# taz.de -- Architektur: Wappen, Helmzier, Stahlbeton
       
       > Eine Schlossanlage, mitten im Wald in der Nähe des niedersächsischen
       > Brome, liegt weder dem Eigentümer noch dem Denkmalschutzamt am Herzen.
       > Dabei ist es ein baugeschichtliches Kuriosum, das Architekt Paul Bonatz
       > 1942 fertig gestellt hat.
       
 (IMG) Bild: Macht derzeit keinen gepflegten Eindruck: das Schloss Neumühle.
       
       BROME taz | Gelblicher Kalkstein, vier wehrhafte Ecktürme zur
       baukörperlichen Akzentuierung, eine Freitreppe zum Portal unter Wappen und
       Helmzier – das Schloss Neumühle folgt stilistisch einer vagen
       Neo-Weserrenaissance. Es ist auf alt gemacht, ist aber nicht wirklich alt:
       Gebaut wurde das Schloss 1938. In seinem Inneren herrschte damals eine
       zeitgemäße Bautechnik aus Stahlbetonkonstruktionen und Zentralheizung. Das
       erste Obergeschoss enthielt nichts als Gästezimmer und moderne Bäder.
       
       Architekt des stattlichen Schlosses Neumühle mit seinen ausgedehnten
       Nebengebäuden ist kein geringerer als Paul Bonatz (1877-1956). Er hatte
       zuvor unter anderem im Jahr 1914 die Stadthalle Hannover, 1927 den
       Stuttgarter Hauptbahnhof und 1936 das Kunstmuseum in Basel gebaut.
       
       Das Schloss befindet sich an der B 248, neun Kilometer hinter Brome. Folgt
       man der Abzweigung in Richtung Schloss, erreicht man nach ein paar hundert
       Metern eine Absperrung mitten im Walde. Auf einem Hinweisschild steht:
       „Zutritt verboten!“
       
       Seit März 2000 gehört das Schloss Christian Ferdinand Isernhagen, einem
       norddeutschen Immobilienhändler mit Büros unter anderem in Stade und
       Salzwedel. Gelegentlich werden in Abstimmung mit Isernhagen Besucher über
       das Gelände geführt. Dort erwartet einen kein angenehmer Eindruck. Der
       Garten ist verkommen, einige Nebengebäude verfallen. Auch das respektable
       Schloss macht einen vernachlässigten Eindruck, ganz so, als ob sich hier
       jemand mit einem Spekulationsobjekt übernommen hätte.
       
       Darüber, was mit dem Schloss geschehen soll, ist vom Eigentümer Isernhagen
       nichts zu erfahren: In Isernhagens Stader Büro heißt es lediglich, man sei
       „in Vorbereitung einer neuen Nutzung“.
       
       Auch eine Anfrage beim Referat Denkmalschutz des Landes Sachsen-Anhalt
       bleibt ergebnislos. Die Anfrage wird an die zuständige untere
       Denkmalschutzbehörde des Altmarkkreises Salzwedel verwiesen. Dort gibt man
       sich zugeknöpft: „Wir haben eine Ortsbesichtigung durchgeführt und das
       Ergebnis dem Referat Denkmalschutz des Landes Sachsen-Anhalt mitgeteilt.“
       Das Ergebnis will man auch auf neuerliche Nachfrage nicht mitteilen.
       
       Der Architekt des Schlosses, Paul Bonatz, war prominenter Vertreter der
       „Stuttgarter Schule“ – einer wertkonservativen Architekturauffassung in
       erklärter Distanz zum „Neuen Bauen“, wie es sich im Bauhaus Dessau, in der
       Stuttgarter Weißenhofsiedlung oder in den programmatischen Architekturen Le
       Corbusiers manifestierte. In den 1930er Jahren war Bonatz zudem als
       künstlerischer Berater bei Brückenbauten der Reichsautobahn beteiligt.
       
       Das sonderbare Bauvorhaben eines Grafenschlosses mitten in einem
       verheerenden Expansionskrieg und im Auftrag der Adelsfamilie derer von der
       Schulenburg schien ganz nach Paul Bonatz’ Geschmack gewesen zu sein. „Es
       war eine völlig unzeitgemäße Aufgabe, also eine Aufgabe nach meinem
       Herzen“, beschrieb er es 1950 in seinen Memoiren. „Und dazu passten die
       Bauherrn: Er, der Graf, war (...) ein Herr von oben bis unten, voll Humor,
       mit ihm konnten man trinken – und sie, die stolze junge schöne Herrin
       (...). Sie leitete mit Klarheit (...) und war eine wahre Königin aller
       Blumen“, so Bonatz weiter.
       
       Wie aber war es zu diesem Bau gekommen? Die Geschichte hat mit der
       Entstehung der gut 30 Kilometer entfernten Stadt Wolfsburg ab Juli 1938 zu
       tun. Die „Gesellschaft zur Vorbereitung des Volkswagenwerkes und der Stadt
       des KdF-Wagens“, die „Ge-zu-Vor“, beanspruchte zum Bau von Werk und Stadt
       rund 2.000 Hektar Land rund um die historische Wolfsburg aus dem Besitz des
       Hauses von der Schulenburg.
       
       Ob es sich bei dem Transfer um eine Enteignung handelte – diese
       Rechtsauffassung lehnt Manfred Grieger aus der historischen Kommunikation
       des VW-Konzerns ab – oder ob es sich um einen tatsächlichen, dem Wert
       entsprechenden Verkauf handelte, sei dahingestellt. Die Familie von der
       Schulenburg sicherte sich jedenfalls im Zuge der Eigentumsabtretung
       Materialien, Arbeitskräfte und Transportkapazitäten zur Errichtung eines
       gleichwertigen neuen Schlosses in ihren Ländereien im heutigen
       Altmarkkreis.
       
       In einem wochenlangen Umzug wurde 1942 der gesamte Familienbesitz nach
       Neumühle gebracht. Die Stadt des KdF-Wagens erwarb 1943 die alte Wolfsburg
       für 560.000 Reichsmark (heute: 2.011.885 Euro), so steht es auf der Website
       des Hauses von der Schulenburg. Auf Erstellungskosten von 1,3 Millionen
       Reichsmark für den gesamten Komplex Neumühle beziffert Günzel Graf von der
       Schulenburg das Bauvorhaben seiner Eltern.
       
       Ebenfalls 1943 lagerte die Kunsthalle Bremen Teile ihrer Sammlung dorthin
       aus. Im Frühjahr 1944 versteckte die Gräfin den Familienschatz in einer
       doppelwandigen Abseite am Arbeitszimmer des Grafen. Dort wurde der Schatz
       2001 geborgen.
       
       Am 1. Juli 1945, wenige Stunden vor Übernahme durch die Rote Armee,
       flüchtete die Familie in die britische Besatzungszone. Den
       zurückgebliebenen Schlossverwalter brachten die neuen Machthaber in das
       Internierungslager Buchenwald, dort kam er zu Tode. Das Schloss wurde
       geplündert, der gesamte Besitz enteignet.
       
       Unmittelbar nach 1945 diente das Schloss als Flüchtlingsunterkunft, später
       als Tuberkuloseheilstätte, von 1965 bis zur deutschen Wiedervereinigung als
       Pflegeheim geistig behinderter älterer Menschen. Seit 1991 steht es leer.
       Eine Delegation aus dem VW-Umfeld besichtigte damals das Anwesen, ein Kauf
       wurde jedoch nicht weiterverfolgt.
       
       9 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Maria Brosowsky
       
       ## TAGS
       
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