# taz.de -- Häuser aus Plastik in Nigeria: Müll in Wohlstand verwandeln
       
       > „An Recycling denkt hier doch kaum jemand“, sagt Brodrick Michael Akoh.
       > Seine Organisation geht in Nigeria beim Hausbau unkonventionelle Wege.
       
 (IMG) Bild: Die Flaschenhälse werden mit Schnüren verbunden, um sie besser zu verankern.
       
       KADUNA taz | „Ich habe jetzt keine Zeit“, ruft Dolapo Igoche, die auf einem
       selbstgezimmerten Baugerüst steht. Von unten reicht ihr Tochter Sissel Oby
       Okabie eine große Schale mit angerührtem Zement an. „Der muss jetzt
       verarbeitet werden.“ Dolapo Igoche zeigt auf die zähe, graue Masse, dreht
       sich um und nimmt die Maurerkelle in die Hand.
       
       Kurz schaut sie noch einmal auf und sagt: „20 Minuten brauche ich. Dann
       komme ich runter. Du musst wissen: Außer mir kann das heute niemand
       machen.“ Ein wenig Stolz schwingt in ihrer Stimme mit. Denn im Moment ist
       sie quasi so etwas wie die Baustellenchefin von Nigerias ungewöhnlichstem
       Bauprojekt, das in Yelwa, einem Dorf zwischen den Städten Kaduna und Zaria
       im Norden des Landes, langsam Wirklichkeit wird.
       
       Mit geübten Handbewegungen trägt Dolapo Igoche den Zement auf und überprüft
       ihre Arbeit zwischendurch. Gerade und gleichmäßig sollen die Wände werden.
       Der Ehrgeiz hat sie gepackt. Ein letzter kritischer Blick, noch einmal den
       Zement glatt streichen, dann ist sie zufrieden und lässt sich eine mit Sand
       gefüllte Plastikflasche anreichen. Nigerias Flaschenhaus wächst.
       
       Wie ein Flaschenhaus entsteht, hat ihr der deutsche Bauhandwerker Andreas
       Froese gezeigt, der bereits in Mittel- und Südamerika Häuser aus alten
       Plastikflaschen gebaut hat. Die 38-Jährige war eine der ersten, die er
       ausgebildet hat. „Anfangs hat mich die Idee verwundert, das gebe ich zu“,
       sagt sie. Inzwischen ist die Arbeit an dem Gebäude, das bei guten
       Witterungsbedingungen in den kommenden Wochen fertig werden könnte, eine
       Art Lebensinhalt geworden. „Ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen. Es
       ist super.“ Wie viele Flaschen in den vergangenen Monaten durch ihre Hände
       gewandert sind, weiß Dolapose nicht genau.
       
       ## Rund 16.000 Flaschen verbaut
       
       Aber es müssen Tausende gewesen sein. „Bisher haben wir rund 16.000
       Flaschen verbaut“, sagt Brodrick Michael Akoh, Administrator bei der
       nigerianischen Organisation Entwicklungsgesellschaft für erneuerbare
       Energien (Dare). Dare ist Partner des deutschen Vereins Lernen Helfen Leben
       und macht seit vielen Jahren Solarkocher im Norden Nigerias bekannt. Für
       Akoh passen die Flaschenhäuser bestens ins Konzept der Organisation. Denn
       gingen sie in Serie, könnte Nigeria auf diese Weise prima die unzähligen
       Plastikflaschen loswerden, die Tag für Tag am Straßenrand landen.
       
       Wie viele es genau sind, lässt sich nicht feststellen. Aber in einem Land
       mit 160 Millionen Einwohnern müssen es täglich Millionen sein, denn an
       jeder Straßenecke, an jedem Busbahnhof und in jedem noch so kleinen
       Supermarkt werden die Plastikflaschen verkauft. Umweltschützer schätzen,
       dass täglich rund 3 Millionen weggeworfen werden. Nach einem Bericht der
       Tageszeitung Daily Trust könnten es sogar 100 Millionen Flaschen sein,
       hinzu kommen die kleinen Halblitertüten, in denen sich ebenfalls
       Trinkwasser befindet. Ein Recyclingsystem existiert nicht.
       
       „Manchmal werden in den Flaschen lokal hergestellte Softdrinks abgefüllt.
       Der Rest aber wird oft einfach verbrannt“, erklärt Akoh. Und von einem
       Pfandsystem, wie es in Europa üblich ist, hat er in Nigeria noch nie etwas
       gehört. Mehrwegflaschen aus Glas gibt es nur für Softdrinks und Bier, aber
       nicht für Trinkwasser. Mit nach Hause genommen werden dürfen diese aber
       ohnehin nicht, sondern müssen direkt vor Ort zurückgegeben werden.
       
       „Unsere Initiative ist ein Ansatz, die Flaschen doch noch sinnvoll zu
       nutzen. An Wiederverwertung denkt hier längst nicht jeder“, sagt Akoh. „Wir
       zeigen, wie Recycling funktionieren kann, und sagen: Schmeißt die Flaschen
       nicht weg, sondern bringt sie zu uns“, sagt Akoh. Tatsächlich haben viele
       Helfer gemeinsam mit Dare-Mitarbeitern das kostenlose Baumaterial
       gesammelt. Mittlerweile heben auch Hotels und Restaurants sowie Schulen in
       der Hauptstadt Abuja Flaschen auf und geben sie an die Organisation weiter.
       Nur so war der Bau bisher möglich.
       
       ## Sternenform in Hellgrün und Blau
       
       Brodrick Michael Akoh streicht über die Wand eines bereits fertiggestellten
       Teil des Hauses. Wie diese erbaut worden ist, lässt sich nur noch erahnen.
       Zu sehen sind lediglich die Böden der Flaschen, die in Sternenform in
       Hellgrün oder Blau aus dem Mauerwerk schimmern. Sie erinnern an ein
       halbfertiges Mosaik und wirken fast künstlerisch. Wichtiger als die Optik
       ist allerdings die stabile Bauweise. Nigerianische Journalisten nannten sie
       bereits „schusssicher“, was im krisengebeutelten Nordnigeria ein nicht von
       der Hand zu weisender Vorteil sei.
       
       Wie stabil die Flaschen werden, wenn sie mit Sand gefüllt worden sind,
       demonstriert Brodrick Michael Akoh gern. Er nimmt einen Stein in die Hand
       und lässt ihn fallen. „Du siehst, er ist zerbrochen.“ Dann wiederholt er
       sein kleines Experiment. Die Flasche bleibt heil. Gleichzeitig spart die
       Bauweise aber auch Geld. „Wir brauchen weniger Zement als sonst für den
       Häuserbau üblich.“
       
       Gerade das könnte für die weniger wohlhabenden Familien ein Argument sein,
       sich irgendwann einmal für ein Flaschenhaus zu entscheiden. Vor allem in
       nigerianischen Ballungsgebieten ist Wohnraum knapp. Wer nur über ein
       Durchschnittseinkommen verfügt, hat keine Chance, im Zentrum von Abuja oder
       auf den schicken Inseln von Lagos eine Wohnung zu finden oder gar ein Haus
       selbst zu bauen.
       
       Wichtig ist allerdings, die Flaschen gut mit Sand zu füllen. Dafür sorgt im
       Moment der 13-jährige Yusuf. Er hat sich einen schattigen Platz auf dem
       großen Grundstück gesucht. Vor ihm liegen leere Flaschen. Er nimmt eine
       1,5-Liter-Wasserflasche und füllt sie bis zur Hälfte mit Sand. Anschließend
       presst er diesen mit einem dünnen Holzstab möglichst fest. Wenn er
       zufrieden ist, folgt die zweite Ladung.
       
       Der Sand soll im Übrigen auch für ein angenehmes und kühles Klima im Haus
       sorgen. Yusuf spricht nicht viel während der Arbeit. Dafür schaut er
       konzentriert auf seine Flaschen. Er will seine Arbeit gut machen, die jetzt
       während der großen Ferien eine willkommene Abwechslung ist und ihm ein
       Taschengeld von 30 Naira – rund 25 Cent – und ein Mittagessen einbringen.
       Gekauft hat er sich davon bisher noch nichts. „Ich gebe das Geld meinem
       Vater“, sagt er leise. Er will sparen.
       
       ## Arbeitsplätze auf Zeit
       
       Christopher Vassiliu schaut dem Jungen zu. Vassiliu ist Grieche und lebt
       seit Jahrzehnten in Nigeria. Vor vielen Jahren hat er das Gelände an der
       Straße zwischen Kaduna und Zaria gekauft, wo nun das Flaschenhaus entsteht.
       Als er Yahaya Ahmed kennenlernte, der die Organisation Dare gemeinsam mit
       seiner Frau Habiba Ali leitet, fing er an sich über Flaschenhäuser zu
       informieren und entschied: „Wir wollen so ein Haus. Es ist eine wundervolle
       Möglichkeit, Müll in Wohlstand zu verwandeln.“ Vassiliu hat bereits viele
       Großbauprojekte in Afrikas Riesenstaat begleitet. Er versucht sachlich zu
       klingen, wenn er über Afrikas Müllprobleme spricht. Doch es macht ihn
       wütend. Er zeigt auf eine Flasche, die Yusuf gerade fertig gefüllt hat.
       „Sie sind eine echte Plage in Afrika.“ Der Plastikmüll lande ja nicht nur
       irgendwo in der Landschaft, sondern verstopfe auch die Abwassersysteme.
       „Sie werden in Seen und Flüsse geworfen, und die Fische sterben dran.“
       
       Doch es geht ihm nicht nur um Umweltschutz, sondern auch um soziale
       Gerechtigkeit. Denn durch den Bau entstehen zumindest Arbeitsplätze auf
       Zeit. Im Moment ist davon allerdings nicht viel zu sehen. Außer Yusuf füllt
       nur ein weiterer Junge Flaschen mit Sand. „Das liegt an der Regenzeit. Wir
       haben Baustopp“, sagt Christopher Vassiliu etwas verärgert und deutet mit
       dem Kopf zum Himmel. Noch ist es sonnig und schwül, aber jeden Moment kann
       es losregnen. Vor ein paar Monaten sah das noch anders aus. Vassiliu und
       Dare brauchten jede Menge Mitarbeiter. Das Musterhaus, das Dare nach der
       Fertigstellung als Bürogebäude nutzen will, wird größer als geplant. Sie
       entschieden sich Bettler und arbeitslose Jugendliche einzustellen – gegen
       einen Lohn und ein warmes Mittagessen. Die Resonanz war positiv. „Viele
       haben gesagt, sie wollen nicht mehr zurück auf die Straße, sondern lernen,
       wie sie selbst so ein Haus bauen können.“
       
       Dieses Gefühl begleitet auch Dolapo Igoche. Sie ist von ihrem Baugerüst
       heruntergeklettert. Erste Regentropfen fallen. Kritisch prüft sie an einer
       noch nicht verputzten Wand die kleinen Plastikschnüre, mit denen die
       Flaschenhälse verbunden sind. Sie bewirken mehr Stabilität. Irgendwann,
       sagt sie, würde sie selbst gerne mal in so einem Haus leben. „Ich habe ja
       jetzt gelernt, wie man es macht“, sagt sie und wischt sich mit der Hand den
       Schweiß von der Stirn.
       
       Doch noch eine ganz andere wichtige Erfahrung hat Dolapo Igoche, die
       eigentlich als Fischzüchterin arbeitet, für sich selbst gemacht. „Wir
       Frauen können dieselben Arbeiten übernehmen wie Männer. Es gibt nichts, was
       wir nicht auch machen können.“ Brodrick Michael Akoh steht neben ihr und
       wirft einen prüfenden Blick auf das fast fertige Bauwerk. Er nickt
       anerkennend. „Frauen arbeiten sogar genauer.“
       
       29 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Gänsler
       
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