# taz.de -- Roma in Frankreich: Integration ohne Garantie
       
       > Die französische Regierung will für Roma den Zugang zum Arbeitsmarkt
       > erleichtern. Abschiebungen wird es jedoch auch weiterhin geben.
       
 (IMG) Bild: Nach der Räumung in Paris – Roma leben in Frankreich häufig unter prekärsten Bedingungen.
       
       PARIS taz | Es war 6 Uhr früh, als am 9. August eine Einheit der
       Ordnungspolizei CRS das Lager im Osten von Lille stürmte, als gelte es ein
       Verbrechernest auszuheben. Rund 150 Roma hausten seit rund zwei Jahren auf
       diesem brach liegenden Grundstück im Quartier Hellemmes gleich neben der
       Architekturhochschule von Lille.
       
       Studierende der Uni hatten den Familien beim Bau von Hütten geholfen. Ihre
       Kinder bettelten nicht auf der Straße, sondern gingen laut Angaben von
       Mitarbeitern einer Hilfsorganisation zur Schule. Mehrere
       Integrationsprogramme waren im Gang, ein Alphabetisierungskurs für
       Erwachsene sollte demnächst starten. Doch Anwohner beklagten sich mehrfach
       über den Lärm, Rauch und andere Belästigungen durch diese unerwünschten
       Nachbarn. Ein Mann habe in seiner Wut sogar einen Warnschuss abgegeben,
       macht die sozialistische Parteichefin Martine Aubry geltend.
       
       Als Vorsitzende des Ballungsgebietes Lille hatte sie selber eine Räumung
       angefordert. Das ist ihr jetzt peinlich. Die „Evakuierung“ sei in der Eile
       nicht unter „befriedigenden Bedingungen“ durchgeführt worden, kritisierte
       sie nach ihrer vorzeitigen Rückkehr aus dem Urlaub. Die Verantwortung dafür
       schiebt sie auf ihren Parteikollegen, Innenminister Manuel Valls, ab.
       
       ## Versteckt in Zelten
       
       Heute leben die aus Hellemmes vertriebenen Familien laut einem Bericht von
       Libération in mehreren Gruppen versteckt in Zelten unter prekärsten
       Bedingungen. Die meisten konnten nicht einmal das Allernötigste an Kleidern
       oder Kochutensilien aus den beschlagnahmten Wohnwagen mitnehmen.
       
       Ähnliche Polizeiaktionen gegen Roma-Camps fanden auch in der Region Lyon
       statt, und man muss sich fragen, ob François Hollande die repressive
       Einschüchterungs- und Vertreibungspolitik seines Vorgängers Nicolas Sarkozy
       fortzusetzen gedenkt. Valls erntete jedenfalls für sein Vorgehen
       Komplimente von rechts von der konservativen Opposition … und empörte
       Kommentare aus den eigenen Reihen der Linksparteien.
       
       Eine Regierungskrise wurde haarscharf vermieden, indem Premierminister
       Jean-Marc Ayrault eine Klausurtagung anberaumte, in der alle Minister auf
       Kurs gebracht wurden. Das Leitmotiv für die Roma lautet: Integration durch
       Arbeit. In diesem Sinne wurden die Regelungen aus der Zeit des EU-Beitritts
       von Rumänien und Bulgarien gelockert. Künftig muss ein Arbeitgeber, der
       Leute aus diesen beiden neuen EU-Staaten anstellt, nicht mehr wie bisher
       700 Euro Gebühr an die französische Immigrationsbehörde bezahlen.
       
       Die Liste der bis dahin nur 150 für sie zugänglichen Berufe wird erweitert.
       Darüber hinaus will Frankreich der EU-Kommission vorschlagen, die
       restriktiven Übergangsregelungen, die im Dezember 2013 auslaufen, außer
       Kraft zu setzen. Sie haben sich nach Meinung der Pariser Führung als
       kontraproduktiv erwiesen, weil sie nur die Diskriminierung der Roma
       verstärkt haben.
       
       In anderen Bereichen setzt die Linksregierung bloß die Politik ihrer
       rechten Vorgänger fort, indem sie verspricht, dabei etwas humaner
       vorzugehen. Mit dem Versprechen oder dem Wunsch, sie wolle „eine globale
       und den Bedürfnissen der betroffenen Familien angemessene Lösung“ finden,
       gedenkt die Pariser Regierung auch weiterhin Roma in ihre Herkunftsländer
       abzuschieben oder auch illegale Lager mit Polizeigewalt zu räumen. Dass sie
       in diesem Fall immer eine bessere und akzeptable Unterkunft als Alternative
       anbieten, wie dies Roma-Hilfsorganisationen seit jeher fordern, wollen und
       können die Behörden allerdings nicht garantieren.
       
       23 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
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