# taz.de -- 7. Filmfestival von Rom: Anschlüsse und Kollisionen
       
       > Festival-Direktor Marco Müller ist von Venedig nach Rom gewechselt. Nun
       > wird Kino auch dort eine Herausforderung für experimentelle Formate.
       
 (IMG) Bild: Szene aus Jacques Doillons „Un enfant de toi“.
       
       Ein überaus langer roter Teppich wand sich um das Auditorium, den von Renzo
       Piano erbauten Kulturkomplex, in dem bis Sonntag das 7. Filmfestival von
       Rom stattgefunden hat. Geht es nach der italienischen Presse, wurde dieser
       jedoch vergangene Woche viel zu sehr geschont – Quentin Tarantino ist nicht
       gekommen, um eine neue Kostprobe seines Westerns „Django Unchained“ zu
       präsentieren, auch die „Twilight“-Premiere fand ohne Teenager-Schwärme
       Kristen Stewart und Robert Pattinson statt.
       
       Stars liefern Glamour, Glamour sichert die Aufmerksamkeit – mehr als
       anderswo gilt dies in Italien. Marco Müller, der neue, wagemutige Direktor,
       der von Venedig nach Rom gewechselt ist, hat nach dem Relaunch des bisher
       publikumsfreundlich dahindümpelnden Festivals ein eklektizistisches
       Programm geboten. Kino versteht er als eine Herausforderung, die auch
       experimentelle Formate umfasst.
       
       Neu ist etwa die Cinemaxxi-Reihe, die sich innovativem Kino, oft nahe der
       bildenden Kunst, widmet und in der etablierte Formate und Gattungen bunt
       durcheinandergewürfelt werden. Ein Rezept, das schon in Venedig überzeugt
       hat: Genre, Autorenkino und Filmexperimente werden nebeneinandergestellt,
       um überraschende Anschlüsse und Kollisionen zu erzeugen.
       
       Zu solcher Diversität passt auch der Maverick-Preis an US-Regisseur Walter
       Hill, der in revisionistischen Genre-Arbeiten stets das Ethos des
       Hollywood-Handwerkers hochgehalten hat. Hill kam mit dem Action-Thriller
       „Bullet to the Head“ nach Rom, der Sylvester Stallone in einer Altersrolle
       zeigt, die dem Symbolwert des ledrigen Stars gerecht wird: Als
       Auftragskiller gibt er eine Lektion in Coolness, die genau im richtigen
       Verhältnis ironisch nachhallt. Mit Johnnie Tos „Drug War“, einem von zwei
       chinesischen Überraschungsfilmen, gelang Müller ein weiterer Coup.
       
       In seinem ersten auf dem chinesischen Festland gedrehten Film seit über 20
       Jahren bleibt der Actionspezialist To seinen Prinzipien treu und stiftet
       mit Übersicht Ordnung im Chaos. Die Versatzstücke des Films sind alle
       genreerprobt: ein stoischer Cop, der zur Not auch den Gangster spielen
       kann; ein gerissener Drogenboss, der seinen Kopf retten will, indem er
       Insiderwissen liefert. Wie To bis zum orgiastischen Shoot-out mit
       verblüffenden Choreografien unterhält, ist schlicht meisterhaft.
       
       ## Zwischen Freund und Kindsvater
       
       Doch noch weitere Wettbewerbsarbeiten stammten von stilbewussten
       Regisseuren, die sich eigensinnigen Betrachtungen, weniger großen Themen
       widmeten. Der Franzose Jacques Doillon hält in „Un enfant de toi“
       beispielsweise einmal mehr, souverän französisch, Gefühlswirren fest. Lou
       Doillon spielt eine Frau, die sich zwischen ihrem Freund (Malik Zidi) und
       dem Vater ihres Kindes (Samuel Benchetrit) nicht festlegen kann – in
       repetitiven Abfolgen werden feinste Nuancen des Verhältnisses ausgelotet.
       
       Ist es Nostalgie, die sie antreibt oder sind es unrealisierte
       Möglichkeiten? Der kleinen Tochter, die dem neurotischen Treiben der
       Erwachsenen aus der Mitte und doch von außen zuschaut, kommt die Rolle des
       Publikums zu, das mitunter interveniert oder Szenen spielerisch verlängert.
       Die Beharrlichkeit, mit der Jacques Doillon dieses Milieu vermisst, ist
       enervierend und konsequent zugleich – erst die Dauer des fast
       zweieinhalbstündigen Films lässt das Sprechen über Liebe zur Sprache
       werden.
       
       ## Ein Film des Dialogs
       
       Ums Sprechen geht es auch beim Israeli Avi Mograbi, der die Hälfte seines
       Films an seinen Freund und Protagonisten, den Palästinenser Ali al-Azhari,
       abgegeben hat. „Dans un jardin je suis entré“ ist vor allem ein Film des
       Dialogs, und zwar im doppelten Sinn, denn Mograbi spricht mit seinem
       Gegenüber nur Arabisch. Die beiden machen sich auf die Suche nach ihren
       Familiengeschichten. Die Vorfahren des Filmemachers haben als Juden in
       Beirut gelebt – eine Geschichte, die vor allem in vorgelesenen Briefen
       anschaulich wird – und mussten die Stadt schließlich verlassen; auch Alis
       Identität als Araber in Israel stellt sich als vielfach gebrochen dar.
       
       Am Ende gelangen die beiden an Alis Geburtsort in Galiläa. Dort steht heute
       ein Schild, auf dem in falsch geschriebenem Arabisch Fremden der Zutritt
       untersagt wird. Es ist dann erstaunlicherweise Alis kleine Enkelin, die
       sich diesem Missstand nicht länger als nötig aussetzen will.
       
       Mit Thomas Heise war ein weiterer erfahrener Dokumentarist in der
       Cinemaxxi-Sektion zu sehen. „Gegenwart“ hält nüchtern beobachtend
       Arbeitsabläufe in einem Krematorium fest, und man wird Zeuge, wie Mensch
       und Maschine hier ineinandergreifen, wenn kleine Ausfälle behoben werden
       müssen. Die Toten sind (abgesehen von Details wie einer Hand) nicht zu
       sehen, in Särgen werden sie herumgeschoben, verladen und verbrannt.
       
       Heises Film ist ungewohnt geradlinig, entschlackt und wortlos, so als
       erübrigte sich bei diesem zweckgerichteten Apparat jeder Kommentar. Die
       Apotheose dieses in seinem Materialismus gespenstischen Films kommt zum
       Schluss, wenn über Karnevalsbildern Engelbert Humperdinck erklingt: „Wohin
       bist du gegangen?“
       
       20 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominik Kamalzadeh
       
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