# taz.de -- Kolumne Über Ball und die Welt: Ultrademokratischer Sport
       
       > Ohne die Fußballfans wäre Husni Mubarak als ägyptischer Präsident nicht
       > vertrieben worden. Was machen sie heute?
       
 (IMG) Bild: Port-Said-Anhänger greifen Al-Ahly-Fans an. Die Polizei schaut zu.
       
       Sie sind da, sie sind zu sehen, niemand kann mehr einen journalistischen
       Bericht über Ägypten schreiben, ohne sie zu erwähnen. Die Ultras, zumeist
       die des großen Kairoer Klubs Al-Ahly, sorgen mit ihrer Militanz bei den
       Straßenkämpfen in Kairo dafür, dass sie als politischer Akteur wahrgenommen
       werden.
       
       Ohne die Fußballfans wäre Husni Mubarak als ägyptischer Präsident nicht
       vertrieben worden. Und ohne die Fans gäbe es derzeit auch keine militanten
       Proteste gegen den von der Muslimbrüderschaft gestellten Staatspräsidenten
       Mohammed Mursi. Aber in einer Selbstdarstellung der Kairoer Ultras im
       Internet heißt es: „Wir sind keine politische Organisation.“ Sie sind,
       darauf legen sie Wert, nur Fußballfans. Genau mit dieser Haltung verkörpern
       die Kairoer Ultras wie keine andere Gruppe auf dieser Welt, die Politik des
       Fußballs.
       
       Nicht um Einflussnahme der Politik, die sich in Form von Innenministern und
       mit Verdienstkreuzen um sich werfenden Staatspräsidenten gerne mit
       Fußballern zeigt, geht es. Auch nicht um Verhandlungen von
       Verbandsfunktionären mit Politikern über Stadionbauten oder
       Stadionsicherheit. Was die Kairoer Ultras demonstrieren, ist die politische
       Kraft, die der Fußball genau dann hat, wenn er nichts anderes ist als
       Fußball.
       
       Vor wenigen Wochen gewann Al-Ahly die afrikanische Champions League, im
       überraschend erreichten Halbfinale der Fifa-Klub-WM unterlag man am
       Mittwoch dem südamerikanischen Copa-Libertadores-Gewinner Corinthians São
       Paulo nur knapp 0:1. Der sportliche Höhenflug von Al-Ahly ist umso
       bemerkenswerter, als seit zehn Monaten der Spielbetrieb der ersten Liga in
       Ägypten ruht. Die zweite Liga hat wieder begonnen, allerdings unter
       Ausschluss der Fans.
       
       ## Passive Polizei
       
       Dass der Spielbetrieb pausiert, liegt an den Ultras. Im Februar dieses
       Jahres waren bei einem Auswärtsspiel von Al-Ahly in Port Said gegen
       Al-Masry 74 Fans des Klubs umgekommen. Es waren Ausschreitungen von
       Port-Said-Anhängern gegen die Fans aus Kairo – unter den Augen einer
       passiven Polizei. In Kairo findet zwar der Prozess gegen die
       verantwortlichen Offiziere statt, aber der zieht sich hin. Und solange, bis
       endlich das Massaker von Port Said zumindest juristisch gesühnt ist,
       verhindern die Ultras den Fußball.
       
       Das Verteidigungsministerium hat schon vorgeschlagen, die Liga doch in den
       Stadien der Armee stattfinden zu lassen: Auf dem Militärgelände könnte
       Ultras der Zutritt verhindert werden. Länderspiele finden hier statt, aber
       das Innenministerium traut sich jedoch nicht, diesen Schritt für den
       Vereinsfußball zu wagen. Schließlich gelingt es dem Polizei- und
       Militärapparat nicht einmal, den Präsidentenpalast zu schützen. Warum
       Fußball? Warum die Fans und nicht die Parteien, die Gewerkschaften oder
       politische Gruppen?
       
       Indem der Fußball Fußball ist, ist er politisch, denn er ist unter
       bestimmten historischen Bedingungen entstanden: Das fängt mit den kurzen
       Hosen an, es geht mit der prinzipiellen Gleichheit aller, die am Spiel
       beteiligt sind, weiter. Es ist der offene Ausgang eines Spiels, indem
       vermeintliche Underdogs die Großen und Reichen schlagen können. Es ist die
       Demokratie auf den Rängen, die im besten Sinne eine Volksherrschaft ist,
       vor der sich Trainer und Funktionäre fürchten, weil sie wissen, dass sie
       vom Platz gejagt werden können.
       
       ## Das weltoffene Wesen des Fußballs
       
       All das macht den Fußball zu einer westlichen, zu einer im besten Sinne
       bürgerlichen Veranstaltung – manchmal auch zu einer revolutionären. Etwa
       20.000 Ultras soll es in Kairo geben, manchmal fest, meist lose
       organisiert. Ihre Hinwendung zum Fußball, der von seinem Wesen her etwas
       Weltoffenes hat, macht die meist jungen Männer immun gegen die Ideologie
       des Islamismus.
       
       In den Auseinandersetzungen in den Stadien haben sie gelernt, sich mit der
       Polizei zu messen. Und der Fußball selbst hat sie gelehrt, dass man eine
       Schlacht auch dann noch gewinnen kann, wenn man zunächst mal hinten liegt.
       Es ist eben gerade die Behauptung der Fans, sie seien unpolitisch, die die
       politische Bedeutung des Fußballs beweist.
       
       13 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Krauss
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ägypten
 (DIR) Ultras
 (DIR) Fußball
 (DIR) Mubarak
 (DIR) Fußball
 (DIR) Konklave
 (DIR) Ägypten
 (DIR) Ägypten
 (DIR) Alemannia Aachen
 (DIR) Fernsehshow
 (DIR) DFL
 (DIR) Ralf Jäger
 (DIR) Sicherheitskontrolle
 (DIR) Ägypten
 (DIR) Fußball-Bundesliga
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Das Fifa-Konklave tagt: Ein ganz bisschen Reformation
       
       Im Mai will sich die Fifa neue Regeln geben. Im Konklave von Zürich laufen
       die Vorbereitungen. Den großen moralischen Aufbruch wird es nicht geben.
       
 (DIR) Kolumne Über Ball und die Welt: Der Kick aus Rom
       
       Trotz des Konklaves hält die 16 Mannschaften starke Vatikanliga den
       Spielbetrieb aufrecht. Soll doch die ganze Welt per Livestream auf einen
       Schornstein starren.
       
 (DIR) Zusammenstöße in Ägypten: Der Fluch der Mumie
       
       Nach dem Todesurteil gegen Fußballfans in Port Said fordern
       Auseinandersetzungen Tote und Verletzte. Präsident Mursi schweigt dazu.
       
 (DIR) Fußballkrawall-Prozess in Ägypten: Ausschreitungen nach Todesurteilen
       
       Nach den Todesurteilen gegen 21 Beteiligte an den Fußballkrawallen von Port
       Said kam es zu Ausschreitungen mit mindestens 26 Toten. Schon am Freitag
       gab es blutige Proteste.
       
 (DIR) Aachener Ultra über Nazifans: „Wir sind mürbe geworden“
       
       Die linken Aachener Ultras ziehen sich wegen ständiger Attacken von
       Nazifans aus dem Stadion zurück. Dass ihr Klub fast tatenlos zusieht, macht
       sie ratlos.
       
 (DIR) Kolumne Über Ball und die Welt: Das Ende der britischen Hegemonie
       
       Fußball ist die zur Globalisierung passende Körperkultur. Das hat man jetzt
       auch auf den Fidschiinseln erkannt und in eine neue große Fernsehshow
       gepackt.
       
 (DIR) Sicherheitskonzept in Fußballstadien: Schnüffeln muss sein
       
       Die Deutsche Fußballliga verabschiedet ihr umstrittenes Sicherheitspaket.
       Fans protestieren weiter, aber die Macher sehen nur ein
       „Kommunikationsproblem“.
       
 (DIR) NRW-Innenminister über DFL-Konzept: „Nur mit Fans und Ultras gemeinsam“
       
       Die Vereine hätten den Dialog mit den Fans eher suchen müssen, sagt NRWs
       Innenminister Jäger. Er hofft, dass das verschärfte Sicherheitskonzept
       dennoch kommt.
       
 (DIR) Kommentar Sicherheit im Stadion: Die totale Kontrolle
       
       Es ist nicht leicht, über Fußballfans zu reden in diesen Tagen. Doch für
       die Sicherheitsapologeten ist es ganz einfach. Nur die bürgerliche Mitte
       schweigt.
       
 (DIR) Kommentar Ägypten: Freiheitskämpfer und Gotteskrieger
       
       Die Opposition wird in ihrer Mobilisierung immer hysterischer, die
       Muslimbrüder immer fanatischer. Die politische Polarisierung ist längst
       nicht beendet.
       
 (DIR) Kolumne Die rätselhafte Welt des Sports: Griaß di, Dante!
       
       Besinnung in der Vorweihnachtszeit? Nicht im Fußball. Hier gibt es
       Tattoo-Stecher, Prostata-Kontrollen und lästernde Expräsidenten. O du
       fröhliche.