# taz.de -- Gerichtsmediziner-TV-Serien: „Wir sind Spielkinder“
       
       > TV-Serien wie „Body Farm“ und „CSI“ machen Forensiker zu Kriminalisten.
       > Ein realistisches Bild? Nö, sagt Mark Benecke – spannend ist sein Job
       > aber dennoch.
       
 (IMG) Bild: Mike (Mark Bazeley) und Rosa (Wunmi Mosaku) in „Body Farm“.
       
       taz: Herr Benecke, wenn man der Serie „Body Farm“ (ab Montag wöchentlich
       22.40 Uhr, ZDFNeo) glauben darf, haben Forensiker wie Sie eine ganze Menge
       zu tun. Da übernehmen Forensiker nämlich auch mal die Verhöre, orten Handys
       … 
       
       Mark Benecke: Das ist rein dramaturgischer Quatsch, damit es schön spannend
       ist. Eigentlich ist es genau umgekehrt: Bei uns Forensikern beherrscht
       jeder nur ein Gebiet. Einer kennt sich mit Fleischfliegen aus, ein anderer
       mit Schmeißfliegen. Befragungen führen wir nicht durch, schießen kann auch
       keiner von uns. Ich muss mich schon beim Hubschrauberfliegen übergeben.
       
       Wenn Ärzte Arztserien schauen, schlagen sie oft ihre Hände vors Gesicht,
       weil das mit ihrem Beruf nichts zu tun hat. Geht es Ihnen auch so, wenn Sie
       eine Forensiker- oder Pathologenserie sehen? 
       
       Nein. Ich verstehe auch gar nicht, warum sich da irgendjemand drüber
       aufregt. Ich weiß doch, dass das Fiktion ist. Bei „Findet Nemo“ sprechen
       die Fische, und da beschwere ich mich doch auch nicht bei Disney darüber.
       
       Aber wenn im „Tatort“ die Journalisten immer als Polizeisperren
       durchbrechende Meute ohne Gewissen dargestellt werden, ärgert mich das
       schon … 
       
       Bei Journalisten ist das vielleicht etwas anderes, weil durch die
       Vorurteile ihre Arbeit erschwert wird. Aber mir entsteht durch die Serien
       ja kein Nachteil im Job. Bei Vorträgen über unsere Arbeit schmunzeln die
       Zuhörer mal, wenn ich etwas mit „CSI“ vergleiche. Und wer ernsthaft
       Kriminalbiologe werden will und dachte, dass da eine Schachtel Donuts
       serviert wird und man im Polizeiwagen mit Blaulicht über den regennassen
       Asphalt brettert, der wird spätestens beim Auseinanderpuzzeln des
       Mageninhalts einer Leiche nach zehn Minuten aussteigen.
       
       In den TV-Serien legen die Forensiker immer einen sportlichen Ehrgeiz an
       den Tag. Ist das bei Ihnen auch so? Freuen Sie sich über besonders
       komplizierte Fälle? 
       
       Ja. Aber ich bin nicht sportlich. Ich bin zwanghaft. Ich sortiere
       unheimlich gern Sachen. Nehmen wir den schon angesprochenen Mageninhalt:
       alle Fettkügelchen zu den Fettkügelchen, alle Bohnenfasern zu den
       Bohnenfasern. Das ist spannend. Und besonders aufregend wird es dann, wenn
       ich auf eine noch nie dagewesene Situation treffe. Also das, was für Felix
       Baumgartner das Springen aus besonders hohen Höhen ist, ist für mich, ein
       besonders merkwürdiges letztes Menü des Verstorbenen zu sortieren.
       
       Das diesen Serien innewohnende Pathos dürfte Ihnen demnach auch fremd sein.
       Sie kämpfen also weder für das Opfer, noch jagen Sie Verbrecher? 
       
       Wir wollen mit unserem Team die Wahrheit herausfinden, aber nicht für die
       Gerechtigkeit arbeiten. Die gibt es eh nicht. Wir sind Spielkinder, die nur
       einen guten Grund brauchen, ihren Physik-, Chemie-, Biologie- und
       Logik-Baukasten jeden Tag wieder hervorzuholen.
       
       Finden die Spielkinder denn immer etwas? 
       
       Ja. Die Frage ist, ob es bedeutungsvoll ist. Das prüfen wir nicht. Wir
       geben die Ergebnisse nur weiter.
       
       Und das macht Spaß? 
       
       Der primäre Spaß ist immer das, was wir hemdsärmelig machen. Murray Marks,
       der Chef der echten Body Farm …
       
       … in Knoxville, Tennessee … 
       
       … der krempelt bei Übungen tatsächlich immer wieder die Ärmel hoch, steckt
       seinen Arm in eine verfaulte Leiche, zieht da einen Knochen heraus, hält
       den allen Teilnehmern unter die Nase und fragt, was für ein Knochen das
       sei. Das ist eine gute Übung, um zu lernen, dass es bei uns nicht darum
       geht, ob es stinkt, ob es traurig oder ob es grausam ist. Es geht nur
       darum, welcher Knochen das ist.
       
       Wie ist es denn auf der echten Body Farm? 
       
       Ganz friedlich. Zumindest auf der einen Body Farm, die noch übrig geblieben
       ist. Das ist ein großes Waldgelände: mit Tieren, mit Bäumen, mit einem
       großen Zaun, aber ohne Klo.
       
       Warum gibt es denn kaum noch Body Farms? 
       
       Weil das nicht lukrativ ist. In unserem Bereich gibt es kein Geld zu
       verdienen. Warum Menschen gestorben sind, interessiert niemanden. Außer im
       „Tatort“. Die allermeisten verfaulten Leichen, die wir finden, sind
       irgendwelche Alkis, Schizophrene, Schizoide. Für die Untersuchung dieser
       Leichen will der Steuerzahler nicht zahlen. Und bei den Body Farms kommt
       noch ein weiteres Problem hinzu: Die Unis haben große Probleme, die Gelände
       freizuhalten. Eine Body Farm in den USA wurde geschlossen, weil
       Ballonfahrer, die darüberflogen, sich beschwerten, wie eklig das sei. Aber
       statt zu antworten „Dann fliegen Sie mit ihrem Scheißballon doch woanders“,
       wurde die Body Farm dichtgemacht.
       
       Zum Aspekt des Geldverdienens: Wenn die staatlichen Ermittlungsbehörden
       eine Universität oder wen auch immer damit beauftragen, ein Gutachten zu
       einer Leiche zu liefern, müssen Sie doch dafür bezahlen. 
       
       Nicht in einer Welt, in der der Steuerzahler all das, womit er nicht gern
       in Berührung kommt – also Fäulnis, Verwesung, Tod – ignoriert. Das beste
       Beispiel in Deutschland ist Gunther von Hagens. Der musste sein ganzes
       Leben darum kämpfen, dass seine Arbeit anerkannt wird. Dass er eine
       technisch-anatomische Revolution ganz allein durchgeführt hat, sieht
       keiner. Wenn etwas mit Leichen zu tun hat, ist es bäääh, unethisch,
       unmoralisch, Hauptsache, irgendwas mit „un…“. So ist es bei einer Body Farm
       auch. Der Staat hätte natürlich gern die Ergebnisse, aber es soll doch
       bitte möglichst geräuschlos, geruchslos und kostenlos sein.
       
       Aber tragen Fernsehserien wie „Body Farm“ oder „CSI“ nun nicht dazu bei,
       dass die Menschen Ihre Arbeit zu schätzen lernen? 
       
       Eigentlich schon. Aber Menschen agieren nicht logisch. Ein Beispiel: Es
       gibt das Projekt „Kein Täter werden“ für Pädophile, die sich dort melden
       können, bevor sie eine Tat begehen. Wenn meine Frau und ich das Projekt bei
       einer unserer Lesungen vorstellen und erzählen, dass so erst gar keine
       Opfer entstehen, es keine Ermittlungen braucht und es viel besser ist, so
       etwas zu fördern, sagen viele im Publikum: „Aber dann geben wir doch Geld
       für Pädophile aus.“ Egal, wie naheliegend und logisch solch ein Projekt
       ist, wenn die Leute das Wort „pädophil“ hören, wollen sie damit nichts zu
       tun haben.
       
       Aber durch Krimis müssten doch die Bereiche Pathologie oder forensische
       Biologie einen starken Zulauf von Interessenten haben. 
       
       Nein. In Deutschland wird ein Institut für Rechtsmedizin nach dem anderen
       zugemacht. Der Zulauf ist natürlich da, aber das sind Fans dieser Serien.
       Die rufen dann bei mir an und wollen ein Praktikum machen, wissen aber gar
       nicht, was da auf sie zukommt. Beim BKA kommen am Tag der offenen Tür
       20.000 Besucher, die sich alle für Profiler halten.
       
       Wer würde denn bei Ihnen ein Praktikum bekommen? 
       
       Als ich noch zur Schule ging, wurde bei uns mal eine Umfrage gemacht, und
       ich war der einzige Schüler, der Chemie gut fand. Erst da wurde mir
       bewusst, wie kauzig und nerdig ich bin. Ich war ein Freak. Wenn heute einer
       zu mir kommen und erzählen würde, dass er der einzige in der Schule war,
       der Chemie und Biologie spannend fand, dem würde ich die Füße küssen. Aber
       so einer ist in zwanzig Jahren noch nicht gekommen.
       
       Herr Benecke, wie bringen wir das Gespräch jetzt zu einem versöhnlichen
       Ende zwischen Ihnen, der Welt und den Fernsehserien über Forensiker? 
       
       Also, ich freue mich darüber, dass durch die Serien unsere soziale
       Akzeptanz gestiegen ist. Mittlerweile kommen Familien zu uns und suchen
       Beratung. Das war früher undenkbar, die hätten viel zu viel Angst gehabt,
       dass die Spurenkundler der Polizei etwas erzählen. Aber uns ist völlig
       egal, was der Verstorbene vorher gemacht hat. Wir gucken uns nur die Spuren
       an. Außerdem hätten die früher gedacht: Zu denen können wir nicht gehen,
       deren Hände riechen bestimmt nach Leichen, und wenn wir bei denen die Luft
       einatmen, werden wir krank. Das Stigma geht durch diese Serien also
       verloren.
       
       Das ist doch schön, dass Sie das Stigma, das Sie schon seit der Schule bei
       sich trugen, loswerden konnten. 
       
       Ach, in der Schule war mir das egal.
       
       12 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürn Kruse
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Pathologie
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA