# taz.de -- Olympia-Stadt 2016: Rios schöner neuer Hafen
       
       > Die Stadtverwaltung von Rio de Janeiro plant, die Rotlichtzone am alten
       > Hafen in ein modernes Kulturviertel zu verwandeln.
       
 (IMG) Bild: Der alte Hafen von Rio wird zum Kultur- und Vergnügungszentrum umgebaut.
       
       Politiker kommen oft ein bisschen zu spät. Und sie wiederholen sich gern.
       Vor allem, wenn sie Versprechungen machen. So gesehen ist das
       millionenschwere Verschönerungsprojekt „Porto Maravilha“ – auf Deutsch
       etwa: Wunderhafen – in Rio de Janeiro nichts Besonderes. Rechtzeitig für
       die Olympischen Spiele 2016 sollen sich die drei hafennahen Stadtviertel
       Saúde, Gamboa und Santo Cristo zur schönen neuen Ausgehwelt, zum Geschäfts-
       und Kulturzentrum mausern.
       
       „Wiederbelebung“ nennen das die Politiker, als gäbe es tote Stadtviertel.
       Das neue Leben sieht gleich mehrere Megarenommierprojekte vor: den ältesten
       Wolkenkratzer Südamerikas von Grund auf zu renovieren, der vom Planer des
       Copacabana Palace Hotel, dem Franzosen Joseph Gire, entworfen wurde und
       einst Redaktionsgebäude der längst eingestellten Abendzeitung A noite war.
       
       Heute ist er Sitz des Instituts für Industriebesitz; direkt am Pier nach
       einem Entwurf des Spaniers Santiago Calatrava das Zukunftsmuseum Museu do
       Amanhã zu errichten, das auf mehr als 15.000 Quadratmetern nicht nur ein
       richtungweisendes Kunstzentrum werden, sondern auch Diskussionen zur
       Zukunft der Menschheit und des Planeten anregen soll.
       
       Die für das auch als „Stadt der Kunst“ bezeichnete Megaprojekt
       veranschlagten Kosten haben sich seit den ersten Plänen mehr als
       verdreifacht. Zudem soll das Abwassersystem verbessert, sollen mehrere
       Straßen erweitert und über 500 historische Wohnhäuser renoviert werden für
       die Umsiedlung von Bedürftigen aus der angrenzenden Elendssiedlung Morro da
       Providência.
       
       Als „neues Barcelona“ bezeichnen die Politiker ihren „Wunderhafen“ gern,
       denn die Mittelmeerstadt habe ihren Hafen so beispielhaft vom Schandfleck
       in ein Vorzeigeobjekt verwandelt, wie sich Rios Stadtväter das auch hier
       wünschen.
       
       Was sie dabei verschweigen: Fast genau so hatten das Politiker vor mehr als
       einem Jahrzehnt schon einmal verkündet. Und nicht einmal die waren die
       Entdecker des speziellen Charmes der schmuddeligen Jahrhundertwendebauten
       rund um den Mauá-Platz: Es waren die „Sklaven“.
       
       In Anlehnung an die vor Jahrhunderten aus Afrika hier in Ketten
       angelandeten echten Sklaven nannten sich ein paar Angestellte aus Büros
       rund um den Mauá-Platz so, als sie 1992 ihren Karnevalsverein „Sklaven von
       Mauá“ gründeten. Die Mittelklassevertreter liebten den Samba, den ja die
       früheren Sklaven in diesem Viertel gespielt und getanzt hatten, und auch
       das vergessene Rotlichtviertel, das sie ursprünglich nur wegen ihrer Arbeit
       betreten hatten.
       
       Eliane Costa, im Hauptberuf Kulturmanagerin bei der staatlichen Firma
       Petrobras, war von Anfang an dabei: „Durch das Vergessensein haben sich am
       Mauá-Platz ein eigener Charme und wunderbare Jahrhundertwendebauten
       erhalten, es kamen weder Autos noch Passanten, nur die Anwohner verkehrten
       hier. Wenn ich damals sagte, ich mache mit meiner Karnevalsgruppe Musik auf
       dem Mauá-Platz, fanden die Leute das absurd, weil es dort gefährlich war
       mit all den Nutten und Matrosen.“
       
       ## Bordelle für Matrosen
       
       International war das Viertel damals schon. Für jede Nationalität gab es
       eigene Bordelle. Und außer Matrosen traute sich kaum jemand in die dunklen
       Gassen und winzigen Kneipen. Bis das Filipino-Bordell zum Kalesa wurde -
       dem vielleicht gewagtesten Kulturprojekt der Stadt.
       
       Vier Kreative aus dem Süden Rios hatten einen Ort zum Feiern gesucht,
       günstig und zentral. Sie schafften es, dem Bordellbesitzer einen
       Mietvertrag zu entlocken. Auflage: Die Mädels dürfen bleiben. So mischten
       sich im Café Kalesa Künstler und Intellektuelle, Prostituierte und
       vereinzelt noch Matrosen. Nur fanden die bald keine willigen Frauen mehr -
       denn die hatten jetzt feinere Kunden.
       
       Sogar der Prinz von Orleans und Braganza, Nachfahr des brasilianischen
       Königshauses, soll eines Morgens um zwei die traditionelle
       Kalesa-Spargelsuppe gekostet haben.
       
       Aber irgendwann ist bei allem Neuen die Luft raus, und so wurden auch die
       Kalesa-Betreiber irgendwann müde. Heute ist in den alten Räumen ein
       normaler Club untergebracht, und die einstigen Macher besuchen das
       Hafenviertel kaum noch. Gleichzeitig öffnen rund um den Mauá-Platz ständig
       neue Restaurants und Tanzschuppen.
       
       ## Das Kneipenviertel
       
       Beinahe jedes dritte der Jahrhundertwendegebäude beherbergt inzwischen eine
       Kneipe: Die Bar und Galerie Sacabral zelebriert an Tischen aus Tetrapacks
       Livemusik zwischen Brazil Pop und Samba; das Restaurant Boêmios do Porto
       Mauá präsentiert an Polka erinnernden nordostbrasilianischen Forró zum
       Tanzen.
       
       In einer Nebenstraße spielt eine Band Samba Pagode am alten Salzstein, und
       am Ende der Sacadura Cabral empfängt das fast schon klassische Trapiche
       Gamboa leidenschaftliche Sambatänzer aller Altersklassen.
       
       An Wochenenden schlendern auf der Sacadura Cabral, wo einst Sklaven
       gehandelt wurden, junge Paare und decken sich bei fliegenden Händlern mit
       Hotdogs und Dosenbier oder gerösteten Maiskolben ein. Manche nennen die
       Hafengegend schon „das neue Lapa“, nach der ehemaligen Bohemegegend im
       Zentrum, die schon vor Jahren zum neuen Boomviertel erwacht ist.
       
       ## Der große Umbau
       
       So gesehen kann die Stadtverwaltung nicht viel falsch machen, wenn sie den
       Hafen jetzt zum neuen Kulturzentrum stylen will. Dabei wird sich allerdings
       so ziemlich alles im Viertel ändern: Nach den offiziellen Plänen sollen aus
       den heute 20.000 Bewohnern des 500 Hektar großen Geländes rund um den Hafen
       bis 2015 mindestens 120.000 werden.
       
       Neben einem Modezentrum, Büros für das Olympische Organisationskomitee und
       einem neuen Gebäude für die Bundespolizei sind 10.000 Wohneinheiten für
       Pressevertreter sowie diverse Hotelbauten vorgesehen. Die Zentralbank wird
       ein neues Gebäude bekommen, ebenso das neue Olympia-Museum.
       
       Für das neue städtische Kunstmuseum, das unter anderem Werke zur Geschichte
       der Stadt zeigen soll, wird der Palast Dom João VI. renoviert. Als erstes
       Privatunternehmen hat die Telekommunikationsfirma GVT 4.700 Quadratmeter im
       Wunderhafen bezogen, andere folgen. Die Unternehmen dürfen nach Bedarf und
       einem Bebauungsplan ihre Gebäude aufstocken - gegen Gebühr.
       
       ## Vorne bleibts flach
       
       Mit den Einnahmen will die Stadt ihren Anteil an den Kosten finanzieren.
       Nur in der ersten Reihe direkt am Wasser werden weiterhin zwei bis drei
       Stockwerke das Maximum bleiben – weiter hinten dürfen künftig 20, 30 und an
       manchen Stellen bis zu 50 Etagen gebaut werden.
       
       „Das wirtschaftliche Interesse an der Gegend wird steigen und damit die
       Unordnung verdrängen“, prophezeit Belmiro Braga vom Entwicklungssekretariat
       der Stadt Rio.
       
       Die Unordnung, das sind vermutlich die restlichen Filipino-Matrosen, die
       noch gegenüber dem Kalesa in einer Open-Air-Bar ihr Bier trinken, und etwa
       der Müllmann, der bei der Probe der Karnevalssklaven hingebungsvoll
       mittanzt. Aber die haben bis dahin vielleicht längst einen anderen Ort
       gefunden – von dem die Politiker noch lange nichts erfahren werden.
       
       19 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christine Wollowski
       
       ## TAGS
       
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