# taz.de -- Die Wahrheit: Tipp Ex statt Botox
       
       > Mein Geburtstag steht vor der Tür, das iPhone 5 ist schon ausverkauft und
       > draußen fallen die Kastanien von den Bäumen. Eine melancholische Zeit.
       
       Mein Geburtstag steht vor der Tür, das iPhone 5 ist schon ausverkauft und
       draußen fallen die Kastanien von den Bäumen. Eine melancholische Zeit. Ich
       bin überhaupt kein iPhone-Typ. Ich habe aber trotzdem eins. Das alte. Ich
       bin ja noch aufgewachsen mit Schreibmaschinen, die Korrekturbänder hatten.
       
       Ich bin die Generation Tipp Ex. Als ich geboren wurde, gab es noch nicht
       mal Tonkassetten beziehungsweise Musikkassetten. Man hatte das „Tonband“ in
       ein Kunststoffgehäuse gepackt. Gestern sah ich jemanden, der sein iPhone
       mit einer gummierten Plastikhülle in Tonkassetten-Design ummantelt hatte.
       
       Es ändert sich so viel. Ich jogge längst nicht mehr so weit und auch nicht
       mehr so schnell. Meinen nächsten Lebensabschnitt werde ich wohl mit der
       Zeile überschreiben: Wenn Cowboys Rentner werden. Sobald du mit Haarausfall
       auf der Harley sitzt, gehörst du dazu. Wir sind die Generation
       Bonanza-Fahrrad auf dem Weg zum Treppenlift.
       
       Wenn die Knackpunkte eher in den Gelenken sind als im Leben, das gibt zu
       denken. Gestern waren wir noch Punk, heute sind wir zweiwöchentlich bei der
       Fußpflege. Früher Feuer, heute höchstens noch Flamme. Früher saßen wir am
       Lagerfeuer, heute entzünden wir Kaminöfen. Eigentlich „born to be wild“,
       aber jetzt fast schon altersmild. Früher waren wir jedes Wochenende auf
       Demos, heute wird mit den Erinnerungen ein Gartenweg gepflastert. Wo Opa
       von Stalingrad erzählte, schwelgen wir in Erinnerungen an Brockdorf.
       
       Wir wollten die Aufhebung der Trennung von Leben und Arbeit, und das wird
       für viele auch so bleiben mit einem Leben ohne Arbeit. Wir haben nie von
       der Rente geträumt und müssen darum jetzt auch nicht enttäuscht sein, wenn
       wir keine bekommen. Wenn man mehr Falten im Gesicht hat, als in der
       Origami-Anleitung für den Kranich stehen, ist es Zeit fürs Resümee.
       
       Zu den Ü-30-Partys gehen die Ü-40-Jährigen und Ü-50-Jährigen, um sich jung
       fühlen zu können. Und sie gehen dorthin zum Tanzen, nicht zum Aufreißen,
       weil man niemanden mehr flachlegt, muss man sich doch schon vorher erst mal
       hinlegen.
       
       Alter ist eine der wenigen Sachen, die es umsonst gibt. Man muss nichts
       dafür tun, und trotzdem wird es ständig mehr. Man selber merkt es
       allerdings kaum. Man merkt vor allem nicht, während man älter wird, dass
       man älter wird, man merkt es immer erst, wenn es schon fertig ist. Am
       Geburtstag.
       
       Oder weil man in den Statistiken in ganz neue Rubriken kommt. Oder weil man
       nicht mehr so gut „nach unten“ kommt. Ich kenne Menschen in meinem Alter,
       die schon zum zweiten Mal dritte Zähne bekommen. Früher wurde alle naselang
       eine angesteckt, heute überträgt man Infektionen.
       
       Ich bin grad in so einer Zwischenzeit: Längst raus aus der Disco, aber weit
       ab von der Rente. Und das wird wohl so bleiben. Und dann lese ich am Haus
       gegenüber, an die Wand gesprüht: „Too old to die young!“ Als ich das las,
       dachte ich nur: „Woher kennen die mich?“ Wer sprüht so was? In die Jahre
       gekommene Sprayer? Ich geh jetzt einkaufen und suche diese Kassettenhülle
       für mein iPhone 4.
       
       16 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Gieseking
       
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