# taz.de -- DIE WAHRHEIT: Keine Knete im Kindergarten
       
       > Neues aus Neuseeland: Es gibt Momente, da bin ich stolz, Neuseeländerin
       > zu sein. Doch, das kann ich tief aus patriotisch geschwellter Kiwi-Brust
       > sagen.
       
       Es gibt Momente, da bin ich stolz, Neuseeländerin zu sein. Doch, das kann
       ich tief aus patriotisch geschwellter Kiwi-Brust sagen. Klingt auch gar
       nicht rechts, ganz im Gegenteil. Denn meine kleine, feine Zweitnation
       beweist mir immer wieder, wie ernst sie es mit dem Schutz ihrer indigenen
       Minderheit nimmt. Dafür liebe ich sie. Dafür bringe ich auch Opfer. Ich
       spiele fortan nicht mehr mit Knete.
       
       Eine kurze Einführung für die ethnisch unterentwickelten Europäer: Bikultur
       ist in Aotearoa täglich gelebte Praxis. Öffentliche Gebäude sind
       zweisprachig beschildert und selbst hohe Politiker beherrschen komplizierte
       Begrüßungszeremonien aus Kriegerzeiten. Dank des historischen Vertrags von
       Waitangi, der die Rechte der Ureinwohner gegenüber der britischen
       Kolonialmacht sicherte, wird das Kulturgut der Maori bis heute bewahrt und
       geschützt.
       
       Das heißt, dass keine Schnellstraße gebaut werden darf, wo vielleicht ein
       Naturgeist namens Taniwha sein Zuhause hat. Und wer gerade menstruiert,
       besichtigt lieber nicht die heiligen Schnitzereien im hochmodernen Museum
       Te Papa in Wellington. Blutende Frauen verletzen dort ein altes
       polynesisches Tabu. Da müssen Feministinnen halt mal zugunsten heherer
       Werte zurückstecken, so wie ihre beschnittenen Schwestern in Somalia. Frau
       kann ja draußen bleiben und auf die Wechseljahre warten.
       
       Konsequent pflanzt sich dieser Respekt vor den Sitten und Bräuchen einer
       Stammeskultur bis ins kleinste Glied fort – bis in die Kindergärten. Dort
       hängt nicht nur der Vertrag von Waitangi als Kopie an der Wand. In den
       meisten öffentlichen Krabbelstuben wird verstärkt darauf geachtet, keine
       Nahrungsmittel zweckzuentfremden.
       
       Halsketten aus aufgefädelten trockenen Makkaroni oder bunte Bilder aus
       Kartoffeldruck sind Relikte der dunklen, kolonialistischen Vergangenheit
       und so verpönt wie in Ankara ein Schweineschnitzel zum Ramadan.
       
       Die Mahnung „Mit Essen spielt man nicht“ hat auch so mancher noch lebende
       Germane in die Wiege gelegt bekommen und sie sich dorthin gesteckt, wo
       Elternsprüche hingehören. In Aotearoa jedoch wird sie zum politischen
       korrekten Dogma. Denn der Respekt vor allem Verzehrbaren hat
       Maori-Tradition.
       
       Was bedeutet, dass auch selbstgemachtes Knetgummi auf dem Index steht: Es
       wird aus Mehl, Lebensmittelfarbe, Weinstein und Wasser gemixt. Jedes Kind
       kennt das Rezept für „playdough“ – nicht wissend, dass „Spielteig“ an sich
       schon ein Unwort ist. Ein kultureller Affront. Das bekam Amy Clark von „My
       Child New Zealand“ zu spüren. Auf ihrer Webseite über Frühkinderziehung
       demonstrierte sie anschaulich, wie sich mit einem fransigen Selleriestengel
       eine Rose malen lässt.
       
       Hübsch, aber leider voll daneben. Womöglich rassistisch. Damit begann die
       Debatte, die sich gerade durch alle Kindergärten zieht. Meine Kinder gehen
       längst zur Schule, daher streite ich nicht mit. Aber zum Abendessen setze
       ich ihnen eine schön geformte Mahlzeit aus bunter Knete vor. Respekt muss
       sein.
       
       6 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anke Richter
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA