# taz.de -- Kolumne Wortklauberei: Okkulte Remoulade
       
       > „Heiß genießen“ oder „lauwarm runterwürgen“ – manchmal liegt dazwischen
       > nur ein klitzekleiner Schritt. Gerade in Bayern.
       
 (IMG) Bild: Manch einen Snack möchte man lieber nicht essen.
       
       Ohne das hier jetzt in eine Schlemmerkolumne umwidmen zu wollen, möchte ich
       vorausschicken: Wenn man aus München, ja: Bayern kommt und zum
       Nahrungserwerb zwischendurch resp. to go nicht gerade die allergschertesten
       Kettenbäcker oder gar den erschröcklichen Kettenmetzger aufsucht, ist man
       unter Umständen etwas verwöhnt, was die Qualität von belegten Backwaren
       vulgo Wurst- und Käsesemmeln angeht – aber eben NICHT Wurst- und
       Käsesemmeln, weil heute kaum noch wer einfach eine Scheibe Wurst oder einen
       Käse in eine Semmel legen und verkaufen mag, sondern da muss in aller Regel
       irgendein Gedöns von variierender Überkandidelung dazugeschmiert oder
       -gequetscht werden, wenn nicht gar ein Chutney …
       
       #In jedem Fall ist man in Bayern, home of the Leberkas-Semmel, was eben die
       Qualität solcher Sandwichgeschichten in den Auslagen angeht, verwöhnt, ja:
       eingelullt bis zum Verlust der Wachsamkeit.
       
       So lief ich großäugig wie ein Rehlein in eine Aufbackanstalt hier auf
       Besuch im Norden und orderte – weh mir! – eine der auf einem
       Anordnungsgestell in der klinikweißen Theke angeordneten runden
       Sandwichgeschichten, die auf einem laminierten Schildchen als „Panini’s“ im
       Wortsinne apostrophiert waren und die man, so das Informationslaminat
       weiter, „heiß genießen“ könne, dürfe bzw. solle. Die Verkäuferin, die mit
       ihren Kunden und ihrer Ware so herzerfrischend agierte, als würde sie viel
       lieber bei Hagebau im Keller Schrauben sortieren (vielleicht hätte mich ja
       schon der Slogan überm Eingang stutzig machen sollen: „Landbäckerei
       Piepenbrink: Wir verachten Lebensmittel.“ Nur Spaß) reichte mir das
       Brötlein nach bedenklich kurzer Aufbereitungszeit.
       
       Ein erster Biss ließ zwei Vermutungen zu und brachte eine Gewissheit:
       Entweder es handelte sich bei dem vorgeblichen Panino gar nicht um etwas
       zum Verzehr Bestimmtes, sondern um eine Art als Semmel getarntes
       Aufbewahrungsbehältnis für Gurkenremoulade, oder aber dieses Ding war das
       groteske Ergebnis des Kochwettbewerbes „Wer bringt die meiste Remoulade in
       einer Semmel unter, ohne dass man von außen sieht, dass überhaupt welche
       drin ist?“.
       
       Und während ich noch überlegte, ob es überhaupt vom Lebensmittelrecht
       gedeckt ist, Remoulade zu erhitzen, kam die Gewissheit: Zwischen „heiß
       genießen“ und „lauwarm runterwürgen“ ist es manchmal nur ein sehr kleiner
       Schritt. Das Ganze übrigens für geschmeidige drei Euro sechzig. Facebook
       macht arm und fett, haben Wissenschaftler gerade herausgefunden. Die
       Landbäckerei Piepenbrink auch.
       
       Unsere kulinarische Tour de Force führte uns dann noch weiter in einen –
       wie mir glaubhaft versichert wurde – ehemals ganz angenehmen Laden, der
       under new management einen Gentrifizierungssschub in Richtung „Edelresto“
       erfahren hat. Der Satz „Ich darf Ihnen heute den gezupften Blattsalat
       empfehlen“ überschattete unsere Ankunft, noch ehe wir uns an den
       gleichmäßig im Raum verteilten neun Kubikmetern
       Weihnachtsdekozivilisationsschrott sattgesehen hatten. Schwer lastete
       Joghurtmantsch auf dem zarten Grün. Es war wenigstens kalt.
       
       29 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Josef Winkler
       
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