# taz.de -- Neues Album der Kumbia Queers: Irritierend und ätzend harmlos
       
       > Zwischen der traditionellen Cumbia und der jenseits von
       > Geschlechtergrenzen liegenden Punkversion der Kumbia Queers liegen
       > Welten. Der Sound stimmt.
       
 (IMG) Bild: Der Sound stimmt: Kumbia Queers.
       
       „Unsere Freunde haben uns für verrückt erklärt“, erinnert sich Ali Gua Gua
       an die ersten Reaktionen auf ihre Idee mit der Band Kumbia Queers, Punk mit
       Cumbia zu kreuzen. Die sechs Frauen waren individuell seit zehn Jahren als
       Punkrockerinnen bekannt, was wollten sie jetzt mit der so süß schaukelnden
       Cumbia? Auch einige in der Band hegten zunächst Zweifel.
       
       „Mir haben die heftigen Reaktionen gefallen. So viele Gefühle! Wenn ich auf
       der Bühne Punk gespielt habe, dann ist da kaum Neues passiert. Cumbia zu
       spielen, das ist für mich viel mehr Punk.“ Sie lacht. Der Erfolg hat ihr
       recht gegeben.
       
       Kumbia Queers sind nach ihren ersten, von Freunden organisierten Konzerten
       in Europa zu einem angesagten Act auf Festivals und Konzertbühnen geworden.
       Wo gibt es das sonst noch, Punkattitude mit hypnotisierendem Rhythmus und
       schwingenden Hüften?
       
       ## Weitverzweigte Wurzeln
       
       Cumbia ist vor Jahrhunderten in Kolumbien entstanden, sie hat afrikanische,
       indianische und europäische Wurzeln. Wo hat Ali den Rhythmus zum ersten Mal
       gehört? „Wahrscheinlich als Teenager in Veracruz. Das ist der älteste Hafen
       von Mexiko, die Kultur dort ist sehr karibisch. Damals haben alle auf die
       Cumbia verächtlich runtergeschaut, ich auch. Ich war ja Rockerin.“
       
       Erst als sie nach Mexiko-Stadt umzog, lernte sie eine neue, urbane Version
       der Cumbia kennen. „Sie dröhnte auf der Straße aus den Lautsprechern der
       vorbeifahrenden Minibusse“, erinnert sich Ali.
       
       Mit der Musikindustrie reiste die Cumbia das ganze 20. Jahrhundert kreuz
       und quer durch Lateinamerika, von Panama über Mexiko bis nach Peru und
       Argentinien. Dort entstand in den letzten 20 Jahren mit der Cumbia Villera
       eine Ghetto-Version dieser sonst oft melodramatisch-romantischen Musik.
       Fünf der Kumbia Queers kommen aus Argentinien. Dort gab es also schon vor
       ihnen eine elektronische Version, die nah am Alltag dran war. Aber die
       Cumbia Villera ging den Ladys eigentlich auf die Nerven, zu sexistisch, zu
       eintönig, zu machistisch.
       
       Also anders machen, besser machen. Die Kumbia Queers bedienen sich deshalb
       nicht einfach aus einem traditionellen Repertoire, sie setzten der
       Standard-Cumbia von heute etwas entgegen und bieten ihr was an. In ihren
       Songs geht es um Liebe, Begehren, Ängste, Neurosen, den ganz normalen Kram,
       aber alles ist auch ein bisschen überzogen. Ständig treten in den Videos
       stereotype Figuren auf, das Sportgirl, das Kalendergirl, die Frau mit den
       sexy Cowboystiefeln. Aber dann geht es ab, es wird absurd und überdreht.
       
       Trotzdem geht es um Gefühle, Lust und Frust, Wut und Euphorie. Queer ist
       für sie nicht in erster Linie eine Frage der sexuellen Orientierung,
       sondern eine Haltung. „Hab keine Angst, so zu sein, wie du bist, auch wenn
       es dafür keinen Namen gibt. Du brauchst keine fertige Definition, weder für
       dich noch für die Welt“, sagt Ali.
       
       ## Ein zäher Beat
       
       Schon die alte Cumbia hat die Welt nicht in Neu und Alt, in Schwarz und
       Weiß, in modern und primitiv aufgeteilt. Der Tanz und sein eindrücklicher
       Rhythmus entstanden in Kolumbien im Überleben von Sklaverei und
       Arbeitszwang. Ein schaukelnder, fast zäher Beat schraubt sich in die Körper
       hinein, in Hüften und Schultern.
       
       Alles dreht sich in der Cumbia im Kreis, vergeht und kehrt zurück. Sie
       konnte im 20. Jahrhundert an ganz unterschiedliche Kontexte anschließen:
       Erst wurden aus kleinen Bands vom Land große urbane Orchester. Klarinetten
       ersetzten die alten indianischen Flöten. Dann kamen in den sechziger Jahren
       elektrische Gitarren, die Cumbia ließ sich vom Rock ’n’ Roll inspirieren.
       
       Sie hat sich in den letzten hundert Jahren schon mehrfach verwandelt und
       überall ihre hypnotische Wirkung entfaltet. Insofern ist das mit der
       queeren Punkcumbia nur folgerichtig.
       
       Trotzdem musste jemand kommen und es machen. Das Debütalbum der Kumbia
       Queers war noch sehr rockig. „Wir hatten wirklich noch keine Ahnung von
       Cumbia. Aber es war lustig.“ Sie spielten Coversongs, von Madonnas „Isla
       Bonita“, zu Black Sabbath’ „Iron Man“, alles im Cumbia-Rhythmus. Das zweite
       Album produzierten sie mit Pablo Lescarno von den Damas Gratis, „der
       Maradona der Cumbia Villera“, meint Ali stolz. Eigentlich hätten sie da
       erst richtig gelernt, wie man die Cumbia spielt.
       
       Ihre drittes Album „Pecados Tropicales“ haben sie nun selbst produziert.
       Über den konzeptuellen Witz des Überschreitens von Genregrenzen sind sie
       längst hinaus: Ihre Melodien verlaufen ganz in der Tradition der Cumbia
       recht harmlos. Aber die Antworten des Synthesizers sind irritierend, fast
       ätzend. Trotzdem bleibt alles schön ausbalanciert und verführerisch, denn
       die Kumbia Queers haben den schaukelnden Rhythmus der Cumbia jetzt richtig
       drauf.
       
       18 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Astrid Kusser
       
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