# taz.de -- Tempelhofer Feld: Einblicke in die Vergangenheit
       
       > Was kann man von rostigen Nägeln, verbeulten Eimern und ein paar Scherben
       > erfahren? Was bei Grabungen auf dem Feld gefunden wurde, wird nun
       > ausgewertet.
       
 (IMG) Bild: Auf dem Tempelhofer Feld wird gegraben
       
       In dieser Jahreszeit liegt der Nebel oft so dicht auf dem Tempelhofer Feld,
       dass dessen Ränder kaum zu erahnen sind. Wer sich dennoch zu einem
       Spaziergang über Berlins größte Grünfläche aufmacht, mag sich über das
       rot-weiße Absperrband wundern, das an manchen Stellen im nordwestlichen
       Teil des Geländes in den grauen Nebelschwaden sichtbar wird. Das Band
       markiert die Stellen, an denen in diesem Sommer ein Blick unter die
       Oberfläche des Feldes geworfen wurde – bei den Grabungen, die
       ArchäologInnen der Freien Universität (FU) in Zusammenarbeit mit dem
       Landesdenkmalamt durchgeführt haben.
       
       Einige hundert Meter vom Absperrband entfernt befindet sich das
       Archäologische Depot, das in einer ehemaligen Mülltonnenwaschanlage
       eingerichtet wurde. Hier werden die Fundstücke ausgewertet, die die
       Forscher von Juli bis Oktober aus der Erde geholt haben. Einige
       Porzellanscherben, rostige Nägel, ein verbeulter Eimer, ein Stück Rohr –
       für den Laien scheint auf den ersten Blick unspektakulär, was hier
       aufgereiht ist.
       
       Wenn aber die ArchäologieprofessorInnen Susan Pollock und Reinhard Bernbeck
       von der Grabung und den Fundstücken erzählen, tut sich hinter den Scherben
       und Nägeln eine ganze Welt auf – eine, die wohl den wenigsten Menschen, die
       das Tempelhofer Feld als innerstädtischen Riesenspielplatz liebgewonnen
       haben, bekannt sein dürfte. Denn das Gelände war ab 1939 Unterbringungs-
       und Arbeitsplatz Tausender ZwangsarbeiterInnen, die zur Verstärkung der
       Rüstungsindustrie insbesondere aus osteuropäische Ländern nach Deutschland
       geholt wurden.
       
       „Bei den Grabungen geht es uns darum, die Geschichten dieser Menschen, die
       sie selbst nie erzählen konnten, sichtbar zu machen und ihnen so eine
       Stimme zu geben“, sagt Bernbeck. Die Grabungen sind für ihn insofern auch
       ein politisches Projekt. Untergebracht in zahlreichen Baracken, die sich
       fast den gesamten westlichen und nördlichen Rand des Feldes entlangzogen,
       arbeiteten die Männer und Frauen für verschiedene Rüstungsunternehmen.
       Hauptarbeitgeber waren der Bremer Flugzeugbauer Weserflug sowie die
       Deutsche Lufthansa.
       
       Pollock und Bernbeck erzählen sehr sympathisch und mit viel Nachdruck,
       warum sie es so wichtig finden, dass diese wenig beachteten Geschichte des
       Tempelhofer Felds durch Grabungen erforscht wird: „In Deutschland wird oft
       davon ausgegangen, dass allein die Auswertung von Akten alles Wichtige über
       die jüngste Geschichte zum Vorschein bringt“, sagt Pollock. „Mit Hilfe der
       Fundstücke lassen sich aber Erkenntnisse gewinnen, die in den Akten aus
       guten Gründen gar nicht vorkommen.“
       
       So sei beispielsweise zwar genau dokumentiert, wie viel Beton zum Bau der
       Baracken geliefert wurde. Bei der Ausgrabung der Barackenreste stellten die
       ForscherInnen jedoch fest, dass nur ein Teil des gelieferten Betons auch
       tatsächlich verwendet wurde – der Rest wurde mit Altbetonbruchstücken
       aufgefüllt. Die Firmen hatten einen Teil des eigentlich für die Baracken
       vorgesehenen Betons offensichtlich für andere Zwecke abgezweigt. „Das steht
       dem Bild der deutschen Gründlichkeit entgegen, die ja angeblich auch im
       Dritten Reich so entscheidend war“, sagt Bernbeck. Stattdessen werfe dieser
       Fund nun Fragen nach Korruption und unsauberen Geschäften auf – zu Lasten
       der ZwangsarbeiterInnen in der Rüstungsindustrie.
       
       Auch an anderen Stellen weicht die Realität der Fundstücke von der in den
       Akten vermerkten Wirklichkeit ab. So sind zum Beispiel die zum Schutz der
       ArbeiterInnen – also zum Erhalt ihrer für Kriegsdeutschland so wichtigen
       Arbeitskraft – errichteten Splitterschutzgräben offensichtlich deutlich
       kleiner gebaut worden, als sie eigentlich sein sollten. Dass hier während
       der zahlreichen Luftangriffe der letzten Kriegsjahre alle ArbeiterInnen
       Platz hatten, ist somit sehr fraglich.
       
       Die ZwangsarbeiterInnenbaracken sind dabei nur ein Teil der
       Nazivergangenheit des Feldes: „Wir möchten weitergraben. Als Nächstes am
       besten dort, wo bis 1937 das KZ Columbiahaus stand“, sagt Bernbeck. Doch
       die Zukunft der Grabungen ist ungewiss: Bisher liegt weder eine Genehmigung
       vor, noch ist die Finanzierung geklärt. Laut Daniela Augenstein, Sprecherin
       der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die Auftraggeberin der Grabungen
       ist, gibt es zwar ein Interesse an weiteren Grabungen. Wann, in welchem
       Umfang und mit welcher Finanzierung diese stattfinden könnten, sei jedoch
       unklar.
       
       Auch die Grabungen in diesem Jahr waren eher einer Verkettung von Zufällen
       zu verdanken: Für die Internationale Gartenausstellung (IGA) 2017, die
       ursprünglich auf dem Tempelhofer Feld stattfinden sollte, mussten Wege
       angelegt und Bodeneingriffe vorgenommen werden – diese wiederum schrieben
       Grabungen vor. Bernbeck und Pollock bewarben sich daraufhin mit ihrem
       archäologischen Institut und erhielten wenige Tage bevor die IGA nach
       Marzahn verlegt wurde, den Zuschlag.
       
       „Es gab einige Witze darüber, ob Tempelhof jetzt auf einmal in Vorderasien
       liegt“, erzählt Pollock lachend über die Reaktionen, als bekannt wurde,
       dass ForscherInnen und studentische Hilfskräfte des Instituts für
       Vorderasiatische Archäologie der FU mit den Grabungen betraut werden. Doch
       für sie ist diese Irritation ganz einfach aufzulösen: Zum einen
       spezialisieren sich ArchäologInnen in den USA, wo sie und Bernbeck lange
       gearbeitet haben, eher nach Themengebieten statt, wie in Deutschland
       üblich, nach Regionen. Zum anderen gibt es im deutschsprachigen Raum nur
       sehr wenige KollegInnen, die sich auf die Ausgrabung von Fundstücken aus
       dem 20. Jahrhundert spezialisiert haben – wieder ganz im Gegensatz zu den
       USA, wo die Archäologie der Moderne einen wichtigen Wissenschaftszweig
       darstellt.
       
       Wer mit Pollock und Bernbeck über ihre Arbeit spricht, bekommt einen guten
       Eindruck davon, dass Archäologie aus sehr viel mehr als den eigentlichen
       Grabungen besteht. So spielt auch die Frage, was nach der momentan noch
       andauernden Auswertung der Fundstücke mit den Ergebnissen passiert, eine
       Rolle für die beiden. „Wir finden es wichtig, dass eine Form des Gedenkens
       gefunden wird, die diese Ereignisse nicht einfach nur als ein
       Geschichtskapitel unter vielen darstellt“, so Bernbeck. Pollock schlägt
       vor, dass die Umrisse der Baracken zum Beispiel durch Wege oder Pflanzungen
       sichtbar gemacht werden könnten. So könnte bei BesucherInnen ein Eindruck
       von der ungeheuren Größe der Lager entstehen.
       
       Doch solche Überlegungen, das wissen auch die ForscherInnen, sind bisher
       nur Wunschträume. Bisher ist das rot-weiße Absperrband das einzige Zeichen
       für die Geschichte und Geschichten, die auf dem Tempelhofer Feld teilweise
       nur wenige Zentimeter unter der Erdoberfläche verborgen sind.
       
       26 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Malene Gürgen
       
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