# taz.de -- „Hicksville" von Dylan Horrocks: Gralshüter des Comics
       
       > Der neuseeländische Zeichner Dylan Horrocks erzählt mit „Hicksville" eine
       > Geschichte über Liebe, Entfremdung und eine Stadt voller Comic-Nerds.
       
 (IMG) Bild: In „Hicksville" greift man im Zweifel zum Comic. Leseproben gibt es <a href="Weitere Leseproben unter: http://www.reprodukt.com/product_info.php?cPath=1&products_id=445 ">hier</a>.
       
       Dylan Horrocks sagt, dass seine ersten Worte „Donald Duck“ gewesen seien.
       Man kann sich vorstellen, wie gut der Neuseeländer in die amerikanische
       Mainstream-Comicindustrie hineingepasst hat. Einer, der seine ersten Worte
       einer durchs permanente Scheitern heldenhaften Ente widmet, kann sich unter
       lauter Superheldenschöpfern nicht wohlfühlen.
       
       Als Horrocks zwischen 1992 und 1997 seinen Comic „Hicksville“ schrieb,
       ahnte er noch nicht, dass dessen Erfolg ihn in die kommerzielle
       Comicindustrie führen würde. Für ihn sei es eine faszinierende Erfahrung
       gewesen, aber sie habe seine Kreativität als Comiczeichner beinahe
       zerstört. Als Kind habe ihn an Comics „nicht das fasziniert, was sie waren
       – vermummte Machtfantasien und billige Lacher –, sondern was sie sein
       konnten: eine neue Kunst- und Literaturform, mit der alles möglich ist“.
       
       Im Superheldensektor kam er sich wie im „Industriegetto“ vor, das abseits
       von den Orten liegt, wo „die wahre Action stattfindet“. Um diese Geschichte
       von Liebe und Entfremdung geht es in „Hicksville“.
       
       Dick Burger hat als der einflussreichste Superhelden-Comiczeichner der Welt
       ein kleines Imperium aufgebaut. Er lässt seine Macht raushängen, ist
       anmaßend und scheint in seiner Rolle als Magnat aufzugehen. Hinter seinem
       kometenhaften Aufstieg liegt irgendein Geheimnis in seiner neuseeländischen
       Heimatstadt begraben. Jeder in der kleinen Stadt Hicksville liebt Comics
       und hasst Dick Burger.
       
       Schon in der Leihbibliothek verbirgt sich ein wahrer Schatz an Raritäten.
       Dick Burgers Gegenpart ist der Hicksviller Comiczeichner Sam Zabel, der mit
       seinen depressiven Cartoons erfolg- und mittellos in der Regionalpresse
       stecken bleibt. Dick verhöhnt wie Mephisto seinen Jugendfreund Sam und will
       ihn mit seinem Geld weg von Hicksville in die Staaten locken.
       
       ## Außmaße von „Citizen Kane“
       
       Was sich in der Zusammenfassung arg nach dem Schema Liebhaberei versus
       Geldmacherei anhört, nimmt im Buch eher die Ausmaße von „Citizen Kane“ an.
       Hicksville ist Dick Burgers Rosebud: ein Paradies, das er verloren hat. Er
       versucht sein verlorenes Ideal zu korrumpieren, das der
       Dachkammer-Comicpoet Sam verkörpert. Burger will sich beweisen, dass es
       nicht an seinem Charakter liegt, dass er das Comicparadies verlassen
       musste. Alle Figuren in „Hicksville“ vereint ein Band: Sie alle sind
       Gralshüter des Comics. Je nachdem, wie sie zum Verrat von Dick Burger
       stehen, wie sie das Erbe von Hicksville pflegen, entfremden sie sich
       voneinander und nähern sich wieder aneinander an.
       
       „Hicksville“ bietet in vielen Lagen Comics im Comic auf: Sams Schöpfung,
       ein manisch-depressives Kringelduo, begleitet ihn kommentierend durchs
       Leben; Seiten eines gezeichneten neuseeländischen Mythos schwirren dem
       naiv-idealistischen Comicjournalisten Leonard Batts immer wieder vor die
       Füße, während er das Geheimnis um Dick Burger zu lüften versucht.
       
       Horrocks spart auch nicht an geschichtlichen und zeitgenössischen
       Anspielungen an die Comicszene: Dick Burger staucht etwa als Running Gag am
       Telefon einen Zeichner namens Todd zusammen. Dahinter verbirgt sich Todd
       McFarlane, der seit den späten Achtzigern mit „Spider Man“ und „Spawn“ in
       den Vereinigten Staaten zum Comic-Superstar geworden war.
       
       ## Nicht nur für Nerds
       
       Wenn man solche Referenzen versteht, kann man sich zum Comic-Universum
       zugehörig fühlen. „Hicksville“ erzählt aber eine universellere Geschichte.
       Dylan Horrocks hat sein Buch davor bewahrt, bloße Comicnerd-Lektüre zu
       sein, indem er daraus ein Buch über die Janusköpfigkeit jeder ästhetischen
       Leidenschaft gemacht hat. Die Liebe zu Comics treibt die Hicksviller
       genauso heftig voneinander weg, wie sie sie aneinanderschweißt. Ihr
       Verhältnis dazu ist so intim, dass sie Schwierigkeiten damit haben, dass es
       auch andere gibt.
       
       „Hicksville“ spiegelt auch wider, wie Horrocks Neuseeland wahrnimmt.
       „Manchmal glaube ich, ich bin in zwei Ländern aufgewachsen: in Neuseeland
       und in Comics. ’Hicksville‘ war eine Art, meine Beziehung zu beiden zu
       erforschen. Genau wie die Geschichte des Comics voller Ausbeutung und
       moralischer Verbrechen ist, basiert auch die Geschichte Neuseelands auf
       Kolonisation.“
       
       Nicht nur wegen Donald sagt Horrocks von sich: „Comics sind meine
       Muttersprache.“ Es ist gut, dass sich nach Jahren jetzt endlich die
       Gelegenheit gefunden hat, dass ein so essenzielles Buch wie „Hicksville“ in
       Deutschland wahrgenommen wird.
       
       Dylan Horrocks: „Hicksville“. Aus dem neuseeländischen Englisch von Marion
       Herbert. Reprodukt Verlag, Berlin 2012, 272 Seiten, 24 Euro
       
       15 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Waldemar Kesler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Donald Duck
       
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