# taz.de -- Start-ups in Berlin: Neue Gründerzeit
       
       > Die Bohemiens mit dem Laptop im Café sterben aus. Sie werden abgelöst von
       > einer erfolgsorientierten Garde junger Unternehmer. Eine Analyse aus der
       > neuen taz.berlin-Wochenendausgabe.
       
 (IMG) Bild: Die große weite Welt des Internets bietet jede Menge Möglichkeiten für die neue Start-up-Generation.
       
       Berlin ist dabei, eines seiner Aushängeschilder zu verlieren: den Bohemien,
       der im Café an seinem Laptop Freizeit und Arbeit zu verschmelzen versucht
       und dabei viel Kaffee konsumiert. Man kennt dieses Bild seit Mitte der
       Nullerjahre. Der Regierende Bürgermeister hat es für sich vereinnahmt: Es
       passte gut zu seinem Konzept, Berlin auf dem Rücken der Kreativschaffenden
       zu einer armen, aber sexy Stadt zu verklären. Doch langsam braucht Klaus
       Wowereit einen anderen Slogan. Denn die sogenannte digitale Boheme wird
       abgelöst. Eine neue Garde netzaffiner Kreativer erobert die Stadt.
       
       Sie sind pragmatisch, sie gründen Unternehmen – und jahrelang von der Hand
       in den Mund zu leben ist keine Option für sie: Die Gründer von
       Internet-Start-ups wollen Geld verdienen. Dafür bietet Berlin gerade
       perfekte Voraussetzungen.
       
       Die Szene der selbständigen Netzarbeiter hat sich professionalisiert.
       Einschlägige Newsletter vermelden jede Woche unzählige Termine zu Pitches –
       Produktpräsentationen – und Konferenzen. Risikokapitalgeber verlegen ihre
       Büros nach Berlin. Der IT-Unternehmer Christophe Maire ist zu einem Paten
       der Szene geworden. Mit seinen Kontakten bringt er junge Gründer auf den
       Weg. Gerne betont Maire, dass die hiesige Internetindustrie das Zeug dazu
       hat, zur wirtschaftlich wichtigsten Branche Berlins aufzusteigen. Das haben
       Firmen wie die Deutsche Telekom und einige Großverlage begriffen. Sie
       locken Start-up-Macher mit Gründerprogrammen, die geistreiche Namen tragen
       wie „hub:raum“ und „You is now“.
       
       Die neuen Gründer haben weniger Zeit zum Abhängen als ihre
       Vorgängergeneration vor zehn Jahren: Sogenannte Co-Working-Spaces –
       Großraumbüros, in denen Menschen stundenweise zum Netzwerken zusammenkommen
       – ersetzen die einschlägigen Laptop-Cafés. Ins Café St. Oberholz gehen
       viele Gäste nur noch, um sich von ihrer Arbeit zu erholen, hat Inhaber
       Ansgar Oberholz beobachtet. Dabei war sein Laden in Mitte der Treffpunkt
       der digitalen Boheme. Sie glaubte an die kreative Kraft des zurückgelehnten
       Herumdaddelns. Und zehrte von dem Anspruch, etwas Eigenes, Sinnhaftes zu
       starten, statt in verkrusteten Konzernstrukturen auf einen Burn-out
       hinzuarbeiten.
       
       Ein Teil der neuen Generation entwickelt diesen Anspruch weiter. Etwa Manou
       Shamsrizi, 24, der in mehrere Gründungen involviert ist. „Uns geht es
       darum, das gute Ziel mit einem profitablen Business Case zu kombinieren“,
       sagt er. Das gute Ziel ist nichts Geringeres als Weltveränderung: Wie
       Gesundheit finanzieren? Wie den Zugang zu Bildung organisieren? „Diese
       spezielle Vorstellung von Unternehmertum wächst in Berlin“, berichtet
       Shamsrizi. Einen kleinen Seitenhieb auf die alte Netz-Boheme kann er sich
       aber nicht verkneifen: „Wenn zwei Typen im Café sitzen und sich gegenseitig
       Webseiten programmieren, dann ist das kein Unternehmertum in meinem Sinne.“
       
       Andere hiesige Jungunternehmer haben es nicht so mit sozialer
       Verantwortung. Früher wären sie zu einer Investmentbank gegangen, bevor es
       saucool wurde, ein Start-up zu gründen. Sie klonen Geschäftsideen für den
       deutschen Markt, verbrennen viel Risikokapital – und verscherbeln ihre
       Firma für viel Geld. „Exit“ lautet ihr Zauberwort.
       
       Wer bereits Sehnsucht nach der alten Boheme verspürt, sollte statt ins St.
       Oberholz ins Kino gehen. Dort läuft mit „Oh Boy“ ein Berlin-Film, der die
       Stadt als Hafen einer umherdriftenden Generation skizziert. Einer, die noch
       zaudern kann. Einmal wird der melancholische Filmheld von seinem Vater
       gefragt, was er die letzten zwei Jahre gemacht habe. „Ich habe
       nachgedacht!“, antwortet er. Solche Sätze wird man künftig kaum noch hören.
       
       Mehr zum Thema in der neuen Wochenendausgabe der taz.berlin - am 10.
       November im Briefkasten und am Kiosk
       
       9 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joanna Itzek
       
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