# taz.de -- Mordserie auf Korsika: Rivalitäten fordern neues Todesopfer
       
       > Nach dem Mord an einem Anwalt auf Korsika will die Regierung verstärkt
       > gegen mafiöse Banden vorgehen. Es ist bereits das 15. Mordopfer in diesem
       > Jahr.
       
 (IMG) Bild: Tödlicher Anschlag: Anwalt Antoine Sollacaro vertrat brisante Klienten.
       
       PARIS taz | Mit der Ermordung eines bekannten korsischen Anwalts in Ajaccio
       hat am Dienstag die Gewalt, mit der kriminelle Banden und rivalisierende
       Clans aus der nationalistischen Untergrundbewegung ihre Fehden austragen,
       eine neue Stufe erreicht.
       
       „Wenn ein Mitglied der Justiz ermordet werden kann, gibt es keine
       Hemmschwellen mehr“, meinte Jean-Paul Leon, der vor dem Justizpalast von
       Ajaccio zusammen mit anderen Berufskollegen des ermordeten Advokaten
       Antoine Sollacaro bei einer Schweigeminute gedachte. Korsika ist
       schockiert, auch auf dem französischen Festland herrscht bis an die
       Regierungsspitze Betroffenheit über diese Eskalation.
       
       Premierminister Jean-Marc Ayrault sagte am Mittwoch, die Staatsführung sei
       „entschlossen, gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen, das wie eine
       Landplage in Korsika“ das Leben beeinträchtige. Innenminister Manuel Valls
       und Justizministerin Christiane Taubira, die beide damit in Zugzwang
       geraten, haben umfangreiche Polizeiaktionen gegen dieses korsische Milieu
       angekündigt.
       
       Bei ihren Ermittlungen hoffen die Behörden auf nützliche Hinweise der
       Überwachungskamera einer Tankstelle bei Ajaccio, wo Sollacaro wie jeden
       Morgen auf dem Weg von seinem Haus ins Stadtzentrum mit seinem Porsche Halt
       gemacht hatte.
       
       ## Getöteter Anwalt vertrat politisch brisante Klienten
       
       Die beiden Männer, die mit einem Motorrad ebenfalls anhielten, dürfte er zu
       spät bemerkt haben. Der mit einem Helm vermummte Passagier auf dem
       Beifahrersitz eröffnete sofort das Feuer. Der 63-jährige Sollacaro war auf
       der Stelle tot. Er ist auf der Insel bereits das 15. Mordopfer bei blutigen
       Abrechnungen seit Jahresbeginn.
       
       Der prominente Jurist war auf Korsika sehr respektiert als ehemaliger
       Vorsitzender der Anwaltskammer und Präsident der korsischen
       Menschenrechtsliga. Er übernahm oft besonders schwierige Fälle und hatte
       nicht selten politisch brisante Klienten. So verteidigte er in drei
       Prozessen Yvan Colonna, der schließlich wegen der Ermordung des
       Polizeipräfekten Claude Erignac verurteilt wurde.
       
       Natürlich fragt man sich, ob einer dieser früheren Prozesse der Grund dafür
       sein könnte, dass jemand einen Preis auf den Kopf des Anwalt ausgesetzt
       hat. Dieser machte nie ein Geheimnis aus seinen Sympathien für den
       korsischen Nationalismus.
       
       Er galt als Freund des früheren Autonomistenchefs Alain Orsoni und dessen
       Organisation MPA (Bewegung für die Selbstbestimmung ). Orsoni war 2008 nach
       einem langen Exil in Lateinamerika dank Sollacaros Vermittlung nach Korsika
       zurückgekehrt. Die heute mit der Partei Korsische Nation verbündete MPA hat
       offiziell auf die Unabhängigkeitsforderung verzichtet.
       
       ## Gesetz des Schweigens
       
       2002 wurde Orsonis Erzrivale François Santoni, der Gründer der politischen
       Gruppe Nationalistische Sammlung und ihres bewaffneten Arms Korsische
       Armee, auf der Terrasse eines Cafés ermordet. Als Auftraggeber verdächtigte
       die Polizei damals ein in Marseille lebendes Mitglied des Orsoni-Clans.
       
       Beweisen ließ sich aber nichts. Schon ein solcher Verdacht genügt in
       Korsika für eine blutige Rache ohne absehbares Ende. Die „Omertà“, das
       Gesetz des Schweigens, macht die Aufklärung solcher Mordanschläge nicht
       einfacher.
       
       Seit der Spaltung der Nationalen Befreiungsfront Korsikas (FLNC) in mehrere
       Fraktionen (namentlich in den Canal habituel und den Canal historique) vor
       fast 20 Jahren liefern sich verschiedene Komponenten der separatistischen
       Untergrundbewegung Korsikas nicht nur wegen ideologischer
       Meinungsverschiedenheiten, sondern insbesondere auch wegen materieller
       Interessen wie Schutzgelderpressung seit Langem einen regelrechten
       Kleinkrieg im Untergrund.
       
       17 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
       
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