# taz.de -- Das neue Album der Pet Shop Boys: Popmusik 50+
       
       > Neil Tennant und Chris Lowe sind nicht mehr jung. Das ist im Pop selten.
       > Mit „Elysium“ zeigen die Pet Shop Boys, dass sie immer noch wissen, wie
       > Opposition geht.
       
 (IMG) Bild: Mit grauen Haaren immer noch poppig: Pet Shop Boy Neil Tennant - hier bei der Albumvorstellung von „Elysium“.
       
       Im Blues ist es fast eine Auszeichnung, im Rock ’n’ Roll wird es allseits
       akzeptiert – nur der Pop hat große Probleme mit dem Älterwerden. Popstars
       sind wachsender Kritik ausgesetzt, bleiben sie jenseits ihres 50.
       Geburtstags im Geschäft.
       
       Erstaunlicherweise gelingt den Pet Shop Boys – mit über 100 Millionen
       verkauften Alben eine der erfolgreichsten britischen Popgruppen – dieser
       Spagat mühelos. Ihr neues, in dieser Woche erscheinendes Album „Elysium“
       wurde von dem 32-jährigen Andrew Dawson in Los Angeles produziert. Dawson
       setzt etwa den HipHop-Star Kanye West in Szene und ist mitverantwortlich
       für die irrwitzigsten Hits der letzten Jahre.
       
       „Elysium“ versprüht diesen Übermut nicht und bleibt insgesamt hinter dem
       waghalsigen Sound des Pet-Shop-Boys-Albums „Yes“ von 2009 zurück.
       Erstaunlich ist es dennoch, wie Sänger Neil Tennant und Keyboarder Chris
       Lowe auch mit Ende 50 genau wissen, wer die wilden Kerle mit dem
       zeitgenössischen Sound sind. Sie bedienen sich der aktuellsten Trends aus
       eigenem Anspruch heraus, nicht als abgetakelte Popstars, die von ihrer
       Plattenfirma als Cashcow gemolken werden und des schönen Anscheins wegen
       frischen Anstrich benötigen.
       
       Im Gegenteil, jedes Album der Pet Shop Boys ist eine Grundsatzentscheidung
       für einen Produzenten und damit einen gewissen Sound. Das Vorgängeralbum
       „Yes“ sollte ihr poppigstes Werk seit Langem werden, weshalb sich die
       beiden Briten in die Obhut von Xenomania begeben hatten, der Hitfabrik für
       junge Bands wie Girls Aloud oder die Sugababes.
       
       ## Hallo, Weltenretter
       
       Auf „Elysium“, das sie in der vergangenen Woche einem ausgewählten Publikum
       im Berliner Theater HAU vorspielten, kombinieren die Pet Shop Boys erneut
       eine amtliche Produktion mit scharfsinnigen Texten, die wie in der
       aktuellen Single „Leaving“ auf den ewigen Kampf um ein glückliches Leben
       zurückblicken. Sie machen sich über Kollegen lustig, die sich für Gesandte
       Gottes und Weltenretter halten („Ego Music“), oder geben selbstironisch zu
       erkennen, dass sie bei aller Bekanntheit dennoch für viele eine Band von
       gestern sind: „I still quite like some of your early stuff.“ 
       
       Neben dem würdevollen, cleveren Altern im Pop ist der Wille zur Subversion
       ein Wesensmerkmal der Pet Shop Boys. Dass der Marsch durch die
       Institutionen ein Weg zu einer besseren Welt sein könnte, haben die Pet
       Shop Boys auf dem Gebiet des Pop bewiesen. Sie servieren credibility,
       Ideenreichtum und attitude, ohne sich aus dem Zeichensystem des Pop zu
       lösen. Das Besondere an ihnen ist, dass sie gerade innerhalb des Systems
       der Popmusik als Opposition funktionieren.
       
       Üblicherweise vereinnahmt die Musikindustrie widerständige Positionen
       schnell: Wenn etwas gegen den Betrieb funktionierte, dann nur für ein
       kurzes, helles Aufflackern der Revolte (Punk) oder des Andersseins (etwa
       die New Romantics). Die Pet Shop Boys hingegen waren von Anfang an
       hitparadenkompatibel. Aber sie nutzten ihr Händchen für die große Melodie,
       um Subkultur in der Masse zu verankern. Sie sind bestens vertraut mit gay
       culture und beeinflusst von Italodisco und dem New Yorker Clubsound der
       frühen Achtziger.
       
       Gerade weil die Pet Shop Boys so sehr auf Hits aus waren, gelang es ihnen,
       in der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern bestimmte Positionen und Texte
       auf Umlaufbahnen zu bringen, die in einer repressiven, latent
       schwulenfeindlichen Gesellschaft sonst nicht für die Masse bemerkbar
       stattgefunden hätten.
       
       ## Katholizismus und Aids
       
       Bestes Beispiel dafür ist ihr Hit „It’s a Sin“ von 1987. Das Video zum Song
       wurde von Derek Jarman gedreht, dem britischen Avantgarderegisseur, der
       seine Karriere mit dem Punkfilm „Jubilee“ begründete und in den Folgejahren
       durch offensiv schwule Shakespeare-Verfilmungen zur Subkulturberühmtheit
       wurde. Der Text des Songs thematisiert Neil Tennants katholische Erziehung
       und den Konflikt zwischen Religion und Homosexualität.
       
       Obwohl die Kombination aus Kunstfilm und Religionskritik eine Provokation
       für den Mainstream bedeutete, hielt sich „It’s a Sin“ sechs Wochen auf
       Platz eins der deutschen Charts. Viele deutsche Teenager hatten den Text
       aber womöglich auch gar nicht verstanden.
       
       1990 gelang Neil Tennant und Chris Lowe ihr Meisterwerk: Nach den wilden
       achtziger Jahren, die die Pet Shop Boys mit Hi-NRG durchschritten, läuteten
       sie die Neunziger mit Melancholie ein. Aids hatte sich mit aller Macht
       zwischen die Geschichten der Ausschweifungen geschlichen. Tennant
       antwortete mit dem „Being Boring“, einem lebensbejahenden Song über die
       Wildheit und das unweigerliche Verblassen der Jugend.
       
       „Being Boring“ feiert zunächst den unbekümmerten Hedonismus der Adoleszenz
       und erwähnt die ersten Bedenken beim Älterwerden: „Someone said: If you’re
       not careful you’ll have nothing left and nothing to care for.“ Er endet mit
       einer ambivalenten Rückschau: „All the people I was kissing – some are here
       and some are missing.“ 
       
       „Being Boring“ ist ein Popsong, der kaum verklausuliert die Frage nach Aids
       und dessen Einfluss auf das eigene Leben als schwuler Hedonist stellt. Wie
       gut die Pet Shop Boys sich trotz dieser eindeutigen – potenziell
       massenverstörenden – Ansagen im Pop zurechtfanden, zeigte wenig später „Go
       West“, einer ihrer größten Erfolge.
       
       Die Coverversion eines Village-People-Songs ist eine Affirmation der
       Gaydisco sondergleichen und sickerte als wunderschöner Treppenwitz der
       Geschichte in das Liedgut von Fußballfans ein, dem vielleicht homophobsten
       Teil unserer Gesellschaft. Nichts könnte die Pet Shop Boys mehr amüsieren.
       
       Die Zeit der Nummer-eins-Hits mag für die Pet Shop Boys vorbei sein. Beim
       traurigen Zustand der Charts im Zeitalter der bloßen Mimikry durch
       Castingshows sind sie als originelle, eigenständige Stimme aber so wichtig
       wie eh und je.
       
       Pet Shop Boys: „Elysium“ (Parlo- phone/EMI)
       
       15 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Ihle
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Madonna
       
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