# taz.de -- Die Wahrheit: Brust oder Keule
       
       > Stadionsicherheit, Kameras, Sammeldateien – Fußball bringt's nicht mehr.
       > Hooligans entdecken neue Wirkungskreise.
       
 (IMG) Bild: Die vornehme Rhythmische Sportgymnastik hat seit einiger Zeit ganz neue, härtere Anhänger gefunden.
       
       „Auf die Fresse!“, ertönt es in der kleinen Anklamer Turnhalle aus
       hunderten von Kehlen. „Ehre! Treue!! Anmut!!!“ Banner mit Parolen in
       Frakturschrift werden geschwenkt, zahllose Böller explodieren auf der
       dreizehn mal dreizehn Meter großen Wettkampffläche. Wir befinden uns bei
       der Rhythmischen Sportgymnastik.
       
       Beim Deutschen Fußball-Bund reibt man sich die Hände. Nachdem das
       umstrittene Konzeptpapier „Sicheres Stadionerlebnis“ gegen alle Widerstände
       verabschiedet wurde, haben sich Ultras, Fans und vor allem Hooligans eine
       Alternative gesucht und gefunden. Es war Liebe auf den ersten Blick.
       
       Vor unseren Augen turnt Anmut Anklam, der souveräne Serienmeister dieser
       Sportart. Wenn es für die jungen Damen von der Ostseeküste in den
       Spitzenbegegnungen mit Liebreiz Liebenwerda und Beinchen Bitterfeld
       ausnahmsweise doch einmal eng wird, bringt dann doch meist ein
       überraschender K.-o.-Sieg die glückliche Wendung.
       
       Die Kampfrichterinnen sind nämlich nach wie vor vollkommen ungeschützt,
       auch wenn ihre vormalige Arglosigkeit mittlerweile längst Resignation und
       Fatalismus gewichen ist. Krankmeldungen wegen Depressionen, Schlafstörungen
       und Panikattacken sind im Vorfeld eines Wettkampfs mittlerweile fast die
       Regel. Die frei gewordenen Plätze werden von den engagierten Sportsfreunden
       in den Thor-Steinar-Klamotten selbstlos eingenommen. Der elegante Umgang
       mit Ball und Band, Seil und Reifen fasziniert die hartgesottenen Männer.
       
       Am beliebtesten ist allerdings die Keule. Eine solche schmettert gerade
       Holger H., 41, Kampfname „Häschen“, seinem Bitterfelder Kontrahenten auf
       den Schädel, ehe er sich zu einem kurzen Gespräch bereit erklärt. Vom
       Hooligan der Kategorie B (nach der 26-fachen deutschen Meisterin Magdalena
       Brzeska) erfahren wir, dass sie nach der Neuorientierung hier zunächst das
       Paradies vorfanden: „Keine Bullen, keine Kameras, keine Zäune, gar nichts.
       Jeder Wettkampf war eine offene Feldschlacht.“
       
       Abseits der Veranstaltungen sowie seines täglichen Lebens könnte der zwei
       Bruttoregistertonnen mächtige Amphetaminhändler keiner Fliege ein Härchen
       krümmen. „Das würde mir auch keinen Spaß machen“, grinst der ehemalige
       Bosnien-Söldner und zeigt zwei Reihen makelloser Zähne aus Kruppstahl. „Ich
       muss den Gegner schon richtig bluten sehen.“
       
       Häschen ist Mitglied der „Brigade Hupfdohlen 88“, der Verbindungen zur
       rechten Szene nachgesagt wird. Der Verfassungsschutz von
       Mecklenburg-Vorpommern zeigte sich anfangs durchaus erfreut, als die
       Fanatiker vom Fußball weg und hin zum Rudern und zur Sportgymnastik zogen,
       um ihre „Mädels“ (Szenejargon) anzufeuern. Die szenekundigen Beamten
       erhofften sich eine schleichende Besänftigung ihrer gewaltbereiten Klientel
       unter dem Eindruck sanfter Klänge und geschmeidiger Bewegungen.
       
       Doch da haben sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn schon beim
       ersten Ortstermin weht den Beobachtern dröhnende Punkmusik um die Ohren.
       Die Übungen der Gymnastinnen wirken ruckartig, ab und zu stößt eine beim
       Führen des Bandes ein lautes „Oi!“ aus, bei umstrittenen Entscheidungen
       bildet sich sofort ein Rudel einander schubsender dünner Mädchen am
       Mattenrand.
       
       Der Einfluss der neuen Anhängerschaft ist groß, schließlich bringt sie
       einer Randsportart, die bisher ein trauriges Mauerblümchendasein im
       Schatten von König Fußball fristete, neben ein paar Problemchen auch eine
       völlig neue Medienaufmerksamkeit. Straßensperrungen und entglaste
       Bushaltestellen im Umkreis von mehreren Kilometern, über der unauffälligen
       Schulturnhalle knattern in einem fort die Hubschrauber der Bundespolizei.
       
       Auch hier also beginnt schon wieder der Repressionsapparat des Staates
       damit, das harmlose Samstagnachmittagvergnügen Hunderttausender zu
       kriminalisieren. Den flexiblen Hools ist das egal. Sie hatten hier ihren
       Spaß, sie werden ihn auch woanders finden.
       
       „Wenn alle Stricke reißen, können wir immer noch zum Schach“, erklärt
       Häschen gelassen. „Oder zum Schulsport. Da habe ich sowieso noch eine
       Rechnung offen.“
       
       30 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uli Hannemann
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA