# taz.de -- Ein Leben auf dem Campingplatz: „Weg nur mit den Füßen voran“
       
       > Manche mögen es hier wegen der Natur. Andere fliehen vor dem Hamburger
       > Wohnungsmarkt: ein Besuch im norddeutschen Winter.
       
 (IMG) Bild: Christbaumkugeln oder keine? Geht auch ohne.
       
       DRAGE-STOVE taz | Maria überlegt, ob sie Kugeln an den Tannenbaum in ihrem
       Garten hängen soll. Sieht auch so schön aus, mit dem Schnee auf den Ästen.
       „Was meint ihr?“, fragt sie übern Gartenzaun weg. „So lassen!“, rufen wir.
       Maria nickt. Sie holt sich mal eben eine Jacke.
       
       Das Haus, vor dem sie steht, ist blau und rot und aus Holz und könnte so in
       Schweden stehen, irgendwo auf dem Land. Steht aber im Landkreis Harburg,
       auf dem „Camping Land“ in Stove, gleich bei der Rennbahn. Hinterm Deich ist
       die Elbe, die früher, als der Deich nicht so hoch war, auch schon mal auf
       dem Campingplatz stand.
       
       Heute muss hier niemand mehr vor Hochwasser fliehen. 30 Dauercamper leben
       hier, in Holzhäusern zwischen 43 und 63 Quadratmetern, ein paar sind
       improvisierter, ein paar solider, ein paar sind schön. Die Leute sind
       polizeilich gemeldet, wählen hier, bekommen Post, haben einen
       Telefonanschluss, eine Satellitenschüssel auf dem Dach, mindestens Dusche,
       Waschmaschine, Trockner, Einbauküche, Heizung.
       
       „Die wohnen hier“, sagt Christian Land, 38, gelernter Speditionskaufmann.
       Zusammen mit seiner Frau Meike, der das sechs Hektar große Gelände gehört,
       betreibt er den Campinglatz. Zwei Hektar davon für Durchreisende, wobei im
       Winter wenig gereist wird, und vier Hektar für die Dauercamper.
       
       „Ist ein Trend“, sagt Christian Land. Eine 80-Jährige wohnt hier schon seit
       20 Jahren. Hatte irgendwann Probleme, die Miete zu bezahlen, hat sich dann
       ein Holzhaus vor den Campingbus gesetzt, dann Stück für Stück ausgebaut,
       Bekannte haben geholfen. Dann ist sie eingezogen. „30 Dauercamper“, sagt
       Meike Land, „sind die Grenze.“
       
       Im benachbarten Schleswig-Holstein waren die Auflagen für
       Dauercampingplätze strenger als hier in Niedersachsen. Da sind die Leute
       eben nach Stove gekommen, auch auf den Nachbar-Campingplatz, der ist größer
       und hat 1.000 Dauerplätze. Inzwischen ist Schleswig-Holstein großzügiger,
       aber in Niedersachsen hat sich eine Dauercamper-Kultur entwickelt, die
       verpflanzt sich nicht so ohne Weiteres.
       
       Bei den Lands wohnt ein Ehepaar, die hatten ein Haus, das wurde abgerissen,
       kam ein Supermarkt hin. Die wohnten einen Winter zur Probe in Stove, das
       war vor 30 Jahren. Sind geblieben. Es gibt ein paar Monteure, die ihren
       Campingbus hier abstellen und am Wochenende nach Hause fahren, vor allem an
       Weihnachten. Aber die meisten bleiben.
       
       Eine Großmutter hat mit ihrem Enkel hier gewohnt, den sie aufgezogen hat.
       Der Enkel ging in Stove zur Schule. Dann sind die beiden nach Hamburg
       gezogen. Dort ist er auf der Schule nicht zurechtgekommen. Sie kamen zurück
       und haben hier ein schönes Holzhaus.
       
       Die Dauercamper sind in den politischen Parteien in Stove, sie sind beim
       Roten Kreuz, sie haben hier ihren Arzt, ihre Apotheke, gehen in den
       Sportverein. Für einige hier ist Dauercampen die Wohnform, die sie vor der
       Obdachlosigkeit bewahrt. „Die Situation auf dem Wohnungsmarkt Hamburgs
       sorgt dafür, dass das hier attraktiver wird“, sagt Christian Land, „und
       außerdem ist die Luft besser, die Leute schlafen hier besser als in der
       Stadt“, sagt Meike Land.
       
       Seit zwei Jahren haben die Lands keinen Leerstand, es gibt eine Art
       Warteliste in Christian Lands Kopf, der weiß, wer von den ambulanten
       Campern ganz hierher ziehen oder wer von den Dauercampern ein größeres
       Grundstück will. Die Lands haben ein neues Waschhaus gebaut, mit Duschen,
       für den Geschirrabwasch, für die Wäsche, mit Trockner. Geborgenheit ist ein
       wichtiges Gefühl.
       
       Für die Lands bedeuten die Dauercamper, die den Strom und das Gas in
       Flaschen von ihnen beziehen, dass es aufs Jahr gesehen nicht mehr ruhiger
       wird. Die Dauercamper brauchen auch im Winter einen Ansprechpartner, einen
       Rat, Gasflaschen.
       
       Hier wohnt ein Tierpsychologe mit seiner Freundin, einer Tierärztin. Die
       haben sich auf dem Platz kennengelernt. Jeder von beiden hat einen
       Wohnwagen. Wir stehen vor einem blauen Haus. Wenn uns nicht vor Kälte der
       Atem weg wäre, dann, weil das Haus schön ist. So ein Blau ist das. Das kann
       schon noch mal 60.000 Euro kosten. Es gibt Dauercamper, deren Häuschen
       nicht dadurch entsteht, dass um den Camper herum gebaut wird, sondern die
       von Anfang an ein Haus planen, weil sie wissen, dass sie das genau so
       wollen.
       
       Wir sitzen im Haus von Heike und Jürgen. Im Kamin knistert das Feuer –
       Quatsch, offenes Feuer ist verboten. Das Feuer ist im Fernseher und das
       Knistern kommt aus der Box. Die Badewanne ist kein Quatsch. Heike sagt, sie
       hat Jürgen „breitgequatscht, hierher zu ziehen“. Er, Taxifahrer und
       Schauspieler, vor allem mit Evelyn Hamann, hat das Haus selbst gebaut.
       
       „Abgeguckt, das, was ich wollte“, sagt er, „und das, was ich nicht wollte.“
       Auch sein Vorbild: skandinavische Häuser. „Das Leben hier macht Spaß“, sagt
       Jürgen. Die beiden haben knapp 50 Quadratmeter. Für Weihnachten haben sich
       „ein paar Leute zum Glühwein angemeldet, nichts Großes“.
       
       Die beiden machen Camping seit 1973, leben seit 2005 hier. „Mein Mann hat
       damals gesagt: Ach, unsere schöne Wohnung“, sagt Heike. Heute sagt Jürgen:
       „Hier bringt mich keiner weg, nur mit den Füßen voran.“ Er hat Wert darauf
       gelegt, „dass es muckelig ist“.
       
       Möbel neu gekauft, bis auf die Couch, die gut passte, alles genau überlegt,
       kein Schnickschnack – dafür ist kein Platz. „Wenn wir uns auf den Wecker
       gehen, was schon mal vorkommen kann, geht einer in den Camper. „Das bin
       ich“, sagt Jürgen.
       
       Telefon, Internet? „Klar“, sagt Heike. Einkaufen ist kein Problem:
       „Lüneburg ist nicht weit, Hamburg ist nah, Winsen muss man nicht haben“,
       sagt Jürgen, der „keine Nachteile mehr sieht“. Da ist eine Menge Natur, die
       Elbe. Zu den Alten kommt „Essen auf Rädern“ und ein Pflegedienst mit
       Pillen. „Außerdem passen wir aufeinander auf“, sagt Heike.
       
       Maria erzählt übern Zaun weg, dass sie und ihr Mann noch eine Wohnung
       haben, aber „eigentlich die meiste Zeit hier sind. Eigentlich immer.“ Und
       dass es über kurz oder lang drauf rauslaufen wird, dass sie hier wohnen, im
       blau-roten Haus. Und die Christbaumkugeln für die Tanne davor? „Geht ohne“,
       sagt sie.
       
       23 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Roger Repplinger
       
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 (DIR) Wohnungsmarkt
       
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