# taz.de -- Minderheiten in Russland: Subversive Märchensammlung
       
       > Der Bürgerrechtler Iwan Mosejew kämpft seit Jahren für die Anerkennung
       > seines Volks der Pomoren als Minderheit. Jetzt steht er wegen Hochverrats
       > vor Gericht.
       
 (IMG) Bild: Pomoren-Kirche in Barentsburg.
       
       MOSKAU taz | Das hätte sich Iwan Mosejew noch vor einem Jahr nicht träumen
       lassen. Mosejew ist Direktor des Instituts für indigene Völker und
       Minderheiten an der Universität in Archangelsk und Bürgerrechtler. Er setzt
       sich für die Interessen der kleinen Völker im Norden Russlands ein. Im
       Sommer wurde er des Hochverrats angeklagt. Am Donnerstag beginnt der
       Prozess in der Hafenstadt an der Barentssee.
       
       12 bis 20 Jahre Haft drohen ihm, sollte die Anklage wegen Landesverrats
       aufrechterhalten werden. Er wäre dann das erste Opfer des kürzlich in Kraft
       getretenen verschärften Hochverratsgesetzes. Schon der Kontakt zu
       ausländischen Organisationen genügt, um im Bedarfsfall der Spionage
       verdächtigt zu werden.
       
       Mosejews Fall ist exemplarisch für die zunehmende Willkür und
       Instrumentalisierung des Rechts in Russland. Er gehört zum Volk der
       Pomoren, das nur noch wenige tausend zählt. Sie siedeln an der Barentssee
       auf der norwegischen und der russischen Seite und sprechen einen russischen
       Dialekt, der mit finnougrischen Elementen versetzt ist. Früher lebte das
       Völkchen von Handel und Fischfang.
       
       Mosejew kämpft seit Jahren für dessen Anerkennung als Minderheit. Denn mit
       diesem Status erhalten die kleinen Nordvölker auch Mitspracherecht bei der
       Nutzung von Boden und Ressourcen. Nicht unwichtig ist für sie auch, dass
       die UN ein Auge auf die Einhaltung der internationalen Verpflichtungen
       haben, die Russland eingegangen ist.
       
       ## Benutzt vom norwegischen Geheimdienst
       
       Mosejew wird zur Last gelegt, von „norwegischen Geheimdiensten benutzt
       worden zu sein, um die sozialpolitische Lage in Archangelsk zu
       destabilisieren“, heißt es in der Anklageschrift: Ziel sei „die Errichtung
       einer Republik der Pomoren“. Zudem hätten „ausländische Dienste bei der
       Gründung der pomorischen Bruderschaft, die die Pomoren in der Barentsregion
       verbindet“, Hilfestellung geleistet.
       
       Alle Aktivitäten zielten darauf ab, „die Sicherheit Russlands zu
       verletzen“. Beweis sei „ein Lexikon der pomorischen Sprache, das mit
       norwegischer Hilfe finanziert wurde“. Auch ein mit norwegischer
       Unterstützung zusammengestelltes Märchenbuch musste als Indiz der
       Subversivität herhalten. Ein kremlnaher Internetdienst nannte die
       pomorische Märchensammlung „Ethnodiversion“.
       
       Das klingt nach Satire, ist aber eine Mischung aus Zynismus und Berechnung,
       mit der die Bürokratie gegen bestimmte Leute vorgeht. Denn in der
       Klageschrift wird der wahre Grund des Vorgehens gegen den Bürgerrechtler
       klar benannt: Eine Anerkennung der Pomoren würde sich auch auf das
       Siedlungsgebiet erstrecken. Die zu beachtenden „internationalen Auflagen
       können aber zu einer Verletzung der territorialen Integrität Russlands
       führen“. Anders gesagt: Die Ausbeutung der Naturschätze wäre nicht so
       einfach wie bisher.
       
       Probleme bekam auch die „Assoziation der indigenen Völker des Nordens,
       Sibiriens und des Fernen Ostens“, die mehr als 40 Ethnien vertritt. In der
       UNO hat die NGO unter dem englischen Kürzel „Raipon“ einen eigenen Status.
       Auch im Arktischen Rat, der Vertretung von acht Anliegern der Arktis, sitzt
       Raipon als gleichberechtigtes Mitglied neben Russland. Die Assoziation
       repräsentiert 250.000 Menschen, die zwei Drittel der Landesfläche Russlands
       zu ihrem traditionellen Siedlungsgebiet zählen. Anfang November erkannte
       das russische Justizministerium Raipon aus formalen Gründen vorübergehend
       den Status als NGO ab. Gelingt es nicht, bestimmte Auflagen bis April 2013
       zu erfüllen, droht das Ende.
       
       Der Chef, Rodion Suljandsiga, hält die Gründe für vorgeschoben. „Man will
       uns aus der internationalen Arena abziehen“ sagt er. Jedes Jahr lege Raipon
       der UNO einen Bericht über Rechtsverletzungen vor. Für noch mehr Groll
       dürfte die Hartnäckigkeit sorgen, mit der der Verband die Umsetzung des
       Gesetzes zur Gründung territorialer Einheiten fordert. Es regelt den
       Zugriff auf Boden und Ressourcen. Das soll verhindert werden. „Mosejews
       Fall ist auch unserer“, sagt Suljandsiga.
       
       6 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
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