# taz.de -- Die Wahrheit: Ablandiger Wind
       
       > Es war der Morgen nach Herbstanfang. Ich wurde um 6.30 Uhr wach, draußen
       > tobte das erste Herbstgewitter. ...
       
       Es war der Morgen nach Herbstanfang. Ich wurde um 6.30 Uhr wach, draußen
       tobte das erste Herbstgewitter. Die Kastanien knallten auf den Boden und
       platzten aus den Schalen. Die heißen Fruchtbecher, Cupula, falls sich
       jemand für so was interessiert.
       
       Ich ging ins Bad und schraubte die Flasche mit der Sonnenmilch für dieses
       Jahr endgültig zu. Der letzte Sonnenbrand des Jahres war ab heute
       Geschichte. Ich hatte kurz zuvor noch schnell eine deutsches Badeparadies
       besucht. Prerow. Ostsee. Wegen Kunst eigentlich. Die Ausstellung
       „Cartoonair am Meer“.
       
       Ich parkte und ging mit meiner Freundin auf die Hauptstraße. Dann riss ich
       sie zurück hinter die Straßeneinmündung, denn auf dem Gehweg kam uns ein
       Elefant entgegen. Ich war irritiert, aber immerhin, das hier war ja mal der
       Osten gewesen und die hatten viel gehabt, was wir im Westen gar nicht
       kannten.
       
       Später stellte sich heraus, dass ein Kleinstzirkus diesen einen Elefanten
       als sein Ein und Alles besaß. Jetzt beim Schreiben der Kolumne finde ich
       unter „Circus Prerow“ einen Film darüber, wie der Elefant durch Prerow
       läuft. Nur falls mir jemand nicht glaubt. Sie zeigten dem Elefanten, wohl
       damit das Tier nicht kündigte und etwa zu Circus Krone ginge, täglich den
       Ort. Und die Menschen. Die besah ich mir nun auch. Der Elefant und ich
       bekamen dort seltsame Dinge zu sehen.
       
       Zuerst setzte ich mich mit der Meinen in den Sand, trank Bier und besah mir
       das ewige Spiel der Ostseewellen, die völlig unbeeindruckt von politischen
       Entwicklungen, von Grenzöffnungen oder Eurokrisen, seit Jahrtausenden an
       den Strand treckten. Heute auch.
       
       Am nächsten Tag wanderten wir barfuß am Strand entlang Richtung Leuchtturm
       und querten den kilometerlangen FKK-Strand. Kinder, Frauen, Männer und
       Männer. Nackt. Männer saßen nackt im Sand, bauten ihren Kinder Burgen aus
       feuchtem Sand und hoben Wehrgräben aus, die sie mit Wasser füllten, das
       wieder versickerte. Die Männer waren unermüdlich. Die Kinder spielten
       längst woanders. Die Männer bauten. Männer müssen bauen.
       
       Mit kleinen Plastikharken, mit Schippen und Förmchen stürzten, klopften und
       ritzten sie Muster und Ornamentales in die Bauwerke. Toll! Wieder ein Mann.
       Allein. Im Sand. Weit und breit kein Kind. Er baute ein Auto. Aus Sand. Ich
       erkannte sofort einen 3er BMW, tiefergelegt, mit Heckspoiler. Aus Sand! Der
       Mann war nackt und zog gerade mit kleinem Werkzeug die Felgen und die
       Kotflügel nach. Ich konnte mir sofort vorstellen, wie er angezogen aussah.
       
       Zwei Blondinen im Bikini gingen ins Wasser, etwa 30 Meter weit, das Wasser
       reichte ihnen bis an die Knie, beide beugten sich kurz zum Wasser, tauchten
       die Hände vorsichtig ein und befeuchteten sich Bauch, Dekolleté, Oberarme
       und Oberschenkel, als würden sie Parfum auftragen, und gingen dann sofort
       wieder an Land. Baden in Prerow.
       
       Dann lasen wir noch ein Schild an der DLRG-Rettungsbasis: „Ablandiger Wind!
       Achten Sie auf Ihre Kinder, Bälle und Luftmatrazen. Schwimmen Sie diesen
       Dingen nicht hinterher!“
       
       13 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Gieseking
       
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