# taz.de -- Neue Saison am Theater in Bremen: Konsequent beiläufiger Tiefsinn
       
       > Zur Spielzeiteröffnung bringt der neue Bremer Intendant Michael
       > Börgerding kurzweilige Theaterhybride aus Tanz, Musik und Dialog in die
       > Stadt.
       
 (IMG) Bild: Interkulturell und generationell: "Sorbonne noire" von Gintersdorfer und Klaßen.
       
       BREMEN taz | Aller Anfang ist – Marketing. Der rücksichtslose Kampf um die
       knappe Ressource Aufmerksamkeit. Medien infiltrieren, alle
       Werbemöglichkeiten nutzen, das Zielpublikum auf jede erdenkliche Art
       anzufixen.
       
       Aber zum Start der Intendanz Michael Börgerdings am Theater Bremen sucht
       man vergeblich nach markigen Botschaften. Kein Feuerwerk wird gezündet,
       kein Star von Blitzlichtgewittern illuminiert, kein großer Klassiker von
       einem berühmten Regisseur inszeniert. Im Stadtbild sind nur wenige
       Plakatwände mit groben Schnappschüssen neuer Ensemblemitglieder zu sehen.
       
       „Es geht uns um Inhalte“, erklärt der vom Hamburger Thalia Theater
       gekommene Chefdramaturg Benjamin von Blomberg, „was wir hier machen, soll
       man sich konkret aneignen können, es soll in das Leben hineinwirken und
       nicht von außen etwas setzen, was konsumiert werden kann. Wir wollen sanft
       zwingen zum Hinschauen, zur Vertiefung, zur Kommunikation – und uns so
       radikal abheben von Hochglanzprodukten.“
       
       Das neue Image der Bremer Bühne wäre das des intellektuellen Theaters, das
       einen Mehrwert bietet, weil es intensiver nachdenkt? Börgerding sagt: „Na
       klar!“ Und so glänzt nichts zur Spielzeiteröffnung, 17.45 Uhr, am
       vergangenen Freitag. Grauer Himmel, Nieselregen und ein paar Dutzend
       Neugierige auf dem Theatervorplatz.
       
       Gemeinsames Bummeln in den Wallanlagen, wo einige Künstler zu Musik tanzen,
       straßenfestmäßig. Unscheinbar oder bescheiden? Jedenfalls beiläufig. So
       geht’s weiter. Bremens neue Tanz-„artists in residence“, die Regisseurin
       Monika Gintersdorfer und der bildende Künstler Knut Klaßen, kuratierten
       eine Werkschau ihres Schaffens, „Sorbonne noire“, fürs frisch umgebaute
       Schauspielhaus.
       
       Wo früher Rang und silberschwarzes Parkett-Design prunkten, steht jetzt
       eine provisorisch gezimmerte Tribüne. Auf Gestühl wurde vorerst verzichtet.
       Da schlendert man einfach mal so hinein. Auch die ivorischen und deutschen
       Künstler. Sie geben sich eher privat als rollenspielerisch. Dabei gehört
       diese Art von Bühnenkunst eigentlich eher an experimentelle Bühnen und ist
       in Stadttheatern eher ungewöhnlich. Ausprobiert wird hier ein Theaterhybrid
       aus Tanz, Schauspiel und Dialog: Das Publikum soll durch direkte Ansprache
       ins Kultur-Clash-Gespräch verwickelt werden.
       
       Gintersdorfer/Klaßen haben sich die Elfenbeinküste als Modellfall
       ausgesucht. „Am Ende des Westerns“ erzählt davon, dass das Land zwischen
       November 2010 und April 2011 zwei Präsidenten hatte – inklusive
       konkurrierenden Ministerriegen und sich bekriegenden Kommandos.
       
       Fester Text existiert nicht bei Gintersdorfer/Klaßen, nur die Themen sind
       vorgegeben. Jeder Abend lebt von der Spontaneität. Gesprochen wird
       Französisch, ein deutscher Schauspieler übersetzt, hinterfragt und ahmt das
       Ganze in Ton und Bewegung nach. Wer den teilweise kabarettistischen
       Darbietungen zuschaut, gewinnt den Eindruck, einem
       Einfühlungs/Kennlerngeplauder am Kneipennachbartisch zu lauschen, wo sich
       nebenbei Elementares über Gesellschaft, Politik, Religion und kulturelle
       Differenzen vermittelt.
       
       In „Betrügen“ präsentieren sich dann Mitglieder einer hedonistische Gruppe
       von Ivorern, die „Jet Sets“. Sie plustern ihr prekäres Pariser
       Diaspora-Leben in einer Parallelwelt auf, erzählen von dekadenten
       Auftritten in den Clubs der Stadt, die alle Machoklischees und den
       Geld-Macht-Körper-Markenwarenfetischismus bedienen. Motto: Nur wenn ich
       auffalle, Eindruck mache, bin ich. Die Performance behauptet, dass die
       angemaßten Rollen darstellerischer Ausdruck der echten Lebenssituation
       sind.
       
       Für „Othello c’est qui“ ist die Bühne immer noch leer. Liebe, Sex, Ehre,
       Eifersucht und Verführbarkeit sind die Themen, die eine deutsche
       Schauspielerin und ein ivorischer Tänzer durchspielen. Sie sprechen aus der
       Perspektive ihrer gegenseitigen Vorurteile über Shakespeares Mohren, seine
       Darstellung auf deutschen Bühnen und das Desinteresse der Afrikaner an all
       dem. Alles sehr locker, kurzweilig. Konsequent beiläufig. Und möglichst
       weit weg vom bürgerlichen Repräsentationstheater. Also eine ideale
       Vorbereitung fürs Reflexionstheater für möglichst viele
       Bevölkerungsgruppen.
       
       Dann sind die Kinder dran. Das Musiktheater startet nicht mit der opulenten
       Oper fürs Abopublikum in die Spielzeit, sondern mit einem Werk, das gegen
       das sentimentale Kinder-Bild einer rosaroten Bärchenwelt angeht. Dazu
       benötigt Oliver Knussens „Wo die wilden Kerle wohnen“ ein riesiges
       Orchester. In Bremen braut es in einem dampfenden Höllenschlund an massiven
       Klangballungen, um Trotz, Mut, Verzweiflung ertönen zu lassen.
       
       So, wie sich der Komponist halt das Innenleben von Max vorstellt, dem
       Helden aus Maurice Sendaks Bilderbuch. Er will nicht brav und hilflos sein,
       sondern auch seine wilden Antriebe ausleben. Er quengelt, wütet, erkundet
       in Rollenspielen die Welt, bis die Mutter genervt ist und ihn ohne
       Abendbrot ins Bett verbannt. In einem Angsttraum verarbeitet der Junge, was
       ihn bedrückt, nimmt Reißaus in eine Fantasiewelt. Alptraumhafte Monster
       zerreißen die Kinderzimmerwände – Repräsentanten seiner Zerstörungslust und
       Verspieltheit, die auch Züge der Eltern tragen. Die Träume nehmen Max’
       Demütigung durch die Mutter zurück, machen ihn zu ihrem König. Der große
       Schrecken ist überwunden – die Psychotherapie gelungen. Schnell zurück nach
       Hause, wo auf Mamas Herd noch heiße Suppe zum Abendbrot wartet.
       
       Fazit: Der hanseatisch zurückhaltende Marketing-Weg, Aufmerksamkeit durch
       inhaltliches Wollen, ästhetisches Können und dialogförderndes
       Experimentieren herzustellen, dabei alle nicht künstlerischen Effekte zu
       vermeiden, wird beschwerlich sein, seine Zeit brauchen: Vielversprechend
       aber war er schon am Saisoneröffnungswochenende.
       
       18 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Fischer
       
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