# taz.de -- Ausstellung über ein Verfahren, das Rechtsgeschichte schrieb: Der Anwalt des Widerstands
> Als Fritz Bauer 1949 nach Deutschland zurückkehrte, war Braunschweig
> seine erste Station: Als Generalstaatsanwalt sorgte er für die
> Rehabilitierung der Hitler-Attentäter. Derzeit ist ihm vor Ort eine
> Ausstellung gewidmet
(IMG) Bild: Gerade zurück in Braunschweig: Fritz Bauer im Jahr 1950 Rose-Marie Ausmeier
Vor 50 Jahren wurde in Braunschweig Rechtsgeschichte geschrieben: Das
dortige Landgericht fällte erstmals in der Bundesrepublik ein Urteil, das
den Widerstand gegen die Nazis legitimierte. Es bezog sich auf das
gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944.
Ohne den damaligen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer hätte es diesen
wegweisenden Richterspruch nicht gegeben. Ohne ihn hätten vermutlich auch
die Auschwitz-Prozesse in den 60er Jahren nicht stattgefunden, bei denen
Bauer Verantwortliche des KZ Auschwitz in Frankfurt anklagte. Als Bauer
dort 1968 im Alter von 65 Jahren starb, hielt sich die Trauer bei der
NS-belasteten Bevölkerung in Grenzen.
„In Braunschweig war Bauer bis vor drei Jahren völlig unbekannt, obwohl nur
durch sein Engagement hier einer der wichtigsten NS-Prozesse stattfand“,
sagt der Lehrer Udo Dittmann, der im Braunschweiger Freundeskreis Fritz
Bauer aktiv ist. In der seit Kurzem laufenden Ausstellung „Der Prozess um
den 20. Juli“ im Braunschweiger Landgericht wird Bauer gewürdigt. Sein
Wirken hatte ein Ziel: das Unrecht aus der Zeit des Nationalsozialismus vor
Gericht zu bringen.
Mit dieser Einstellung war er direkt nach dem Krieg in Westdeutschland
allein auf weiter Flur – so waren 1948 an den Gerichten Niedersachsens mehr
als 80 Prozent aller Juristen ehemalige NSDAP-Mitglieder. Bauer hatte
dagegen als Sozialdemokrat und Jude 1933 seine Stellung als Amtsrichter in
Stuttgart verloren. Acht Monate war er in einem Konzentrationslager
interniert. Im Jahr 1936 floh er nach Dänemark. Als er 1949 nach
Deutschland zurückkehrte, wurde er zunächst Landgerichtsdirektor in
Braunschweig. Schnell machte sich bei ihm das Gefühl breit: „Wenn ich mein
Büro verlasse, befinde ich mich im feindlichen Ausland.“
Im Braunschweiger Landgericht fand 1952 der Prozess gegen Otto Ernst Remer
statt. Remer war als Kommandeur des Berliner Wachbataillons
„Großdeutschland“ maßgeblich an der Niederschlagung des Aufstands gegen
Adolf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt. Als Funktionär der neonazistischen
Sozialistischen Reichspartei (SRP) hatte er im niedersächsischen Wahlkampf
1951 die Attentäter vom 20. Juli als vom Ausland bezahlte Hoch- und
Landesverräter beschimpft. Der damalige Bundesinnenminister Robert Lehr
(CDU) hatte deshalb wegen Verleumdung der Widerstandskämpfer Strafantrag
beim Landgericht Braunschweig gestellt. Dort wollte der zuständige
Oberstaatsanwalt Ernst Günther Topf, einst Mitglied der NSDAP und
SA-Rottenführer, die Klage zunächst nicht annehmen. Sie habe „keine
Aussicht auf einen sicheren Erfolg“. Bauer intervenierte, versuchte Topf zu
überzeugen, erteilte ihm schließlich Weisung – und sorgte für Topfs
Versetzung nach Lüneburg.
Schon vor Beginn der Verhandlung hatte der Prozess Wellen geschlagen. In
der FAZ nannte Bauer das Verfahren eine Gelegenheit, „die Geschichte und
Problematik des 20. Juli 1944 zu klären“. Seine Ziele waren die
Rehabilitierung der „Männer und Frauen“, die für die Erhaltung der
Menschenrechte in den Tod gegangen waren – und die grundsätzliche Klärung
des Widerstandsrechts: Viele ehemalige Soldaten verwiesen darauf, dass man
den auf Adolf Hitler geleisteten Eid nicht hätte brechen dürfen.
Bauer betonte dagegen in seinem Prozessplädoyer, dass eine eidliche
Verpflichtung auf unbedingten Gehorsam gegenüber einer Person unsittlich
und auch nach NS-Recht ungesetzlich und damit ungültig gewesen sei. Und er
formulierte einen Satz, mit dem er sich gegen die damalige Mehrheitsmeinung
stellte: „Ein Unrechtsstaat, der täglich Zehntausende Morde begeht,
berechtigt jedermann zur Notwehr“. Die Attentäter hätten nicht den Vorsatz
gehabt, Deutschland zu schaden, sondern Deutschland zu retten. Eine
Auffassung, der sich erstmals ein westdeutsches Gericht anschloss – Remer
wurde zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.
Eine Anerkennung des linken Widerstands gegen das NS-Regime bedeutete das
Urteil keineswegs: Bauer selbst hatte im Vorfeld des Prozesses Anna von
Harnack überzeugt, ihre Klage gegen Remer zurückzuziehen – weil er „das
Widerstandsrecht der Roten Kapelle nicht zum Gegenstand des Verfahrens
machen“ wollte, vermutet Claudia Fröhlich in einem ihrer Aufsätze zum
Thema.
Die „Rote Kapelle“, ein von der Gestapo geprägter Begriff zur Diffamierung
des Widerstands, galt auch nach dem Krieg im Westen als sowjetisch
gesteuerter Spionagering. Bauer hatte wahrscheinlich Angst, dass eine
Diskussion über ihre Rolle sein Ziel gefährden könnte, den konservativ
geprägten Widerstand der Hitler-Attentäter zu legitimieren. Mit dem Urteil
im Remer-Prozess wurde die Heroisierung des Widerstandes vom 20. Juli 1944
eingeleitet aber zugleich in Westdeutschland die Verteufelung des linken
Widerstands der Gruppe um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen auf
Jahrzehnte festgeschrieben.
In der Ausstellung, die weitgehend aus Texttafeln, historischen Fotos und
Hörstationen mit Ausschnitten aus dem Remer-Prozess besteht, wird die
politische Bedeutung dieses Prozesses deutlich. Zu wenig erfährt man
dagegen über die Widerstände, gegen die Bauer immer wieder ankämpfen
musste.
Helmut Kramer kam als junger Referendar 1958 ans Gericht nach Braunschweig,
zwei Jahre, nachdem Bauer als Generalstaatsanwalt nach Frankfurt gewechselt
war. Die Verstrickung der Braunschweiger Juristen, von denen viele in der
NS-Zeit Todesurteile gefällt hatten, blieb bei Kramers Gesprächen mit
seinen Kollegen ein Tabuthema. „Ein einziges Mal sprach mich ein
Staatsanwalt an und sagte: ’Wenn ich an Fritz Bauer denke, dann kommt es
mir heute noch hoch.‘ Diese Haltung war typisch für die damalige Stimmung
unter den Juristen.“
Bauer verbitterte zusehends: Viele seiner Initiativen wurden, oft genug
gezielt, von Kollegen verhindert: Zumal seine Verfahren gegen Juristen, die
an der Ermordung von mehr als 70.000 Behinderten mitgewirkt hatten, wurden
blockiert. Er blieb, trotz hoher Ämter, ein Außenseiter in
Adenauer-Deutschland. Eine staatliche Ehrung hat er zu Lebzeiten nie
bekommen.
In Braunschweig verlief eine Initiative für die Benennung einer Straße nach
Fritz Bauer vor zehn Jahren im Sande. Inzwischen hat sich das Klima
geändert. So wird im September mit Unterstützung aller Parteien ein
Fritz-Bauer-Platz in der Stadtmitte eröffnet.
Braunschweigs bis heute ambivalente Haltung zu ihm bringt jedoch eine
Skulptur am Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft zum Ausdruck: Das Schwert
und die Waage sind die Symbole, mit denen vor vielen deutschen Gerichten
traditionell Justitia dargestellt wird. Bauer hielt von solchen
Darstellungen nicht viel. Auf seine Initiative fertigte 1956 der Künstler
Bodo Kampmann eine Figur ohne Schwert, bei der Justitia mit ihren Händen
Menschen wiegt – ein Symbol für den Humanismus des Rechts.
Es ist eine große Skulptur aus getriebenem Kupfer im öffentlichen Raum. Es
kennt sie trotzdem kaum einer: Sie wurde an dem hohen Gebäude an der
Westfassade angebracht, ganz oben. So dass kein Passant sie bemerkt.
28 Aug 2012
## AUTOREN
(DIR) Joachim Göres
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