# taz.de -- Biograf über Kafka-Nachlass: Einer Enteignung gleichkommend
       
       > Der Nachlass von Kafkas Freund Max Brod geht nach Jerusalem. Der
       > Kafka-Biograf Hans-Gerd Koch würde das Deutsche Literaturarchiv
       > bevorzugen.
       
 (IMG) Bild: Die erste Seite des Romans „Der Process“ liegt in Marbach.
       
       taz: Herr Koch, was ist vom „Max-Brod-Archiv“ zu erwarten? 
       
       Hans-Gerd Koch: Es gilt hier zu unterscheiden. Die Handschriften von Kafka,
       soweit es sich um Geschenke an seinen Freund Max Brod handelt, liegen in
       der Schweiz und waren z. B. für die Editoren der Kritischen Kafka-Ausgabe
       frei zugänglich. Brods Nachlass hingegen liegt in Israel. Hier handelt es
       sich um Manuskripte, eine umfangreiche Korrespondenz mit
       Schriftstellerkollegen, die bis zu seinem Tode reicht, um Tagebücher und
       andere bislang unveröffentlichte Texte.
       
       Wie ist der Prozess um den Nachlass zu beurteilen? 
       
       Brod hat seinerzeit sein Archiv seiner Sekretärin Ester Hoffe vermacht, der
       er sich quasi familiär verbunden fühlte. Seine eigenen Archivalien hat er
       ihr vererbt, die Kafka-Archivalien hat er ihr zu Lebzeiten geschenkt. Ein
       israelisches Gericht hat 1974 die Erbschaft und die Schenkung für rechtens
       erklärt.
       
       Ester Hoffe wiederum hat beides nach dem gleichen Verfahren auf ihre
       Töchter übertragen, was jetzt ein anderes Familiengericht in Israel das
       Erbe für unrechtmäßig erklärt, u. a. weil die Schenkung nach dem damals
       angeblich vor der Staatsgründung Israels geltenden osmanischen Recht
       ungültig sei. Die Begründung scheint mir nicht stichhaltig. Ich bin hier
       kein Spezialist, aber schließlich galt in Palästina, das damals englisches
       Mandatsgebiet war, britisches Recht, und nach ihm wäre die Schenkung
       rechtens gewesen.
       
       Sehen Sie bei dem Urteil einen politischen Hintergrund? 
       
       Über politische Motive kann ich nur Vermutungen anstellen. Es scheint mir
       klar zu sein, dass hier gegen den ausdrücklichen Willen Brods geurteilt
       worden ist. Juristisch sind die Erben der Sekretärin Brods, zwei
       Schwestern, von denen noch eine am Leben ist, meiner Meinung nach
       erbberechtigt, was das Brod-Archiv betrifft, und Eigentümerinnen der
       Kafka-Handschriften. Von Brod gibt es keinen Hinweis darauf, dass er etwa
       die Kafka-Handschriften der Israelischen Nationalbibliothek übereignen
       wollte.
       
       Ein Indiz scheint mir auch zu sein, dass keiner der Verwandten und Freunde
       Kafkas einen entsprechenden Wunsch geäußert hat. Würde das Urteil Bestand
       haben, so käme die Übertragung der Archivalien an Israels
       Nationalbibliothek einer Enteignung der rechtmäßigen Erben gleich. Man
       müsste, falls das Urteil bestehen bleibt, von einer Enteignung ausgehen. Es
       ist nicht auszuschließen, dass hier auf israelischer Seite politische
       Motive wirksam geworden sind. Die Aneignung des Brod-Archivs wird zu einer
       Sache des nationalen israelischen Prestiges.
       
       Wie sollte Ihrer Meinung nach mit den Archivalien verfahren werden? 
       
       Der Großteil des schriftliche Nachlasses von Kafka wurde von Brod an die
       Nichten Kafkas als Erben übergeben, die ihn ihrerseits an die Bodleian
       Library in Oxford gaben. Was den Brod-Nachlass einschließlich der Schweizer
       Archivalien anbelangt, so würden dessen Erben selbst dem Deutschen
       Literaturarchiv in Marbach den Vorzug gegeben. Dieses Archiv scheint mir
       bestens geeignet, es verfügt über eine große Erfahrung und ein großes
       Prestige.
       
       16 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Semler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) US-Literatur
       
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