# taz.de -- Arbeiterorganisation in der Türkei: Wer streikt, der fliegt
       
       > Der Logistikkonzern DHL will verhindern, dass sich die Mitarbeiter in der
       > Türkei organisieren. Keine Ausnahme: Trotz Wirtschaftsboom gibt es kaum
       > Gewerkschaften.
       
 (IMG) Bild: Pakete liefern: ja. Arbeitnehmerorganisation: nein.
       
       ISTANBUL taz | Es sind rund 50 Leute, die sich vor der DHL-Zentrale in
       einem staubigen Industrievorort von Istanbul versammelt haben. Sie tragen
       Mützen mit einem Aufdruck der Gewerkschaft Tümtis, an einem Baum haben sie
       ein paar Fähnchen befestigt. Es gibt einen provisorischen Tisch, einige
       Hocker und eine improvisierte Teeküche, denn ohne einen gelegentlichen Cay
       geht in der Türkei gar nichts. Die Männer kommen jeden Tag hierher, um zu
       protestieren, mittlerweile seit fünf Monaten.
       
       Bevor sie sich vor dem Zaun versammelten, haben sie auf der anderen Seite,
       bei dem Logistikkonzern der Deutschen Post, DHL, gearbeitet. Als Packer,
       Lagerarbeiter und Fahrer. Dann wurden sie entlassen: Sie haben versucht,
       sich in ihrem Betrieb gewerkschaftlich zu organisieren.
       
       „Das wäre in Deutschland völlig unmöglich“, sagt Thomas Koczelnik,
       Konzernbetriebsratsvorsitzender von Deutsche Post DHL. Er besuchte mit vier
       anderen Vertretern von Verdi am Montag und Dienstag die protestierenden
       DHL-Arbeiter in Istanbul. Einer der Gewerkschafter, Stefan Teuschner,
       schnappt sich vor den versammelten DHL-Arbeitern ein Mikro und fordert:
       „Die Deutsche Post DHL muss auch in der Türkei ihre Verantwortung
       wahrnehmen.“
       
       Glaubt man dem Vorsitzenden der türkischen Transportarbeitergewerkschaft
       Tümtis, Kenan Öztürk, dann tut der weltweit agierende Logistikkonzern aus
       Bonn das durchaus, nur nicht im Sinne der deutschen Gewerkschaft. Als
       Öztürk im Frühjahr, nachdem auf einen Schlag 21 Arbeiter entlassen wurden,
       mit dem verantwortlichen Türkeimanager Riza Balta sprechen konnte, habe der
       ihm gesagt: Bonn wünsche keine Gewerkschaft bei DHL, und an diese Vorgaben
       werde er sich halten.
       
       ## Hohe Hürde für Tarifpartner
       
       Obwohl die Wirtschaft in der Türkei seit Jahren boomt, haben die
       Gewerkschaften es immer noch sehr schwer, und das wird auch von den
       internationalen Konzernen ausgenutzt. Um überhaupt als Tarifpartner
       auftreten zu können, müssen sie per notariell beglaubigte
       Mitgliederbeiträge nachweisen, dass sie mehr als 50 Prozent der
       Beschäftigten des Konzerns organisiert haben.
       
       In der Regel bekommt die Geschäftsführung mit, wenn die Gewerkschaft ein
       relevantes Quorum erreicht, und reagiert damit, Gewerkschaftsmitglieder zu
       feuern. Laut einem Bericht der Internationalen Transportarbeiter Föderation
       (ITF), der die türkische Tümtis unterstützt, hat sich die Posteigene DHL
       „aggressiv und gesetzwidrig“ verhalten und Beschäftigte systematisch
       gemobbt, wenn diese der Gewerkschaft beitreten wollten.
       
       Das DHL-Management in Deutschland bestreitet die Vorwürfe. Die
       Geschäftsführung handele in Einklang mit den türkischen Gesetzen. Die
       türkische Justiz sieht das anders: Ein Gericht hat mittlerweile acht
       Kündigungen als gesetzwidrig eingestuft. Wieder eingestellt wurden die
       Betroffenen dennoch nicht, sie erhielten eine Abfindung.
       
       ## Materiell am Ende
       
       „Wir werden in Deutschland diese skandalösen Praktiken bekannt machen und
       die Verantwortlichen massiv unter Druck setzen“, verspricht Koczelnik den
       Arbeitern. Die können nur hoffen, dass ihre deutschen Kollegen wirklich
       etwas erreichen, denn die meisten sind materiell am Ende.
       
       Schon als sie noch einen Job hatten, wurden fast alle mit dem Mindestlohn
       von rund 350 Euro abgespeist. Seitdem sie vor dem Zaun stehen, kann die
       Gewerkschaft sie nur noch mit einem Minimum davon unterstützen. „Wir wollen
       nicht aufgeben“, sagt Mehmet, einer der Arbeiter, die im Frühjahr gefeuert
       wurden. „Aber bald haben meine Kinder nichts mehr zu essen.“
       
       7 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
       ## TAGS
       
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