Prozent
       vorstellen. Und Frankreichs Präsident François Hollande hatte in seinem
       Wahlkampf 75 Prozent angekündigt. Selbst die SPD, die in der Ära Schröder
       den Spitzensteuersatz von 53 auf die heutigen 42 Prozent gesenkt hatte,
       fasste auf ihrem Parteitag Ende 2011 den programmatischen Beschluss, im
       Falle ihres Einzugs in die Regierung eine zaghafte Anhebung auf 49 Prozent
       anzustreben.
       
       Zunehmend werden auch Forderungen laut, die Reichen direkt an den Kosten
       der Krise zu beteiligen, die sie zumindest mit verursacht haben. Wie ein
       "Senior Economist" der Allianz-Vermögensverwaltung bei der Vorstellung
       eines Vermögensreports zur Eurokrise bemerkte: Die staatliche Verschuldung
       sei nur "die halbe Geschichte", weil es ja auf der anderen Seite auch viel
       privates Vermögen gebe. Für den Mann stand fest: "Alle apokalyptischen
       Untergangsszenarien sind verfrüht. Denn die Substanz ist ja da."(17) Von
       dieser Feststellung ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zu der
       Forderung, dass die überschuldeten Staaten die vorhandenen Vermögen zur
       Finanzierung der Schulden beziehungsweise der Krisenkosten heranziehen
       sollten.
       
       ## 
       
       "Besteuert uns", forderten vergangenes Jahr französische Milliardäre per
       Zeitungsanzeige. Auch sie haben schließlich Interesse an stabilen
       Verhältnissen. In Italien erklärte Ferrari-Aufsichtsrat Luca di
       Montezemolo: "Ich bin reich. Es wäre nur gerecht, wenn ich mehr zahlte."
       Und in Deutschland haben jüngst mehrere Organisationen und Initiativen,
       darunter neben Attac auch die Initiative Vermögensteuer jetzt! und die
       Initiative Vermögender für eine Vermögensabgabe, ein Bündnis unter dem
       Motto "Umfairteilen - Reichtum besteuern" gegründet.
       
       Die SPD-regierten Bundesländer wollen neuerdings die seit 1997 nicht mehr
       erhobene Vermögensteuer wieder einführen. Trotz eines äußerst großzügigen
       Freibetrags von 2 Millionen Euro, pro Person wohlgemerkt, und einer Höhe
       von nur 1 Prozent sollen auf diese Weise 11,5 Milliarden Euro pro Jahr in
       die Kassen der Bundesländer kommen.
       
       Einen anderen Plan verfolgen die Grünen: Sie wollen nach dem Modell des
       Lastenausgleichs, der nach dem Zweiten Weltkrieg den Flüchtlingen
       zugutekam, die Reichen durch eine einmalige Vermögensabgabe an der
       Finanzierung der Krisenlasten beteiligen. Nach diesem Plan sollen im Lauf
       von zehn Jahren 100 Milliarden Euro zusammenkommen.
       
       Damit soll keinesfalls gesagt sein, dass höhere Steuern ein Allheilmittel
       wären. Da die Krise viele Ursachen hat, müssen auch die Lösungsvorschläge
       vielfältig sein: von einer Re-Regulierung der Finanzmärkte und der
       Zerschlagung der Großbanken über einen Schuldenerlass für überschuldete
       Staaten bis hin zu einer expansiven Lohnpolitik und staatlichen
       Investitionsprogrammen.
       
       Gleichwohl sind Steuern ein entscheidendes, bislang in der politischen
       Diskussion jedoch unterschätztes Element zur Krisenbekämpfung, für die der
       Staat ebendiese Steuereinnahmen dringend braucht. Ebenso wichtig sind sie
       aber auch für die Vermeidung künftiger Krisen, denn ein vernünftiges
       Steuersystem bewirkt eine Umverteilung von oben nach unten. Steuern helfen
       also gegen die ungerechte Verteilung des Reichtums - und damit gegen eine
       der wesentlichen Krisenursachen.
       
       Fußnoten: 
       
       (1) Siehe z. B. "Protest Spurs Online Dialogue on Inequity", "New York
       Times, 8. Oktober 2011.
       
       (2) In Japan ist die hohe Verschuldung eine Folge des dort viel früher,
       nämlich schon Anfang der 1990er-Jahre, stattgefundenen Immobiliencrashs.
       
       (3) McKinsey beziffert die Summe aller Aktien, Anleihen und Kredite
       weltweit auf 212 Billionen US-Dollar (Mapping Global Capital Markets 2011).
       
       (4) Alle Zitate aus: "Der große Graben", "Der Spiegel, 17. Dezember 2007.
       
       (5) Siehe Markus M. Grabka, "Eine Bestandsaufnahme: Kinder-/Armut in
       Deutschland", Präsentation auf der Tagung "Kinderarmut in Deutschland und
       Europa" der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen am 30.
       11. 2010 in Berlin.
       
       (6) [1][boeckler.de/14_37883.htm].
       
       (7) OECD: StatExtracts 2010, Income Distribution - Inequality.
       
       (8) "For Two Economists, the Buffett Rule Is Just a Start", "New York
       Times, 16. April 2012.
       
       (9) Joachim R. Frick und Markus M. Grabka, "Gestiegene
       Vermögensungleichheit in Deutschland", in: "DIW Wochenbericht, Nr. 4, 2009,
       S. 54-67.
       
       (10)
       [2][www.vermoegensteuerjetzt.de/images/studien/Praesentation_Bach.pdf];
       Angaben nach einer Studie über eine Vermögensabgabe für die grüne
       Bundestagsfraktion.
       
       (11) E. N. Wolff, "Recent trends in household wealth in the United States:
       Rising debt and the middle-class squeeze - an update to 2007", The Levy
       Economics Institute of Bard College, Working Paper, No. 589,
       Annandale-on-Hudson 2010.
       
       (12) Capgemini, Merrill Lynch, Global Wealth Report 2011, und Boston
       Consulting Group: Global Wealth Report 2011.
       
       (13) James S.( )Henry, "The Price of Offshore Revisited - New Estimates for
       ,Missing' Global Private Wealth, Income, Inequality, and Lost Taxes", Tax
       Justice Network, Juli 2012.
       
       (14) Siehe Anmerkung 12.
       
       (15) Paul Krugman, "For Richer", "New York Times Magazine, 20. Oktober
       2002.
       
       (16) Vgl. Sam Pizzigati, "Genug ist genug", "Le Monde diplomatique, Februar
       2012.
       
       (17) "Die Spur des Geldes", "Der Spiegel, 19. September 2011.
       
       [3][Le Monde diplomatique] vom 10.8.2012
       
       19 Aug 2012
       
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