# taz.de -- Mexikanische Zementindustrie: Die Stadt aus Beton
       
       > In Mexiko wurden Städte meist dort gegründet, wo es Edelmetalle gab. Eine
       > Ausnahme ist die Stadt Ciudad Cruz Azul. Sie entstand neben einer
       > Zementfabrik.
       
 (IMG) Bild: Erfolgsgeschichte: Die Stadt Ciudad Cruz Azul steht zu Füßen eines großen Betonwerks.
       
       CIUDAD CRUZ AZUL/HIDALGO dpa | Die Straßen und Bürgersteige sind stets
       gefegt. Vor den in zwei Blautönen gestrichenen zweistöckigen Häusern stehen
       Mittelklassewagen. In den Vorgärten umranden Bougainvilleas und andere
       Sträucher gepflegten Rasen. Bäume spenden angenehmen Schatten. Eine eher
       ungewöhnliche Siedlung im Zentrum von Mexiko, wo Kleinstädte meist einen
       vernachlässigten Eindruck machen. Doch in der Stadt Cruz Azul ist alles
       besser, obwohl sie zu Füßen eines großen Zementwerkes steht.
       
       Dem von der gleichnamigen Kooperative Cruz Azul hergestellten Zement
       verdankt der Ort sein Entstehen und vor allem seinen Wohlstand. Und der ist
       schon nach wenigen Minuten sichtbar. Neben den rund 50 Häusern gibt es eine
       Kirche, ein Krankenhaus, Kindergarten, ein Einkaufszentrum, eine
       Textilmanufaktur, ein Schulzentrum, ausgedehnte Sport- und Freizeitanlagen
       mit einem Stadion für 15 000 Zuschauer, ein überdachtes Schwimmbad, ein
       Theater und eine riesige Mehrzweckhalle, unter anderem für Versammlungen
       und Feste. Und außerhalb des Kerns haben sich die „Cruzazulinos“ eigene
       Häuser errichtet.
       
       Alles ist aus Beton gebaut. Auch die Bürgersteige und die Straßen, die
       Namen tragen wie Avenida Cooperación, Progreso, 10. Dezember und 2.
       November, Daten, die an die eigene Geschichte erinnern. Zwar gehört „Ciudad
       Cooperatva Cruz Azul“ als „Colonia“ verwaltungstechnisch zum Municipio
       Tula, doch erwartet hier niemand Führung oder Unterstützung von dort. Dafür
       entrichten die „Cruzazulinos“ auch keine Kommunalsteuern an Tula.
       
       „Wir verwalten uns selbst“, sagt der Direktor des Zementwerkes, Wilfredo
       Arroyo Reynoso, Chef von 700 Beschäftigten und gleichzeitig eine Art
       Bürgermeister und Oberhaupt von 1500 Familien, die mittlerweile hier in der
       kargen Kalksteinlandschaft leben. Sicherheitsprobleme wie anderswo in
       Mexiko? Fehlanzeige. „Wir haben unsere eigene Polizei, wir entsorgen
       unseren Müll alleine, reinigen die Straßen, versorgen die Stadt mit
       Lebensmitteln, sorgen durch Sport und Krankenhaus für die Gesundheit der
       Menschen. Und haben unsere eigenen Schulen.“
       
       Hier, unweit der Stadt Tula de Allende im Bundesstaat Hidalgo rund 80
       Kilometer nördlich von Mexiko-Stadt, war die Wiege der mexikanischen
       Zementindustrie. Am Ende des 19. Jahrhunderts kamen englische Unternehmer
       und begannen damit, den in der Region reichlich vorhandenen Kalkstein aus
       den Bergen zu sprengen und Zement herzustellen. Mitte der 1930er Jahre, als
       die Geschäfte nicht mehr gut liefen, übernahmen die Arbeiter auch dank der
       Politik der damaligen Regierungspartei Partido de la Revolucion
       Instutucional (RRI) das Werk und gründeten eine Kooperative, deren
       Eigentümer sie waren und blieben, bis heute.
       
       ## Erfolgsmodell: Genossenschaft
       
       Cruz Azul ist eine mexikanische Erfolgsgeschichte. Die Cooperative gehört
       den insgesamt 900 „Socios“. Heute ist das von seinen Beschäftigten geführte
       Unternehmen der drittgrößte Zementproduzent in Mexiko und der sechste in
       Lateinamerika. In mittlerweile vier Werken stellt Cruz Azul pro Jahr acht
       Millionen Tonnen Portlandzement her. Die wichtigsten Teile der Anlagen, wie
       die Drehrohröfen und die Steinmühlen stammen von einer deutschen Firma.
       
       „Die ganze Produktion ist für Mexiko bestimmt“, sagt Generaldirektor
       Guillermo Álvarez Cuevas, der in der modernen Zentrale in Mexiko-Stadt
       residiert. Der nationale Zementbedarf wächst um rund vier Prozent im Jahr.
       Und mit ihm die Kooperative, die inzwischen auch in anderen Sektoren tätig
       ist. So betreibt sie im Ferienort Ixtapa am Pazifik ein großes Luxushotel.
       
       Bereits 1927 wurde zu Füßen des ersten Zementwerks der Fußballculb Cruz
       Azul gegründet, der 1961 in die zweite Liga aufstieg. Seit 1964 spielt er
       ununterbrochen in der ersten Liga und verdient ordentlich Geld. Der Club,
       der heute sein Stadion mitten in Mexiko-Stadt hat, wurde mehrfach Meister
       und ist heute der wichtigste Imageträger des Zementproduzenten.
       
       „Hier ist kein Kapitalist am Werk“, beschreibt Wilfredo Arroyo die
       Besonderheit. „Wir bringen kein Kapital, sondern unsere Arbeit ein. Wir
       beziehen kein Gehalt und die Gewinne der Kooperative werden auf die Socios
       verteilt.“ Dazu zählen vor allem die kostenlose medizinische Versorgung,
       soziale Sicherung, Schulbildung für die Kinder und die Nutzung der
       Sportanlagen.
       
       Eine ähnliche Stadt hat Cruz Azul auch im Staate Oaxaca errichtet. „Unsere
       Unternehmen tragen auch zum sozialen Frieden bei“, betont Generaldirektor
       Guillermo Álvarez. „Es ist vor allem wichtig, den Menschen auf dem Lande
       eine anständig bezahlte Arbeit zu geben, damit sie leben und ihre Familie
       ernähren können.“
       
       ## Spaltung der Genossen
       
       Doch über dem sozialistisch anmutenden Modell der glücklichen Kooperative
       sind dunkle Wolken aufgezogen. Ein echter Familienkrach, der inzwischen die
       Gerichte beschäftigt und sogar die Politik, droht die Kooperative zu
       zerreißen. Eine einflussreiche Gruppe von Genossen unter der Führung des
       ehemaligen Chefs des Verwaltungsrates, Armando Valverde Talango, hat sich
       abgespalten und fordert die gegenwärtige Führung unter Guillermo Álvarez
       heraus.
       
       Auch das ist in Ciudad Cruz Azul sichtbar. Dort haben sie am Eingangstor
       zum Zementwerk eine weiße Plane aufgehängt: „Für den schweren Schaden, den
       sie unserer Kooperative angetan haben, wurden sie ausgeschlossen und werden
       nicht wieder aufgenommen“, steht da in blauen Lettern geschrieben. „Das ist
       unsere Entscheidung, die Entscheidung der Socios der Kooperative.“
       
       Ob diese Mehrheitsentscheidung Bestand haben wird, ist keineswegs sicher.
       Denn die inzwischen 200 „Dissidenten“ wollen sich gegen den Widerstand der
       Mehrheit von 700 Socios wieder einklagen. Sie werfen der Führung
       Fehlentscheidungen, Steuerhinterziehung und Korruption vor. Wenn sie bei
       den Gerichten Erfolg haben, wird der Krieg weitergehen, befürchtet auch
       Roberto Morales, der die Generalversammlungen der Gesellschafter
       vorbereitet. „Aber ich bin überzeugt, dass die Mehrheit stark bleibt.“
       
       Generaldirektor Guillermo „Billy" Álvarez Cuevas, seit zwei Jahrzehnten an
       der Spitze des Unternehmens, ist besorgt. Noch geht es aufwärts. In Mexiko
       werden gigantische Brücken, Hochhäuser, Straßen-, U-Bahn- und
       Abwassertunnel gebaut, zum Teil sind es die derzeit größten Bauprojekte des
       Subkontinents. Zement hat Zukunft in Mexiko. So hat auch der dem Magnaten
       Carlos Slim gehörende Konzern Carso in der Nähe von Cruz Azul eine
       Zementfabrik gebaut, die noch in diesem Jahr mit der Produktion beginnen
       soll.
       
       „Wir arbeiten normal weiter“, berichtet Álvarez, den die
       Gesellschafterversammlung im März dieses Jahres für weitere zwei Jahre im
       Amt bestätigt hat. Und die Produktion in den Werken in Puebla und Oaxaca
       wird mit Millioneninvestitionen erweitert. „Trotz der Probleme zeigen die
       Banken damit, dass sie Vertrauen in unsere interne Stärke haben.“ Doch das
       Ansehen des Unternehmens hat vor allem durch entsprechende Berichte in den
       mexikanischen Medien Schaden genommen.
       
       24 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Franz Smets
       
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