# taz.de -- Die Wahrheit: Null Toleranz für Wasserschnorrer
       
       > Ich war noch nie ein Anhänger des „Service“-Gedankens.
       
       Ich war noch nie ein Anhänger des „Service“-Gedankens. Weil der eigentlich
       nur aussagt, dass die Bediensteten den Herrschaften gegenüber devot zu sein
       haben. Wie zu Adelszeiten. Damals begründete man das mit der gottgegebenen
       Ordnung, die heutigen Herrschaften argumentieren mit Geld.
       
       Sie sagen, sie bezahlten schließlich genug und könnten dann auch gefälligst
       erwarten, zuvorkommend behandelt zu werden. Dabei zeigen sie selbst oft
       keinerlei Respekt und bratzen ihre Bestellungen ohne Höflichkeitsformeln
       einfach heraus oder schnöseln das in Wahrheit schlecht bezahlte Personal
       doof von der Seite an.
       
       Dementsprechend ziehe ich den Freundlichkeits-Gedanken dem Service-Gedanken
       entschieden vor. Weil der nämlich beinhaltet, dass auch der Kunde
       freundlich zu sein hat. Und wenn er dann trotzdem scheiße behandelt wird,
       kann er dem Kellner immer noch gegen das Schienbein treten. Was ich
       übrigens neulich fast getan hätte …
       
       Ich war mal wieder in meiner Aufwachs-Stadt Kassel und traf mich dort mit
       meinem Freund Ludwig. Ludwig, seines Zeichens Schauspieler, spielt dort
       gerade in einem Boulevardtheaterstück verschiedene Rollen, zum Teil nur mit
       einem Schlüpfer bekleidet. Das wollte ich mir selbstverständlich nicht
       entgehen lassen.
       
       Am nächsten Tag präsentierte ich ihm meine spontan konzipierte Stadtführung
       „Kassel according to Hartmut El Kurdi“. Ich zeigte ihm die Straße, auf der
       ich einst von einem Auto angefahren wurde, den Park, in dem ich
       rumgeknutscht und Rauchdrogen inhaliert hatte, die Pausenhalle meiner
       Schule, in der ein von Hybris geplagter Mathelehrer namens Hass irrtümlich
       glaubte, mir noch nach dem schriftlichen Abi das Rauchen verbieten zu
       können – und einiges mehr. Wir ließen die Tour in einer Eisdiele
       ausklingen, in der ich ungefähr dreitausend Blaumachstunden bei Milchshakes
       und selbstgedrehten Zigaretten verbracht hatte.
       
       Ludwig und ich bestellten Kaffeeschaumgetränke. Dann allerdings machte ich
       den Fehler und fragte den kellnernden Besitzer der Lokalität, ob er mir
       dazu noch ein Glas Leitungswasser bringen könne. Er reagierte, als hätte
       ich ihn gebeten, mir mal schnell die Fußnägel zu schneiden. Oder mich doch
       bitte unauffällig unterm Tisch oral zu verwöhnen. Im Vorübergehen bellte er
       mir ein „Leitungswasser geb ich nicht mehr raus!“ zu.
       
       Verwirrt schauten wir uns an. Als er wieder an uns vorbeikam, fragte ich
       höflich nach den Gründen der Wasserverweigerung. „Ich leb davon, dass ich
       Getränke verkaufe, und nicht davon, dass ich Wasser verschenke!“ Als ich
       dem Eisdealer am Rande des Wahnsinns andeutete, dass er so vielleicht den
       einen oder anderen Kunden vergraulen könnte, sagte er: „Auf Leute, die
       Wasser schnorren, lege ich keinen Wert!“
       
       Nach dem Verlassen der Eisdiele warf ich einen letzten Blick auf eine der
       heiligen Stätten meiner Jugend und prägte mir die Leuchtreklame nochmal
       ein. Ahnend dass hier wahrscheinlich demnächst die Eröffnung eines
       Handyshops oder Ein-Euro-Ladens zu feiern sein würde.
       
       31 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hartmut El Kurdi
       
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