# taz.de -- Der Enkel Max Pechsteins erinnert sich: „Vögel wie ein V“
       
       > Alexander Pechstein ist der Enkel des Malers Max Pechstein. Ein Gespräch
       > über seinen Großvater, den er „Maxe“ nennt, blaue Bäume und verbrannte
       > Bilder.
       
 (IMG) Bild: Im Hintergrund der Großvater: Alexander Pechstein vor Max Pechsteins „Frauen am Waldrand“ (1911) im Kunsthaus Stade.
       
       taz: Herr Pechstein, gibt es eine frühe Erinnerung an Ihren Großvater? 
       
       Alexander Pechstein: Ja, die gibt es. Da war ich vier Jahre alt, in der
       Kurfürstenstraße in Berlin, da war sein Atelier. Ich sehe ihn mit einem
       Skizzenblock, wie er Skizzen von mir macht.
       
       Was wurde aus den Skizzen? 
       
       Sie sind im Zweiten Weltkrieg mit dem Haus verbrannt.
       
       Können Sie sich an frühe Reisen von Max Pechstein erinnern? 
       
       Ja, auch das. In Leba, in Pommern, da bin ich vier, fünf, dort wohnte mein
       Großvater bei den Möllers, den Eltern seiner zweiten Frau, Marta, wir waren
       im Sommerurlaub dort. Schemenhaft sehe ich ihn mit den Malutensilien, der
       Leinwand mit dem Keilrahmen, in die Dünen ziehen.
       
       Er hat in Berlin gelebt, obwohl er das Landleben liebte. 
       
       Ja, später in der Hubertusallee, Grunewald, dort lebte er fünf, sechs Jahre
       lang, schöne Villa. Er hatte die untere Etage. Ich kann mich erinnern, wie
       er im Garten steht und mit einer Säge Holz klein macht. Es war schön dort.
       
       Sie durften in sein Atelier? 
       
       Jeder durfte das. Nach dem Krieg war er Professor an der Hochschule für
       Bildende Künste in Berlin, da kamen die Studenten ins Atelier und wir auch.
       
       Und haben ihm über die Schulter geguckt? 
       
       Studenten durften ihm über die Schulter gucken, wir auch.
       
       Andere nicht? 
       
       Wenn er irgendwo saß, und hat gemalt, etwa in Öl, und Touristen kamen, und
       haben ihn gefragt: „Warum malen Sie das Haus rot, das ist doch gelb, und
       warum den Baum blau, der ist doch grün?“, dann mochte er das nicht.
       
       Er wollte nicht diskutieren. 
       
       Nein, nicht diskutieren. Deshalb ist er oft morgens schon um drei
       losgezogen, da war dann keiner, der ihn belästigt hat.
       
       Haben Sie sich auch über blaue Bäume gewundert? 
       
       Überhaupt nicht! Ich bin in Ateliers aufgewachsen. Mein Stiefvater war der
       Maler Helmut Märksch, wir hatten ein Atelier in der Ruhlaer Straße 12 in
       Berlin, dort hab ich gewohnt. Ich hab als Kind Keilrahmen gebaut, Leinwände
       gespannt, mich hat interessiert, wie Maxe das gemacht hat, wie er umgesetzt
       hat, was er gesehen hat.
       
       Auch Ihr Stiefvater war unter den Nazis verboten. 
       
       Ja. Helmut Märksch hat sehr schöne Sachen gemalt. Max durfte malen, aber
       nicht ausstellen, das war furchtbar für ihn. Die Nazis haben ein Bild von
       ihm für Devisen verkauft, haben seine Bilder verbrannt, und dann sind bei
       Bombenangriffen Bilder verbrannt.
       
       Was glauben Sie, mit welcher Einstellung sind die Besucher in die
       Ausstellungen für „Entartete Kunst“ gegangen? 
       
       Wie in andere Ausstellungen auch. Im Stade-Katalog ist ein Foto:
       Ausstellung „Entartete Kunst“ in München 1937. Da sehen sie, dass die Leute
       die Bilder aufmerksam und interessiert betrachten. Ich glaube nicht, dass
       die Nazis das erreicht haben, was sie erreichen wollten.
       
       Dass die Besucher sich vor Abscheu abwenden? 
       
       Genau das nicht.
       
       Haben Sie zugeguckt, wie Ihr Großvater gemalt hat? 
       
       Hm, muss ich nachdenken. Ja, ich hab’ zugeguckt, in Leba, in den Dünen. Wir
       sind in der Düne rum gesprungen, Maxe hat gemalt. Rüber gucken, der Opa
       malt, alles gut, weiter hüpfen. Er hat gern an zwei Bildern gleichzeitig
       gemalt, weil das doch dauert, bis die Ölfarbe trocknet. Hat er einmal den
       einen Blick gemalt, einmal den anderen Blick. Wenn es dann hieß:
       Zusammenpacken, ab nach Hause, hatte er zwei nasse Bilder. Da hat er dann
       oben an den Bildern durchgeschnittene Korken befestigt, so konnte er zwei
       Ölbilder mit den nassen Seiten nach innen transportieren, ohne dass sie
       sich berührten. Auf manchen Bildern finden Restauratoren Sandkörner von der
       Ostsee. Das finden die Restauratoren spannend. Das kommt, wenn man „en
       plein air“ malt.
       
       Waren Sie später mal dort, wo er gemalt hat? 
       
       Ja, im Jahr 2009, also zum 100-jährigen Jubiläum seiner ersten
       Nidden-Reise, waren wir in Nidden auf der Kuhrischen Nehrung. Von Kiel aus,
       eine Woche, war hoch interessant. Wir sind auf den Spuren meines Großvaters
       gewandelt und haben nachempfunden, wo genau er mit seiner Staffelei
       gestanden hat. An einer Stelle stehen jetzt hohe Bäume. Wir haben die Rote
       Kirche gesehen, die er gemalt hat. Meine Cousine hat eine Ortsbesichtigung
       in Monterossa al Mare in Ligurien gemacht.
       
       Hatte nicht auch Thomas Mann in Nidden ein Haus? 
       
       Stimmt, Nidden heißt heute Nida und liegt in Litauen.
       
       Gibt es den Gasthof Blode noch? 
       
       Der heißt nun „Nidos Smilte“. Wissen Sie, was es mit dem Gasthof auf sich
       hat?
       
       Nein. 
       
       Ernst Mollenhauer, der Landschaftsmaler, hat Hedwig Blode, die alle Heta
       nannten, geheiratet. Heta war die Tochter des Gastwirts Hermann Blode.
       Blode hat die Bilder der Expressionisten, die auf Nidden malten, also
       Schmidt-Rotluff, Lovis Corinth, Pechstein, gesammelt, Mollenhauer hat die
       Bilder vor den Nazis gerettet. Im Winter 1945 haben die Soldaten der Roten
       Armee die Bilder in der Sauna verheizt.
       
       Haben Sie dem Großvater mal eigene Zeichnungen gezeigt? 
       
       Nein. So etwa: Opa – guck mal? Nein.
       
       Wie haben Sie in der Schule gemalt? 
       
       Weiß ich noch, einmal hat Maxe in einem Aquarell Vögel gemalt wie ein „V“,
       die habe ich in der Schule in einer Zeichnung übernommen. Mein
       Zeichenlehrer schrieb drunter: „Sollen das Vögel sein?“
       
       Wie war er denn als Großvater? 
       
       Er war nett, liebevoll, wie ein Opa so vom Enkel wahrgenommen wird. Wir
       haben allerdings nicht zusammen Eisenbahn gespielt.
       
       Sind Sie auf ihn angesprochen worden? 
       
       Ja, Klassenkameraden sprechen einen an: Dein Großvater steht im Lexikon,
       aber das machte mir nichts aus. Die Erwartungshaltung, die damit verbunden
       ist, war manchmal ein bisschen lästig.
       
       Und Lehrer? 
       
       Ja, fremde Leute. Die fragen, das ist noch heute so: Sind Sie verwandt mit
       Max Pechstein? Manchmal werde ich heute auch nach Claudia Pechstein
       gefragt.
       
       Und? 
       
       Nicht unser Zweig der Familie.
       
       Wie ist es, in einem Künstlerhaushalt aufzuwachsen? Ihre Mutter war
       Schriftstellerin. 
       
       Interessant. Ich hab meinen Stiefvater oft beim Malen erlebt. Seine
       Wutausbrüche, wenn er etwas nicht so hinbekommen hat, wie er sich das
       vorgestellt hat. Dann konnte er schon mal das Palettenmesser durch die
       Leinwand stoßen. Ich hab’ dann die Leinwand geflickt. Ich hab’ ihm auch
       Farben gemischt.
       
       Gibt es in der Ausstellung Bilder mit biografischen Bezügen? 
       
       Ja. Sehen Sie mal genau „Lotte mit Kopftuch“ an, und alle frühen Akte, das
       ist immer meine Großmutter Lotte Pechstein.
       
       Sie sehen ihr ähnlich. 
       
       Ja, das setzt sich bei unserem Familienzweig durch, auch bei meinen
       Enkelkindern.
       
       Ihr Großvater bestimmt Ihr Leben? 
       
       Ich befasse mich jetzt hauptsächlich mit Pechstein. Kümmere mich mit meiner
       Cousine in der Max Pechstein-Urheberrechtsgemeinschaft um den Nachlass, um
       Ausstellungen und um das leidige Thema Fälschungen, zum Beispiel Wolfgang
       Beltracchi aus Höxter, mit bürgerlichem Namen Wolfgang Fischer, der auch
       Max Pechstein gefälscht hat.
       
       Nee! 
       
       Aber ja. Das war der größte Fälscherskandal der letzten Jahre, er ist 2011
       zu sechs Jahren verurteilt worden.
       
       Was hat er gefälscht? 
       
       Einen „Liegenden Frauenakt mit Katze“ und eine „Seine-Brücke“. Er ist
       geschickt vorgegangen. Bilder, von denen man annehmen konnte, dass Max
       Pechstein sie gemalt hat, die aber als verschollen galten, hat er
       gefälscht. So hat er es auch bei Max Ernst und Fernand Léger gemacht.
       
       In Stade sind alle Bilder echt? 
       
       Alle echt.
       
       10 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Roger Repplinger
       
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