# taz.de -- RELIGION: Der Neuling
       
       > Der katholische Orden der Steyler Missionare bildet seinen Nachwuchs in
       > Berlin aus. Severin Parzinger, 23 Jahre alt, gelobte gerade Armut,
       > Ehelosigkeit und Gehorsam. Was treibt einen Mann in seinem Alter heute
       > dazu, Priester zu werden?
       
 (IMG) Bild: Freut sich immer über Priester-Nachwuchs: Der Erzbischof von Berlin, Rainer Maria Woelki, taucht die St. Hedwigs-Kathedrale in Weihrauch.
       
       Der junge Mann schluckt und zögert kurz. Dann sagt er: „Ich, Severin
       Parzinger, gelobe dir, Vater, Sohn, Heiliger Geist, für ein Jahr ein Leben
       in Armut, in Keuschheit und Gehorsam zu führen.“ Severin Parzinger,
       hochgewachsen, schlaksig, sympathisches Jungengesicht, ist gläubiger
       Katholik. Und er möchte seinen Glauben bedingungsloser leben als die
       meisten seiner AltersgenossInnen: Der 23-Jährige will Priester in einer
       missionarisch-katholischen Ordensgemeinschaft werden und ein Leben nach den
       drei Räten des Evangeliums führen: ehelos, arm und in Gehorsam zu Gott.
       
       Das erste Ausbildungsjahr – das Noviziat – bei den Steyler Missionaren in
       Charlottenburg liegt hinter ihm, als er im Gründungshaus der katholischen
       Bruderschaft im niederländischen Steyl die Gelübde ablegt. Sein Orden hat
       die Szenen ins Internet gestellt, um das Selbstverständnis der Missonare
       auch nach außen zu tragen. „Das war schon ein extremer Schritt, ein
       radikaler“, erinnert sich Parzinger heute an diesen Tag im Februar 2012.
       „Ich beschließe ja, mein Leben Gott und der Gemeinschaft zu schenken.“
       
       Das Heilig-Geist-Kolleg der Steyler Missionare in Neu Westend hat Platz in
       einem nüchternen, weißen Putzbau. Eine schmale Tür öffnet sich, Pater
       Norbert Cuypers tritt heraus. Cuypers ist Noviziatsleiter und damit
       zuständig für das erste Ausbildungsjahr des Ordensnachwuchses in
       Deutschland, Österreich und der Schweiz. Neben den Franziskanern in Pankow
       sind die Steyler Missionare der einzige katholische Orden, der seinen
       Nachwuchs in Berlin ausbildet – wenn es denn Nachwuchs gibt. In diesem Jahr
       hat sich kein einziger Interessent gefunden, im letzten Jahr waren es zwei.
       „Das ist schon viel“, sagt Cuypers. „So sieht die Realität in Deutschland,
       eigentlich in ganz Westeuropa aus.“
       
       ## Selbst schuld
       
       Cuypers sieht die Kirche zum einen selbst in der Schuld, dass der Nachwuchs
       ausbleibt: Die Missbrauchsfälle, außerdem der „Ballast von Riten und
       Ritualen“. Vor allem aber macht er die moderne Gesellschaft mit ihrem
       selbstbestimmten Individualismus verantwortlich: „Es ist Mainstream
       geworden, sich nicht mehr zu binden: privat nicht, beruflich nicht, auch im
       Glauben nicht.“
       
       Severin Parzinger jedoch will sich binden. „Ich spüre einfach, dass das
       Gottes Wille ist, dass der Orden der Raum ist, in dem ich mich entfalten
       kann“, sagt er. Die Begeisterung in seiner Stimme trägt sogar über die
       fragile Skype-Verbindung aus der irischen Kleinstadt Maynooth, wo Parzinger
       derzeit in der ordenseigenen Sprachschule sein Englisch für
       Missionarseinsätze in Übersee aufbessert. Zwischen Morgenmesse und
       Abendgebet lernt Parzinger jetzt unregelmäßige Verben, paukt Vokabeln – und
       wartet: darauf, dass noch im Herbst endlich das Theologiestudium an der
       staatlich anerkannten Theologisch-Philosophischen Hochschule des Ordens in
       St. Augustin bei Bonn beginnt.
       
       Das Priesteramtsstudium ist der nächste Schritt auf Parzingers Weg in den
       Orden. Parzinger wuchs in einer bayrischen Kleinstadt auf, verbrachte seine
       Zeit mit dem Segelboot auf dem Chiemsee oder beim Geigenunterricht. Der
       Glaube spielte zwar früh eine Rolle in seinem Leben – wie seine drei
       Geschwister war er Ministrant in der örtlichen Kirchengemeinde. Im
       Vordergrund stand er aber nicht: „Wir sind sonntags in die Kirche gegangen,
       aber das war es auch eigentlich.“ Die Schwester studiert heute auf Lehramt,
       der jüngere Bruder macht eine Ausbildung zum Schreiner.
       
       Nach dem Abitur ging Parzinger als „Missionar auf Zeit“ nach Bolivien –
       eine Art Freiwilligendienst der Steyler Missionare und ein Entschluss, der
       seinem Leben fortan die Richtung vorgab. In Bolivien arbeitete er in der
       dortigen Pastorei und unterrichtete Geige in der Musikschule des Ordens.
       Zurück in Deutschland, stand sein Entschluss fest: Er würde in eine
       Ordensgemeinschaft eintreten. Und zwar nicht auf Zeit, sondern für immer.
       
       Seine Eltern, sagt er, hätten positiv reagiert, seine Freunde zunächst eher
       verhalten: „Irgendwann haben sie gemerkt, dass es mir ernst ist. Da haben
       sie mich unterstützt.“ Seine Freundschaften außerhalb des Ordens seien ihm
       wichtig, er pflege sie gut. Es müsse auch den Severin Parzinger außerhalb
       des Ordens geben, sagt er.
       
       Der Orden freut sich über Leute wie Severin Parzinger. Möglichst nicht
       älter als 35 Jahre, mit Abitur oder abgeschlossener Berufsausbildung,
       sollten Interessenten sein – und klar motiviert, „das ganze Leben in den
       Dienst Christi zu stellen“, heißt es auf der Homepage des Ordens. Man will
       kein Sammelbecken sein für verkrachte Existenzen, die nicht so genau
       wissen, wohin mit sich. „Da können ja auch Verdrängungsmechanismen im Spiel
       sein“, sagt Pater Cuypers. „Weil einer mit seinem Elternhaus nicht
       klarkommt, weil ihm die Freundin weggelaufen ist, widmet er sein Leben
       jetzt Jesus.“
       
       Im Noviziat wird allerdings dafür gesorgt, dass man mit halbgarer
       Motivation nicht weit kommt. Morgens stehen zwei Stunden lang thematische
       „Impulse“ auf dem Plan – „Vergeben lernen in 12 Schritten“ lautet ein
       Seminartitel, „Die Fähigkeit zur kreativen (Selbst-)Treue“ ein anderer.
       Außerdem gibt es Blockkurse („Eheloses Leben – wie kann das gelingen?“),
       ein Sozialpraktikum, alle 14 Tage ein Einzelgespräch mit dem
       Noviziatsleiter und ein psychologisches Gutachten. „Man sieht sich sehr
       genau an: Wer bin ich eigentlich?“, sagt Cupyers. „Wie sind meine
       Beziehungen zu anderen, was erwarte ich vom Glauben?“ Und auch der Orden
       schaue sehr genau hin: Nach der großen Debatte über die Missbrauchsfälle in
       der katholischen Kirche sei man besonders vorsichtig geworden – auch
       deshalb das psychologische Gutachten.
       
       Severin bestand alle Tests problemlos. Sein Weg zu den Steyler Missionaren
       sei bisher eher ein Spaziergang denn ein Kampf gewesen, sagt er. Er sagt es
       so federleicht daher. Gab es denn nie Zweifel? Doch, sagt er, natürlich
       habe es besonders im Noviziat Tage gegeben, „an denen man an seine Grenzen
       kommt“. Dann spricht er ein wenig abstrakt und pflichtbewusst von dieser
       „schwer zu fassenden Dimension der drei evangelischen Räte“. Konkret und
       ernsthaft scheinen die Zweifel bei ihm nicht zu sein.
       
       Norbert Cuypers hingegen, 47 Jahre alt, wird da klarer: Das Gelübde der
       Ehelosigkeit etwa. „Das ist nicht immer einfach“, sagt Cuypers. „Wir sind
       ja auch Menschen, wir sind ja auch Männer.“ Mit Anfang zwanzig frage man
       sich noch nicht, ob man nie einen Sohn haben werde. „Das kommt später.“
       Cuypers erzählt von einem befreundeten Ehepaar, das sein erstes Kind
       erwartet: „Da ist schon ein bisschen Wehmut.“ Da bleibe ein Loch, eine
       schmerzliche Lücke. Die auch Gott nicht füllt? Kurzes Zögern. „Nein, das
       Letzte wird er nicht geben.“
       
       Verliebt habe er sich in seinem Noviziatsjahr nicht, sagt Parzinger – zum
       Glück. Eine Exfreundin war „Missionarin auf Zeit“, das sei schon lange vor
       dem Noviziat vorbei gewesen. Natürlich denke er manchmal darüber nach, wie
       es wäre, eine Beziehung zu haben. „Wenn ich mich an einen Menschen binde“,
       sagt er, „bleiben andere, bedürftige Menschen, außen vor. Aber für die will
       ich da sein.“ Er sagt auch, er könne keine endgültige Garantie für die
       Zukunft übernehmen. „Ich kann nur meine Entscheidung im Jetzt leben.“ Es
       ist eine radikale Entscheidung.
       
       1 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Klöpper
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kirche
       
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