# taz.de -- Ausstellung über Flüchtlinge: Im Zwischenstadium
       
       > Im Notaufnahmelager Marienfelde werden Flüchtlingsfamilien porträtiert -
       > die zwei Stockwerke höher im Asylbewerberheim leben.
       
 (IMG) Bild: Wie wird ihre Zukunft aussehen? Flüchtlingskind im Lager Marienfelde.
       
       Mit Materiellem, sagt der 47 Jahre alte Usman Gedaev, habe er sich vor
       seiner Flucht von Tschetschenien nach Deutschland eigentlich gar nicht
       aufgehalten. Doch die Papacha, ein brauner Hut aus Schafwolle, die musste
       mit. Zwar sind es keine schönen Erinnerungen, die Gedaev mit seiner Papacha
       verbindet – sie wird traditionell bei Beerdigungen getragen. „Aber wenn der
       Mann seine Kopfbedeckung verliert, kann er auch seinen Kopf verlieren“,
       sagt er mit feierlicher Miene. Gedaev stopfte seine Papacha mit Kleidung
       aus, wickelte sie in ein Tuch und transportierte sie so bis nach
       Deutschland. Hier hat er mit seiner sechsköpfigen Familie voriges Jahr Asyl
       beantragt.
       
       ## Im Glaskasten
       
       Die Papacha ist jetzt in einem Glaskasten im Erdgeschoss der
       Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde ausgestellt, in der heute
       die Ausstellung „Nach der Flucht. Leben im Übergangswohnheim Marienfelder
       Allee“ eröffnet wird. Das rötlich getünchte Reihenhaus, in dem zu
       DDR-Zeiten Flüchtlinge und Übersiedler unterkamen, beherbergt seit 2010
       Asylbewerber. Knapp 600 Menschen wohnen hier, der Großteil von ihnen kommt
       aus Tschetschenien und Serbien.
       
       Neben der Dauerausstellung, die sich vor allem mit deutsch-deutschen
       Fluchtbewegungen beschäftigt, wird mit der neuen Ausstellung nun auch an
       ihre Geschichte erinnert: „Diese Migration ist Teil der heutigen Realität“,
       sagt Uta Sternal, Leiterin des Asylbewerberheims des Internationalen
       Bundes. Die Ausstellung porträtiert vier Flüchtlingsfamilien aus
       Tschetschenien, Syrien, Iran und Afghanistan, jede von ihnen für drei
       Monate.
       
       In der aktuelle Ausstellung über die Familie von Usman Gedaev, der heute
       einen hellgrauen Anzug und Krawatte trägt, ist die Papacha zu sehen,
       darüber ein Familienfoto: Es zeigt Gedaev neben drei athletischen Jungen,
       einem Mädchen mit langen schwarzen Haaren und seiner Frau Luisa. Seine
       Familie ist mit ihm geflohen. Über den genauen Grund der Flucht will sich
       Gedaev, der in seiner Heimat als Pressefotograf arbeitete, nicht äußern. Im
       Video spricht er über sein Leben in Tschetschenien, in dem bis 2009 Krieg
       war, und seine bisherigen Erfahrungen in Berlin.
       
       Nur zwei Stockwerke über der Ausstellung wohnt Gedaev mit seiner Familie in
       einer Dreizimmerwohnung: Ein Tisch mit einer Plastikdecke mit Rosenmuster,
       eine Zuckerdose mit Bonbons. „Wir schätzen das, was wir hier haben“, sagt
       Usman Gedaev. Er sei stolz auf die Wohnung: „In Tschetschenien haben wir
       zuletzt bei meinem Bruder gewohnt“, sagt er. Seine Frau habe das bisschen
       Gemüse, das der heimische Garten hergab, auf dem Markt verkauft, er habe
       sich währenddessen um die Kinder gekümmert.
       
       In Berlin hat er zumindest einen 1-Euro-Job als Fotograf für das russische
       Kulturzentrum gefunden. „Aber meine Frau wacht immer um sechs Uhr auf und
       weiß nicht, was sie tun soll“, sagt er. Dennoch bestehe gerade sie darauf,
       wegen der fehlenden Perspektive in Tschetschenien in Deutschland zu
       bleiben. „Ich will nicht nach Hause“, sagt Luisa, eine sanftmütige Frau mit
       freundlichem Lächeln. „Hier ist es besser für die Kinder.“
       
       Die vier Kinder besuchen alle eine deutsche Schule. Aischat, 17, will
       Orthopädin werden und sucht gerade nach einem Praktikum. Apti, der älteste
       Sohn, hat einen festen Händedruck: „Wir sind alle Ringkämpfer“, sagt er
       stolz, „ich kämpfe Freistil, ohne Regeln.“ Im Türrahmen zum Nebenraum hängt
       eine Trainingsstange.
       
       Drei Betten mit Wolldecken – grün, orange, rosa –, unter einem Bett lugt
       eine Turnmatte hervor. Rechts steht ein kleiner Schreibtisch mit Computern,
       davor sind vier Pokale aufgereiht. An der Wand hängen noch etwa 20
       Medaillen und ein Wimpel des SV Buch. „Ich trainiere jeden Tag zwei bis
       vier Stunden“, sagt Apti. So viel Zeit habe er in Tschetschenien nicht in
       den Sport investiert. Aber der Verein sei sein Zuhause geworden, so habe er
       auch deutsche Freunde gefunden. „Ich will Profisportler werden“, sagt er
       und strahlt übers ganze Gesicht.
       
       ## Asylantrag abgelehnt
       
       Noch ist unklar, ob die Familie hier bleiben kann. Der Asylantrag wurde
       abgelehnt, aber Usman Gedaev hat bereits einen Anwalt eingeschaltet. Trotz
       allem hat er Sehnsucht nach seinen Verwandten, die er seit Jahren nicht
       mehr gesehen hat. „Der Mensch“, sagt er, „wird immer seine Heimat
       vermissen.“
       
       23 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Maria Amberger
 (DIR) Julia Amberger
       
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