# taz.de -- Schräges Berlin: Kann ick da mal durch?
       
       > So gern der Berliner unschuldige Passanten anpöbelt, so sehr mangelt es
       > ihm an Empörung, wenn es um wichtige Dinge geht. Eine Kolumne aus der
       > neuen Wochenendausgabe der taz.berlin
       
 (IMG) Bild: In Berlin läuft nicht immer alles ganz gerade.
       
       An einem dieser letzten schönen Oktobertage fährt eine Frau – gepierct,
       tätowiert, mit hohen Schnürstiefeln, kurzen Militärhosen, knappem Tanktop
       und Hund an der Leine, also irgendwie linksalternativ – Fahrrad auf einem
       Bürgersteig in Kreuzberg. Sie betätigt aggressiv ihre Klingel und brüllt:
       „Kann ick da ma durch daaaaa?!“ Ich drehe mich um, rühre mich aber nur
       zögerlich. Die Fahrradhundefrau rauscht einfach zwischen mir und den
       anderen Fußgängern durch, stellt ihr Rad zehn Meter weiter vor einem
       Hauseingang ab und schreit mich an: „Du Schlampe du! Jeh doch dahin zurück,
       wo de herjekommen bist!“
       
       Was meint sie? Den Westen? Das Ausland? Die Provinz? Einen anderen
       Stadtteil? Töle geiler als Schlampe? Was sie genau denkt, ich will es gar
       nicht wissen. Ich weiß nur: So klingt Berlin, wenn es empört ist.
       
       Aber so gern der Berliner auch unschuldige Passanten anpöbelt, so sehr
       mangelt es ihm an Empörung, wenn, sagen wir, Miete und
       Krankenkassenbeiträge erhöht oder Lohn und Sozialleistungen gekürzt werden.
       Staat, Arbeitgeber, gar das System öffentlich anpöbeln, ist seine Sache
       nicht wirklich. Der typische Berliner reagiert auf so was mit eher lauem
       Unverständnis: „Wat soll’n ditte?“
       
       Und deshalb wird es wohl auch nicht zu einem Platzproblem beim „Karneval
       der Empörten“ kommen, der an diesem Sonntag das Brandenburger Tor zum
       „Schwingen bringen“ will. Obwohl: Der diesjährige Aufruf scheint sich
       geradezu ausschließlich an solche Berliner wie die Fahrradhundefrau zu
       richten. Den Veranstaltern jedenfalls scheint völlig wurscht zu sein, wer
       kommt.
       
       Unter das Motto „Ein Narr kommt selten allein“ haben die Organisatoren
       Folgendes geschrieben: „Pinkeln sie dir ständig ans Bein – hier bist du
       nicht allein! Macht dich der Tag zu klein – bring dich hier mit ein! Ein
       Narr kommt selten allein – Trau dich, ein Narr zu sein!“
       
       Als politische Veranstaltung, im Rahmen der Occupy-Proteste im vergangen
       Jahr entstanden, droht das Ding nun eine Demonstration der Lächerlichkeit
       zu werden. Und zwar nicht nur wegen dieses lächerlichen Aufrufs oder weil
       das ganze auch noch am 11. 11. stattfindet. Sondern weil schon im
       vergangenen Jahr, als die Occupy-Bewegung ihren absoluten Höhepunkt
       feierte, keiner da war. Von der Bewegung ist kaum etwas übrig geblieben.
       Wer also soll denn da jetzt noch hingehen?
       
       Nichts gegen Hippies – die haben in den letzen Jahren wenigstens für ihre
       Bars, ihre Clubs und ihre Spreeuferidylle demonstriert. Aber so ein
       inhaltsleerer Aufruf würde noch nicht mal einen Franzosen auf die
       Barrikaden bringen. Flankiert werden soll er noch dazu mit „schönen
       Kostümen, Instrumenten, friedlicher ausgelassener Feierstimmung, Blumen und
       Süßigkeiten für die Passanten und Polizisten“. Unerwünscht sind hingegen
       „Polizeischmährufe (unangemessen), Gewalt (blöd), Transportmittel mit
       Verbrennungsmotoren (stinken)“. Das ist wirklich zum Wegrennen.
       
       Im Prinzip ist ja alles gut. Soll sich von mir aus jeder aufregen, worüber
       er will. Aber worin unterscheidet sich der „Karneval der Empörten“
       eigentlich von dieser Fahrradhundefrau? Ich könnte über dieses auf zu
       dämliche Art entpolitisierte Event empört sein. Sage aber einfach nur: „Wat
       soll’n ditte?“
       
       Nächste Woche schreibt hier
       
       Enrico Ippolito
       
       11 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Doris Akrap
       
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