# taz.de -- Hörspiel über Albert Camus: Im toten Winkel
       
       > Das Hörspiel „Wie wir verschwinden“ (20.05 Uhr, NDR Kultur) beschäftigt
       > sich mit dem Tod von Albert Camus. Ein in elegische Spannung mündendes
       > Unfallprotokoll.
       
 (IMG) Bild: Einer der größten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts verschwindet „im toten Winkel“: Albert Camus.
       
       „Jetzt, da ihm alles entglitt, hielt diese Fremde in dem roten Auto ihn
       einen kurzen Moment lang fest. Dann sah er den Baum.“ Albert Camus weiß,
       dass sich ein abruptes Ende unausweichlich nähert. Es ist der 4. Januar
       1960 – „der erste Montag des Jahres“. Camus ist gemeinsam mit der Familie
       seines Freundes Michel Gallimard unterwegs. Verlegersohn Gallimard rast
       viel zu schnell über die von Regen und Nebel aufgeweichte Route National 6.
       Die Landstraße schlängelt sich durch die Waldgebiete nahe dem Örtchen
       Villeblevin.
       
       Ein Reifen des grünen Coupés platzt. Der Wagen gerät ins Schlingern, und
       Camus’ Blicke hängen für eine Sekunde an der Fahrerin eines roten Renault,
       die dem Coupé gerade noch rechtzeitig ausweichen kann. Dann kommt der Baum,
       eine Platane, die sich am Rand der Fahrbahn erhebt – „das letzte Geschöpf,
       das ihn mit aller Macht anzog“. In diesem Tod steckt eine bestürzende
       Ironie, hatte Camus doch einst selbst gesagt, die absurdeste Art, ums Leben
       zu kommen, sei ein Verkehrsunfall.
       
       Das Hörspiel „Wie wir verschwinden“ rekonstruiert die letzten Minuten im
       Leben des Literaturnobelpreisträgers („Der Fremde“, „Der Mythos von
       Sisyphos“). Der NDR sendet die Produktion am Mittwoch um 20.05 Uhr auf der
       hauseigenen Kulturwelle. Als Vorlage dienten Auszüge aus dem gleichnamigen
       Roman des Hamburger Schriftstellers Mirko Bonné von 2011, in dem der
       tragische Tod von Albert Camus als zentrales Motiv im Briefwechsel zweier
       alter Freunde auftaucht, die bei Villeblevin aufwuchsen. Bonné lieferte
       auch das Skript für die Adaption.
       
       Ganz wie der Roman ist das einstündige Hörspiel weit davon entfernt, dem
       historischen Ereignis dokumentarisch nüchtern zu begegnen. Es ist ein
       trauriges, tragisches und doch in elegische Spannung mündendes
       Unfallprotokoll. „Wie wir verschwinden“ punktet durch ebenso poetische wie
       dynamische Perspektivwechsel, denn neben den Insassen des Unfallwagens
       finden sich an dem düsteren Wintertag auch vier Zeugen, die das Geschehen
       ungläubig beobachten.
       
       ## Letzte Blicke
       
       Da sind zwei Forstarbeiter, die Gallimard beim Überholmanöver schneidet. Da
       ist der Weltkriegsveteran Pau Cassel, der sich von dem heranrasenden Wagen
       an einen Fliegerangriff erinnert fühlt. Und da ist die verträumte Gilberte
       Darbon in dem roten Renault, an der Camus’ (hervorragend: Simen Rühaak)
       letzte Blicke hängen.
       
       Zwischen ihren Gedankenwelten springt das Hörstück hin und her, und aus dem
       ineinanderfließenden Stimmengewirr entwickelt sich ein Kaleidoskop des
       Entsetzens. Während für Camus kurz vor dem Tod der Regen wie „Quecksilber“
       vom Fenster rinnt, sieht Gilberte Darbon den schlingernden Wagen, umgeben
       von einer Meute aufsteigender Vögel. Doch es sind nur die Fetzen des
       geplatzten Reifens.
       
       Am Ende verliert sich die Poesie der Betrachtung in der Leere des Todes –
       einer der größten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts verschwindet „im
       toten Winkel“. Auf seinen zerbrochenen Knochen liegt ein neues
       Romanmanuskript.
       
       ## Hörspiel „Wie wir verschwinden", Mittwoch, 21.November 2012, 20:05 Uhr
       auf NDR Kultur.
       
       21 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Scheper
       
       ## TAGS
       
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