# taz.de -- Hartz IV: Keine Auskunft übers Geld
       
       > Das Berliner Sozialgericht prüft Wohngeld von Hartz-IV-Empfängern. Dass
       > viele von ihnen Anspruch auf Nachzahlungen haben könnten, behalten die
       > Behörden lieber für sich.
       
 (IMG) Bild: Dauerbrennerthema Hartz IV
       
       Wer es nicht wusste, hat vermutlich Pech gehabt: Am Dienstag verkündet das
       Landessozialgericht ein Urteil, aus dem sich ein Nachzahlungsanspruch für
       tausende Hartz-IV-Empfänger ergeben könnte. Theoretisch. Denn nur, wer
       gegen seinen Bescheid Widerspruch eingelegt hat, kann auch rückwirkend von
       einer Neuregelung profitieren. Die zuständige Senatsverwaltung schweigt
       sich dazu bislang aus.
       
       Am 1. Mai dieses Jahres war die neue Wohnaufwendungenverordnung (WAV) in
       Kraft getreten. Sie bestimmt, wann die Kosten für Unterkunft und Heizung
       eines Hartz-IV-Beziehers angemessen sind und deshalb in voller Höhe vom
       Jobcenter übernommen werden. Mit der Neuregelung wollte Sozialsenator Mario
       Czaja (CDU) auch den in vielen Bezirken deutlich gestiegenen Mieten gerecht
       werden. Das Bundessozialgericht hatte schon im Herbst 2010 eine
       Neuberechnung der Mietzuschüsse gefordert. 2011 gab es fast 100.000
       Haushalte, deren Wohnungen mehr kosteten, als die alten Mietobergrenzen
       vorsahen.
       
       Die neue WAV sieht zwar höhere Sätze vor – einem Einpersonenhaushalt etwa
       stehen je nach Gebäudegröße und Heizungsart zwischen 9 und 30 Euro mehr im
       Monat zu. Dennoch hagelte es von Anfang an Kritik. So mahnten etwa die
       Berliner Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in einer Stellungnahme
       vom 18. Juni, dass die Berechnung der neuen Richtwerte auf veralteten
       Wohnungsmarktdaten basiere und noch immer zu keiner „Anhebung auf ein
       realistisches Niveau“ geführt habe. Ein betroffener Sozialhilfeempfänger
       legte schließlich beim Landessozialgericht Klage gegen die WAV ein. Ob die
       für den 21. August angekündigte Entscheidung sich nur auf die Anwendbarkeit
       der Verordnung für Sozialhilfeempfänger bezieht oder aber die darin
       festgelegten Mietobergrenzen generell infrage stellt, ist unklar.
       
       Sozialrechtsexperten wie der Berliner Jurist Jörg Tänzer rechnen jedenfalls
       damit, dass die Verordnung schon nach knapp fünf Monaten kassiert wird. Die
       Sätze hätten sich mehr an politischen Vorgaben und der Finanzierbarkeit
       orientiert als am tatsächlichen Mietspiegel. „Es spricht einiges dafür,
       dass die WAV als unzulässig aufgehoben wird und das Gericht Vorgaben für
       eine Neuregelung macht“, so Tänzer, der auch Kommunen in Sachen Sozialrecht
       berät.
       
       Für die Praxis könnte das heißen: Alle, die jetzt weniger als ihre
       tatsächliche Miete vom Amt bekommen, können in Zukunft auf mehr Geld
       hoffen. Theoretisch haben sie sogar einen Anspruch auf Nachzahlung für die
       vergangenen Monate. Der gilt aber nur, wenn der nach der WAV ergangene
       Bescheid noch nicht rechtskräftig ist. Betroffene hätten also juristisch
       versiert sein müssen, um binnen Monatsfrist Widerspruch einzulegen.
       
       „Wer einen Bescheid hat, bei dem die Widerspruchsfrist noch nicht
       abgelaufen ist und der Anhaltspunkte hat, dass die Kosten der Unterkunft zu
       niedrig sind, sollte noch schnell Widerspruch einlegen“, empfiehlt Jörg
       Tänzer. Der Widerspruch müsse noch vor der Urteilsverkündung beim
       Leistungsträger eingehen, also spätestens am heutigen Montag. In
       Internetforen für Hartz-IV-Bezieher kursieren sogar Empfehlungen, noch
       rasch einen Überprüfungsantrag zu stellen und damit auch bei bereits
       laufendem Bescheid möglicherweise rückwirkend von einer Neuregelung zu
       profitieren. Berliner Sozialrechtsexperten halten dies allerdings für
       unwahrscheinlich. Schaden könne ein Überprüfungsantrag aber nicht, sagt
       Anwältin Sabine Lindner-Pfeiffer, die in Spandau Arbeitslose berät.
       
       Unabhängig davon, welche Folgen das Urteil des Landessozialgerichts haben
       wird: Die Jobcenter lassen ihre „Kunden“ wohl ohne entsprechende
       Empfehlungen zurück – obwohl sich aus dem Sozialgesetzbuch eine
       Auskunftspflicht der Behörden zu allen Rechtsfragen ergibt, „die für die
       Auskunftssuchenden von Bedeutung sein können“. Der Sprecher der
       Regionaldirektion der Arbeitsagentur Berlin-Brandenburg verwies auf Anfrage
       der taz an die zuständige Sozialverwaltung für Soziales. Aus dem Hause
       Czaja hieß es wiederum: „Vor der Urteilsverkündung äußern wir uns dazu
       nicht.“
       
       20 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
       
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