# taz.de -- Die Wahrheit: Kekse statt Whiskey
       
       > Es ist eins der bekanntesten Kunstwerke Dublins: Seit 1997 krabbelt eine
       > nackte Frau aus Glasfaser an der Fassade des Treasury-Holdings-Gebäudes
       > hoch.
       
       Es ist eins der bekanntesten Kunstwerke Dublins: Seit 1997 krabbelt eine
       nackte Frau aus Glasfaser an der Fassade des Treasury-Holdings-Gebäudes
       hoch. Die vier Meter große Skulptur heißt „Aspiration“ und soll Irlands
       Kampf für die Freiheit symbolisieren, die Frau stellt Irland dar. Das hat
       durchaus Tradition. Früher, als unter englischer Herrschaft Freiheitslieder
       verboten waren, wurde Irland zum Beispiel als schwarzhaarige Roisín
       besungen.
       
       Nun hat der Künstler Rowan Gillespie allerdings enthüllt, dass seine
       Skulptur ursprünglich einen Mann darstellte. Der Bauunternehmer Johnny
       Ronan, dessen Firma Treasury Holdings das Gebäude an der Grand Canal Street
       gebaut hat, zwang ihn jedoch zur Geschlechtsumwandlung. Als Gillespie ihm
       ein Modell der Skulptur zeigte, sei er zunächst begeistert gewesen – bis er
       den Penis entdeckte. „Ich will auf keinen Fall, dass ein nackter Mann an
       der Wand zu meinem Fenster hochklettert“, sagte Ronan und warf Gillespie
       hinaus. Als der mit der kastrierten und brustvergrößerten Skulptur
       zurückkam, war alles in Ordnung.
       
       Ronan wohnt längst nicht mehr in dem Gebäude, es gehört ihm auch nicht
       mehr. Der Bauunternehmer hatte vom irischen Größenwahn in den Boomjahren
       profitiert, als das ehemalige Armenhaus Europas zum „keltischen Tiger“
       mutierte. Treasury Holdings baute mehrere Fünf-Sterne-Hotels sowie das
       Kongress-Zentrum im alten Hafen, Ronan wurde Multimilliardär. 1995 kaufte
       er die alte Boland’s Bakery und ließ sie zum Firmensitz von Treasury
       Holdings aufhübschen.
       
       Es ist ein historischer Ort: In dem Gebäude hatte sich Ostern 1916 eine
       Einheit der Rebellen gegen die britische Herrschaft verschanzt, angeführt
       von Éamon de Valera, der später Premierminister und schließlich Präsident
       Irlands wurde. Die Briten nahmen die Keksbäckerei 1916 nicht ein, weil de
       Valera die irische Flagge als Finte über einer benachbarten Brennerei
       hissen ließ, die prompt von dem britischen Kanonenboot „Helga“ in Schutt
       und Asche gelegt wurde – statt der Kekse wurde Whiskey vernichtet. Erst als
       der Aufstand gescheitert war, ergaben sich die Rebellen in Boland’s Bakery.
       
       2007 benutzte die von de Valera gegründete Partei Fianna Fáil, die
       „Soldaten des Schicksals“, das Gebäude als Hauptquartier für ihren
       Wahlkampf. Es war das letzte Jahr, in dem die Iren vom ewigen Boom träumen
       durften. Ein Jahr später ging der keltische Tiger in die ewigen Jagdgründe
       ein. Fianna Fáil, die damalige Regierungspartei, gab der Insel dann mit
       ihrer törichten Bankengarantie den Rest und verurteilte die Iren auf
       unabsehbare Zeit zur Austerität.
       
       Ronans Treasury Holdings gingen wie so viele Bauunternehmen pleite und
       hinterließen 2,7 Milliarden Euro Schulden bei den Banken. Das machte aber
       nichts, denn die Steuerzahler müssen ja dafür aufkommen. Es ist durchaus
       passend, dass jetzt „Nama“, Irlands „Bad Bank“, in Boland’s Bakery
       residiert. Den nackten Glasfaserkastraten ficht das nicht an, im Gegensatz
       zu dem Land, das er symbolisiert, ist er nicht abgestürzt.
       
       21 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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